Anna Mitgutsch: Die Züchtigung (Roman) |
Anna Mitgutsch: Die Züchtigung |
Inhaltsangabe:Kurz nach der Geburt des ersten Kindes, Fanni, wird die Ehefrau des wohlhabenden Bauern erneut schwanger. Sechs Wochen gibt's jetzt Ruh, hatte die Hebamme zum Bauern gesagt, als sie mit den blutigen Tüchern an ihm vorbei zum Herd ging. Aber in der nächsten Nacht schon fiel er über sie her, sie stöhnte, au, du tust mir weh. Halt's Maul, hatte er gesagt, soll ich zu einer anderen gehen, ich brauch nur mit dem Finger zu schnalzen. Sie schwieg und biss die Zähne zusammen, es würde ja gleich vorbei sein. Er war zwölf Jahre jünger als sie, der schönste Mann im Dorf. Die Frauen kriegten einen wiegenden Gang, wenn sie seinen Blick im Rücken spürten. Du Vieh, stieß sie zwischen den Zähnen hervor, er hörte es nicht mehr, er rollte zur Seite, drehte ihr den Rücken zu. Sie setzte sich auf, der Schmerz raste, stopfte sich noch zwei Windeln zwischen die Beine. Das Kind war groß gewesen, die Risse mussten von selbst verheilen, und er stieß ihr in der Euphorie der Vaterschaft seinen Samen in den zerrissenen Schoß. Nacht für Nacht. Solang man stillt, kann nichts passieren, hieß es. Es passierte etwas. Neun Monate später kam Marie zur Welt. Wieder ein Mädchen.
Marie wird 1922 geboren. Als sie neun Monate alt ist, amputieren die Ärzte ihrer Mutter im Krankenhaus eine Brust. Der Vater kommt nächtelang nicht nach Hause. Maries Beine sind plötzlich gelähmt. Das bleibt neun weitere Monate so, bis ihre Mutter eine Wallfahrt nach Altötting unternimmt. Melken, Schweinefüttern und Grasmähen ist Weiberarbeit, kein Mann würde sich mit dieser Arbeit die Hände dreckig machen.
Nachdem Marie vier Wochen lang jeden Morgen um 4 Uhr aufgestanden ist, geht sie wieder zur Schule. Aber der Vater darf sie nicht erwischen, wenn sie abends nach dem Melken ihre Hausaufgaben macht, denn er hält den Schulunterricht für Zeitverschwendung und kann selbst kaum seinen Namen schreiben. Sie empfand nichts so stark wie das Gefühl, betrogen worden und zu kurz gekommen zu sein.
In den Eheringen stimmen weder die Initialen noch die Daten, denn Friedl kaufte sie von einem Kriegskameraden, der seine Frau mit einem anderen Mann im Bett erwischte, als er aus der russischen Gefangenschaft nach Hause kam. Von dieser Nacht sprach sie später als einer der größten Demütigungen ihres Lebens, als einer mit körperlichem und seelischem Schmerz ertragenen Einsamkeit.
Er verdient inzwischen Geld als Schaffner in der Stadt und hat zwei Zimmer auf einem Bauernhof gemietet. Wasser muss von einem Brunnen geholt werden, und das Plumpsklo befindet sich im Freien. Die Bäuerin reißt Marie die frisch gewaschenen Betttücher von der Leine und schleudert sie in Wasserlachen, der Bauer kehrt neben ihrer Weißwäsche den Ofen. Sie hatte nie gedacht, dass sie so tief fallen konnte, um Essen zu bitten.
Wenn sie bei der Ernte hilft, kriegt sie zu Hause sogar einen Rucksack voller Nahrungsmittel.
