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J. F. Dam: Die Nacht der verschwundenen Dinge.


Leseprobe:

9. Dezember

Seit vielen Tagen träume ich nur noch. Ich gehe ins Büro und träume. Ich stehe mit meinem Tabletcomputer voller Detailpläne im Regen auf der Glasturmbaustelle und bin an meinem Traumort. Ich komme nach Hause, stelle den Fernsehapparat an und träume. Ich lese Zeitung, schreibe an Freunde, dann nehme ich meinen Mut zusammen und schreibe an Helen - dabei träumend. Wenn ich mit Christina esse, träume ich. Und Christina bemerkt es kaum. Sie quasselt mich stets voll mit Arbeit, Mode, dem Preis, den sie demnächst kriegen kann. Vor dem Einschlafen träume ich. Wenn ich aufwache, geht der Traum weiter. Vor meinem Bildschirm im Büro träume ich erst recht. Monika ist diejenige, die das bemerkt, sie ahnt, was mit mir los ist. Doch ich weiche ihr konsequent aus.
Was ich träume? Ich habe schon eine Menge Varianten durch. Aber insgesamt geht es etwa so: Wir befinden uns in einer sonnigen, endlosen, bewaldeten Hügellandschaft, in der Ferne Berge. Wir haben Rucksäcke auf dem Rücken, Wanderschuhe an den Füßen. Die Landschaft kennt viele Täler, Flüsse, lauschige Bachecken, Blumenwiesen. Helen und ich sind vollkommen frei. Ein Gefühl von Freiheit, wie ich es im realen Leben noch niemals gespürt habe. Wir sind frei zu gehen, wohin wir wollen. Einmal schlafen wir in einem kleinen Zelt, das ich trage, dann nehmen wir uns ein Zimmer in einer Pension, für eine Nacht, oder für fünf Nächte. Es kümmert niemanden. Es gibt in diesem Traum kein Telefon, kein Büro, keine Klinik, keine Kinder (und vor allem weder Michael noch Christina). Niemand vermisst Helen oder mich. Die Welt hat uns vollkommen vergessen. Wir sitzen auf einer Wiese, dann trinken wir aus einem Bach. Dann wieder ziehen wir uns mitten im Wald aus und verkriechen uns ineinander. Wir verkriechen uns so sehr ineinander, dass ich weder im Traum noch in der Wirklichkeit sagen kann, wo mein Körper aufhört und Helens (fiktiver) Körper anfängt. Wir machen Liebe, wir weinen, schreien, wir belecken uns, wir sind einer in zwei Körpern. Es gibt keinen Unterschied. Meist sind wir ernst. Wir lachen nicht viel. Wir sind Teil eines Gottesdienstes, wir verschmelzen miteinander und mit der uns gerade umgebenden Natur. Mit den Bettlaken der Pension, mit dem Wasser in der Badewanne eines guten Hotels in einer Stadt, die unsere Wege kreuzt. Mit dem Meer, auf das wir in einer (lange favorisierten) Traumvariante stoßen. Wir essen immer endlos Frühstück. Im Wald auf Decken oder in Hotelbetten oder an Holztischen auf Holzveranden in Dörfern. Wir essen mittags nur einander. Abends nur einander. Nachts stehen wir manchmal auf, um zu essen. Wenn wir schlafen, schlafen wir entweder aufeinander oder so sehr umschlungen, dass keiner von uns beiden sich bewegen kann, ohne den anderen zu wecken. Wenn wir uns umarmen, umarmen wir uns eigentlich nicht, sondern pressen uns stets so sehr ineinander, als könnten wir auf diese Weise die doppelte Hautbarriere überwinden und endlich, endlich eins werden. Wir trinken prinzipiell aus dem Glas des anderen, wir essen vom Teller des anderen, wir trinken- in einer Traumvariante, die uns in einer Wüste in die Irre führt - den Urin des anderen (bevor wir selig und umschlungen verdursten werden).
Es kommt in diesem Traum manchmal zu Einbrüchen des Irrealen. Ein drohender Brief wird uns in einem Hotel überreicht, ein Telefon klingelt irgendwo, der dunkle Porsche Phillips fährt vor, als wir gerade eine einsame Landstraße entlanggehen. Eine Polizeistreife hält uns in einem Städtchen an und fragt um Ausweise, die wir natürlich nicht besitzen. Wir meistern alle Schwierigkeiten. Der Traum hat kein Ende. Er geht einfach immer weiter. Ich bin süchtig nach ihm. Ich kann in diesen Tagen ohne ihn gar nicht mehr leben. Helen schreibe ich niemals davon. Ich werde ihr einst in allen Einzelheiten berichten....und alles mit ihr dann genauso wie ein Traum...das, ja das, ist das fiktive Ende des Traums.

(S. 149-151)

© Deuticke Verlag, Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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