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Leseprobe: Karl-Markus Gauß - "Ins unentdeckte Österreich."

Länger als das Land von den Soldaten der Allierten war das Wort Österreich von denen besetzt worden, die sich mit ihm über jeden Verdacht erhaben und außer Diskussion gestellt wähnten. So wurde Österreich für die Skeptischen der jungen Österreicher nach und nach zum Inbegriff der Vertuschung, an der sie litten und die sie nicht aufzubrechen wußten. Beflügelt von Enttäuschung, wagten sie stattdessen den großen Sprung - den Sprung von Gefühl und Gedanke, der sie ein ganzes Land mit denen verwechseln ließ, die sich seinen ideologischen Besitz teilten. Damit wurde es endlich leichter. Alles an Österreich war künftig irgendwie mißraten, und was nicht mißraten war, konnte nichts mit Österreich zu tun haben, was in Österreich geschah, war folglich entweder österreichisch, also provinziell, oder nicht provinziell, also nicht österreichisch. Kaum brach einer in den rebellischen sechziger, siebziger Jahren mit der Selbstzufriedenheit, mit der vom Präsidenten bis zum Schulwart alle Repräsentanten des Staates unverwundbar dick gepolstert schienen, schon schlug seine Revolte nicht gegen diese Repräsentanten, sondern gegen Österreich im allgemeinen.
Denn da die Geschichtslosigkeit unser Verhängnis ist, wurde sie von Generation auf Generation weitervererbt, und die da antraten, die Väter für ihre flinke Vergeßlichkeit zu tadeln, vergaßen begeistert gleich selber, was ihnen nicht ins Konzept paßte. Die Kritik glaubt sich bei uns immer ganz neu und hat doch ahnungslos wie respektlos, von den Wünschen und Plänen, den Kämpfen und Niederlagen der Vorangegangenen bloß nicht Kenntnis genommen.
Nirgendwo sonst können sich daher Biedermänner so lange als Rebellen, historische Spätlinge als Avantgardisten aufspielen: Jedesmal, wenn sie das Rad neu erfinden, glauben sie sich kühn über alle Erfahrung der Welt hinweggesetzt zu haben.
Was ihnen, die die Zweite Republik der Gründerväter kritisierten und sich dabei ein Österreich des ewigen Faschismus, der allezeit zu jeder Meucheltat bereiten Untertanen erfanden, alles nicht ins Konzept paßte: die Entwürfe einer demokratischen, seiner Geschichte innewerdenden Nation, wie sie im Exil und Widerstand und von gar nicht so wenigen Häretikern der Zweiten Republik verfochten wurden; die patriotischen Pläne, die auf eine selbstkritische, keine selbstzufriedene Republik zielten; die Österreicherinnen und Österreicher, deren Träume mit der Prosperität keineswegs erfüllt waren; die Versuche, die Revolten und Brüche der Geschichte bekannt zu machen, die subversiven Momente der österreichischen Identität zu fördern, an soziale und kulturelle Errungenschaften der Ersten Republik anzuschließen, die realen, die nicht operettenhaft verklärten Traditionen einer österreichischen Weltoffenheit zu nutzen . . . Ach, so vieles, das ihnen nicht ins Bild paßte, haben die vergeßlichen Kritiker österreichischer Vergeßlichkeit einfach gestrichen, verleugnet, sich wahrzunehmen, zu erforschen, aufzuspüren geweigert. Österreich wurde mit dem Negativ identifiziert, das entsteht, wenn man das allgemein bekannte, halbamtliche Farbfoto in der Dunkelkammer der Geschichtslosigkeit nachbehandelt; die Wahrheit ist aber nicht zu entwickeln, wenn bloß die Farben getilgt werden, in denen ein Bild gehalten ist, und schwarz erscheint, was zuvor farbig war. Nicht die Farbe, das Bild war falsch. (S. 17ff.)

Aus dem Amt gejagt, von der Obrigkeit malträtiert und einer aufgehetzten Meute verfolgt, hungernd oder in Bitternis verstummt - die österreichische Literatur prägt sich gleich in jener Epoche, da sie einige ihrer lange fortwirkenden Traditionen begründet, in drei Charakteren aus, denen wir in der unbekannten, der abgewiesenen und verleugneten Kultur dieses Landes noch öfter begegnen können. Wie verschieden sie an Talent und Naturell auch waren, allen dreien, Weidmann, dem hungrigen Gelehrten, Geißau, Berghofer, gebrach es gleichermaßen an jener Frömmigkeit des stillen Verzichts, die für die Literatur ihrer Zeit als bestimmend galt und seither oft gar für das eigentliche Wesen des Österreichischen ausgegeben wurde. Die Religion des Maßes und der Zufriedenheit haben sie nicht verkündet und der Weisheit des Duldens und bescheidenen Ertragens nie gehuldigt. Unzweifelhaft, daß ihr Auftritt gescheitert ist, nicht nur weil sie von der Bühne geschickt wurden, sondern auch weil die kommenden Generationen vergaßen, daß sie überhaupt aufgetreten waren. Nur weil das Historische bei uns ganz abgetan ist, können die sogenannten Patrioten und die sogenannten Nestbeschmutzer, die biederen Verehrer wie die blinden Verächter Österreichs einander so familiär ergänzen. Geifernd verwandt, sitzen sie vor dem nämlichen Bild, nur deuten sie es anders. Was dem einen als Idylle teuer, ist dem anderen als Hölle heilig. Entscheidend aber bleibt, daß sie vor einer Fälschung sitzen. Denn aus ihrem Gemälde Österreichs ist die Spur der Revolte getilgt, die sich durch die österreichische Geschichte zieht.
Das trotzige Verlachen der Mächtigen wie der Macht der Verhältnisse, die Unversöhntheit noch im Scheitern - diese Formen der Revolte sind in der österreichischen Literatur das ganze 19. Jahrhundert über mindestens so häufig anzutreffen wie die verschiedenen Formen der Aussöhnung mit Welt, Herrschaft, Ordnung. Seltsam, daß in das Bild der österreichischen Literatur diese Widerständigkeit kaum, die Aussöhnung aber überdeutlich eingezeichnet ist - eine Aussöhnung, die ihr von ihren Verehrern gerne gutgeschrieben, von den Verächtern vorgeworfen, jedenfalls der österreichischen Literatur von beiden gleichermaßen zugeschrieben wird. (S. 138f.)

(c) 1998, Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

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