Das ledige Kind von Maries jüngerer Schwester, das Kind der Liebe, der Bankert, der ihnen die Schande unehelicher Zeugung ins Haus gebracht hatte, lachte, sang und war Großvaters Liebling. Und ich, das Kind ehelicher Pflichterfüllung, saß dunkeläugig und schmal in einer Ecke und schmollte, weil mich niemand mochte [...] So ein ungutes Kind, sagten die anderen, und Mama schämte sich meiner. Auf dem Bauernhof lernte ich, dass ich ungeliebt und im Weg war.
Nach vier Jahren in der feuchten Zwei-Zimmer-Wohnung auf dem Bauernhof, als Vera drei Jahre alt ist, kaufen Friedl und Marie Kovacs von Flüchtlingen aus Ungarn, die in die USA auswandern, ein kleines Haus auf einem Pachtgrund am Stadtrand. Das Geld borgt Marie sich von ihrem Vater und von ihrer Schwester Rose, die inzwischen als Schneidermeisterin einen eigenen Betrieb führt. Die Kovacstöchter hatten in die Stadt geheiratet, sie wohnten in finsteren Mietwohnungen, und ihre Kinder waren blass und zart. Marie empfand eine herablassende Freundlichkeit für sie, die leicht in Verachtung umschlug. Es mangelte ihnen an Demut, denn schließlich waren sie Häuslertöchter, auch wenn sie sich jetzt wie Damen gebärdeten und ihre zunehmende Fülligkeit zeigte, dass sie auch wieder genug zu essen hatten. Marie hat sich vorgenommen, die unguten Anlagen der Kovacs aus Vera herauszuprügeln.
Aber mein Kind wird einmal ein anständiger Mensch, schwor sie Marie, keine Zigeunerin wie die Kovacs-Mädchen, auch wenn sie zehnmal in die Art schlägt. Als Vera in die Schule kommt, wundert die Lehrerin sich darüber, dass sie in die Hose macht und spricht besorgt mit Marie. Die wird wütend, weil ihr das Kind Schande macht. Wenn Vera beim Schreiben Schaukel statt Schaufel schreibt, stößt Marie ihr den Kopf aufs Heft, bis Blut aus der Nase quillt. Auf diese Weise entwickelt Vera sich zur Musterschülerin. Aber im Grund waren die Einser die Leistung meiner Mutter und ihrer vorbildlichen Erziehung.
Bei einer Reihenuntersuchung bemerken der Amtsarzt und die Lehrerin die Striemen und Hämatome an Veras Körper. Nachdem sie sich vielsagend angesehen haben, fragt der Arzt das Kind, ob es vom Vater geschlagen werde. Marie verneint und behauptet, hingefallen zu sein. Daraufhin unternehmen weder der Arzt noch die Lehrerin etwas. Die Schulden vom Haus waren abgezahlt, ihr [Maries] Vater hatte sich jeden Schilling zurückzahlen lassen, das Hungern war vorüber, aber die Armut noch nicht, und die Leute sagten bewundernd, wie Sie das schaffen, Frau Kovacs, die Familie so fein ausstaffiert von einem Arbeitergehalt. Sie schaffte es, aus dem billigsten Fleisch saftige Braten zu machen, sie selbst aß Brot, das schon alt und beim Bäcker billig zu haben war, während sie für die Schuljause fünf Deka Schinken und eine Semmel kaufte. Sie gab im Lebensmittelgeschäft vor, eine Katze zu haben, und bekam billige Abfälle. Kurze Zeit nahm sie Heimarbeit an und nähte vorgefertigte Badeanzüge zusammen, aber der Nebenverdienst war so gering, dass sie es wieder aufgab. Wie wär's mit einem Halbtagsverdienst, jetzt, wo das Kind erst am Nachmittag heimkommt, schlug mein Vater schüchtern vor. Bei den Großkopferten putzen gehen, fragte sie empört, lieber verhungere ich.
