Graham Greene: Der stille Amerikaner (Roman) |
Graham Greene: Der stille Amerikaner |
Inhaltsangabe: "Mich können Sie aus dem Spiel lassen. [...] Ich habe nichts damit zu tun. Nichts damit zu tun", wiederholte ich. Das war einer meiner Glaubensartikel gewesen. Mit den Menschen, wie sie nun mal waren, mochten sie kämpfen, mochten sie lieben, mochten sie morden: ich wollte nichts damit zu tun haben. Meine Kollegen von der Presse nannten sich Korrespondenten; ich zog die Bezeichnung Berichterstatter vor. Ich schrieb nieder, was ich sah. Ich unternahm nichts – selbst eine Meinung zu haben, ist schon eine Art von Tat.
Einmal sitzt er, wie gewohnt, vor dem Continental; da kommt ein Amerikaner über den Platz, spricht ihn an und setzt sich zu ihm. "Alden Pyle", stellt er sich vor. Der 32-jährige Professorensohn aus Boston kam gerade erst als Mitarbeiter einer US-Wirtschaftshilfsmission nach Vietnam. Obwohl der zynische und fast doppelt so alte Engländer den Amerikaner für naiv und idealistisch hält, befreundet er sich mit ihm. "Ich habe mir schon immer gedacht, dass ich viele Kinder haben möchte. Eine große Familie ist ein wunderbarer Lebenszweck. Sie festigt die Ehe. Und auch für die Kinder ist das gut. Ich war ein Einzelkind, und das ist ein großer Nachteil." Fowler weiß, dass Miss Hei gegen sein Verhältnis mit Phuong ist und sich einen jüngeren, unverheirateten Mann für sie wünscht. Er merkt natürlich auch, dass Pyle sich in Phuong verliebt hat. Mit einem Mal sah ich mich selbst, wie er [Pyle] mich sehen musste, als einen Mann in mittleren Jahren, die Augen leicht gerötet, mit beginnendem Fettansatz, plump und ungelenk in der Liebe, weniger aufdringlich als Granger vielleicht, aber zynischer, weniger unschuldig ...
Um Material für einen Artikel über den Krieg zu sammeln, nutzt Fowler seine guten Beziehungen zu einem französischen Marineoffizier. Mit dessen Hilfe kommt er unkontrolliert von Hanoi nach Nam Dinh und von dort auf einem Landungsboot nach Phat Diem. In dieser zwischen den französischen Kolonialherren und den Vietminh umkämpften Gegend stößt er auf zahlreiche Leichen.
"Hätte das nicht warten können, bis ich zurückkam?", fragte ich. "Nächste Woche bin ich wieder in Saigon." Erst nach drei Wochen kehrt Fowler nach Saigon zurück. Pyle, der bereits vor ihm eintraf, sucht ihn und Phuong auf, um seinen Heiratsantrag zu machen. Weil Phuong kein Amerikanisch versteht, übersetzt Fowler, was Pyle sagt, ins Französische. "Nun, Phuong", sagte ich, "willst du mich verlassen und zu ihm gehen? Er wird dich heiraten. Ich kann es nicht. Du weißt, warum."
Phuong lehnt Pyles Antrag ab. Erschrocken über die Gefährdung seiner Beziehung mit Phuong schreibt Fowler seiner Frau in London und bittet sie um ihre Einwilligung zur Ehescheidung, damit er seine Geliebte heiraten kann.
[Pyle:] "Aber sie liebt Sie doch, nicht wahr?" Auf Pyles Frage, warum er nicht zu seiner Frau nach London zurückkehre, antwortet Fowler: "Es ist nicht leicht, mit einem Menschen zusammenzuleben, dem man Leid zugefügt hat." Im Dunkeln werden sie von einer militärischen Einheit angegriffen, und bei der Flucht verstaucht Fowler sich den linken Knöchel. Pyle schleppt ihn ein Stück weit, um ihn aus der Gefahrenzone zu bringen. Fowler wundert sich:
"Es wäre für Sie besser gewesen, wenn Sie mich dort liegen gelassen hätten."
Dann läuft Pyle allein weiter, um eine französische Patrouille zu finden und Hilfe zu holen. Selbstlos rettet er seinem Freund und Rivalen das Leben.
"Ja. Ich wollte, Sie hätten ihn nicht geschrieben."