Marie ist der Meinung, dass Vera ein Musikinstrument lernen soll. Eine Zither wäre vorhanden, aber Marie meint, damit könne man nur Bauernmusik machen. Also wird ein Klavier angeschafft, obwohl weder das Geld noch der Platz dafür vorhanden sind. Nach vier Jahren und drei Klavierlehrerinnen kriegt Vera bei einem Schulkonzert als Einzige keinen Applaus. Danach braucht Vera nicht mehr zu üben, aber sie fühlt sich schuldig, weil der ganze Aufwand ihrer Mutter umsonst war.
Nach der Kirche musste ich mich nackt ausziehen und wurde mit dem Teppichklopfer geschlagen, bis ich bewegungslos und lautlos auf dem Boden lag, und mein Vater sagte, da siehst du, was du mit deiner Brutalität anrichtest, erschlagen tust du das Kind noch. Aber als ich geschrien hatte, Papa, Papa, hilf, war er auf dem Sofa gesessen und hatte nicht gewagt, in die Züchtigung einzugreifen.
Diesmal setzt Vera ihren Willen durch: Sie unterzieht sich der Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium – und besteht sie. Es waren nicht mehr nur der Schmerz und die blauen Flecken [...], sondern es war vor allem die Demütigung, mich vor ihr ausziehen zu müssen, um die Schläge zu empfangen, die Demütigung, mich mit nacktem Unterkörper schreiend und hilflos von Möbel zu Möbel taumelnd unter ihren Schlägen zu winden. Unvermittelt wird Vera wieder zur Streberin und Klassenbeste. Sie nimmt zu. Marie lobt sie als brave Esserin. Aber Vera findet sich schließlich zu dick und wird magersüchtig. Das bleibt sie sieben Jahre lang. Als ich vierzehn war, bekam ich die letzten Schläge. Wir wurden die besten Freundinnen, ich erzählte ihr nichts, sie mir alles. Ich war gut dressiert, meine Antworten waren spontan und entsprachen ihrer Erwartung. Ich brauche kein Fahrrad, es wäre zu gefährlich für mich. Alle in der Klasse gehen auf den Ball, das wäre mir zu kindisch. Meine Freundin Eva hat einen Freund, der sie geküsst hat, wie widerlich. Während Angela durch ein nicht eheliches Kind Schande über die Familie brachte und erst heiratete, als die Tochter Monika vier Jahre alt war, hält Marie sich für vorbildlich. Im Leben ihrer Schwestern gab es Turbulenzen, Marie war der unerschütterliche Fels, bei ihr ging alles wie am Schnürchen, das Geld reichte bis zum Monatsersten, und man konnte noch was aufs Sparbuch legen, das Kind lernte brav, der Mann trank nicht und ging nicht fremd, sie führte eine gute Ehe. Mit neunzehn verlässt Vera das Elternhaus. Nicht zuletzt, um gegen die Mutter zu rebellieren, lässt sie sich deflorieren.
Eines Nachts, in der niemand die Stunden zählte, warf ich ihr Kleinod ins Meer, die südlichen Sterne schlugen über mir zusammen, und es war weder schrecklich noch sündhaft noch demütigend [...] Ich hatte sie endlich besiegt. Nichts von dem stimmte, was sie mir erzählt hatte, nichts mehr davon würde mich berühren können, ich war unverwundbar. Von dieser Nacht an würde ich nicht mehr ihre Tochter sein.
Ein halbes Jahr nachdem Vera zu studieren angefangen hat, muss ihre Mutter ins Krankenhaus. Die Ärzte schweigen sich aus, aber es ist Krebs. Kurz bevor Marie stirbt, erklärt sie ihrem Mann, welche Trauerkleidung er für Vera kaufen soll. |
Buchbesprechung:
Marie erfährt von klein auf, dass sie unerwünscht ist. Als sie es zu Hause nicht länger erträgt, heiratet sie einen Häusler – und wird zwei Jahre später ungewollt schwanger. Die vermeintlich schlechten Erbanlagen der väterlichen Linie versucht
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Anna Mitgutsch (Kurzbiografie / Bibliografie) |