Fowler erfährt, dass Phuong ihrer Schwester voller Freude Helens Antwortbrief zeigte. Miss Hei, die inzwischen im Büro des US-Handelsattachés arbeitet, und im Gegensatz zu Phuong Englisch versteht, las den Brief und erzählte auch Pyle von der Lüge Fowlers. Es war unmöglich, sich eine von beiden als Opfer einer zügellosen Leidenschaft vorzustellen: Zerknüllte Betttücher und der Schweiß von Sex gehörte nicht zu ihnen. [...] Ich stellte fest, dass ich sie einen Augenblick lang um ihre sterilisierte Welt beneidete, so verschieden von jener, die ich bewohnte – und die jetzt mit einem Schlag und auf unerklärliche Art in Trümmer sank. Zwei von den Wandspiegeln kamen auf mich zugeflogen und zerbarsten auf halbem Weg.
Auf der Place Garnier ist eine Bombe explodiert. Mindestens fünfzig Tote und schwer Verletzte liegen herum. Um diese Zeit pflegt Phuong in der Milchbar auf der anderen Seite des Platzes zu sein. Fowler rennt los, aber ein Polizist versperrt ihm den Weg. Er kann seinen Presseausweis nicht finden. Da kommt Pyle und beruhigt ihn: Phuong sei bestimmt nicht in der Milchbar gewesen. Er habe sie rechtzeitig gewarnt, nicht hinzugehen.
"Heng, was kann ich unternehmen? Man muss ihm das Handwerk legen." Fowler soll sich mit Pyle zwischen 21.30 und 22.00 Uhr im "Vieux Moulin" zum Essen verabreden. Als der Journalist zögert, gibt Heng ihm Bedenkzeit. Wie wäre es, wenn er Pyle am frühen Abend in seine Wohnung einlüde und mit ihm rede. Falls er dann am Fenster ein Buch aufschlage, wüssten Hengs Leute Bescheid.
"Und was haben Sie vor?"
"Früher oder später muss man Partei ergreifen", sagt Heng. "Wenn man ein Mensch bleiben will."
Ich saus' durch die Straßen ganz achtlos dahin. Sie verabreden sich im "Vieux Moulin".
"Es spielt keine Rolle, wenn sie später kommen. Sollten Sie wirklich aufgehalten werden, dann besuchen Sie mich nachher hier. Um zehn bin ich wieder daheim und warte auf Sie, falls es Ihnen mit dem Dinner nicht ausgehen sollte."
Im "Vieux Moulin" lässt er sich einen Tisch für eine Person anweisen. Pyle erscheint nicht, und spätabends wartet Fowler auch zu Hause vergeblich auf ihn. Um Mitternacht geht er auf die Straße hinunter und trifft dort Phuong, die sich Sorgen um Pyle macht. Er nimmt sie mit in seine Wohnung. Dort werden sie zwei Stunden später von einem Sicherheitsbeamten abgeholt, zu Inspektor Vigot gebracht und noch in der Nacht über Pyle befragt. "Dann werde ich mich wohl auf den Weg machen. Ich glaube nicht, dass ich Sie noch einmal belästigen werde." Als Phuong vom Kino nach Hause kommt, zeigt Fowler ihr ein Telegramm seiner Frau: Sie hat nun doch über ihren Anwalt eine Scheidungsklage eingereicht. "Das ist dein Happy-End", sagt Fowler.
Seit seinem Tod war mir alles geglückt. Doch wie sehr wünschte ich, dass jemand existierte, dem ich hätte sagen können, wie Leid es mir tat. |
Buchbesprechung: Die verbreitete Unterschätzung, der die Romane Graham Greenes [...] begegnen, geht nicht zuletzt auf den pathetischen Kulturbegriff eines Publikums zurück, das literarischen Rang nicht ohne Verständnismühe und einen Hauch anspruchsvoller Langeweile denken kann. (Joachim Fest in: "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 10. April 1982)
Die melodramatische Dreiecksgeschichte zwischen einem Briten, einem Amerikaner und einer Vietnamesin ist mit der politischen Entwicklung im Indochina-Krieg verknüpft. Phuong symbolisiert das von der alten Kolonialmacht England und der neuen Weltmacht USA umworbene Vietnam. Das klingt nach einer Konstruktion. Aber Graham Greene lässt nicht einfach drei repräsentative Figuren auftreten, sondern drei Charaktere mit Fleisch und Blut, Schwächen und Stärken: die Vietnamesin Phuong, den Engländer Fowler und den Amerikaner Pyle.
Phillip Noyce hat den Roman meisterhaft verfilmt: "Der stille Amerikaner". |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003 Textauszüge: Paul Zsolnay Verlag Seitenanfang |
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