Kein großer Sommer war das, Judy, es wurde kälter, ich zog über meine sommerbrauenen Beine Wollstrümpfe an, die bis über meine Knie reichten. Ihm gefiel das. Er hatte sich ein Auto ausgeliehen, wer weiß von wem, ich wußte es jedenfalls nicht. Am Morgen waren wir losgefahren, und fuhren kreuz und quer durch die Gegend, fuhren von den Straßen herunter, auf Schotterwegen und auf Feldwegen, und ich sagte: "Wohin fahren wir denn?"
Dein Vater, Judy, machte ein Gesicht wie einer, der sich vornimmt, Rache zu üben. Kaute etwas mit den Schneidezähnen, heftig und eilig. Sprach nichts mit mir. Ein weißes Hemd trug er, mit Perlmuttknöpfen, die in Metall gefaßt waren, das kannte ich nicht, sonst kannte ich alle seine Hemden.
Irgendwo draußen im Ried, wo ich noch nie vorher gewesen war, hielt er vor einem Haus, das von großen Tannen umstanden war und zugebuscht war von allem möglichen, zugeschüttet mit Grünem, nur ein Dreieck vom Hausdach konnte man sehen. (S. 44f.)
Ich blicke Vasko an. - Nein, Sonja, du hast nicht seine Brauen, du nicht, Judy hat sie, denk dir Judys Brauen, die so gerade sind wie die Brauen von Marlon Brando. Was sind schöne Männerbrauen? Definition: die Brauen von Marlon Brando. Die sind von Mamas oberstem Herrn entworfen. Es sind Männerbrauen, Sonja. Darum bist du hübscher als Judy. Glaubst du das nicht? Nein, ich glaube es auch nicht. Ich weiß doch, daß Judy hübscher ist als du. Aber das sage ich dir nicht. Ich bin nicht glücklich, also kann ich die Menschen und die Dinge dieser Welt nicht definieren. - Ich blickte Vasko an und dachte, wie wird er reagieren, wenn wir ewig so lästig sind, Mama und ich. Wird er auf Mamas neue Matratze pfeifen, oder hält er durch, will er sie so sehr?
Er stand da, das rechte Bein leicht eingeknickt, und betrachtete uns. An seinen Wangen glitzerten harte, blonde Haarstoppeln. Einen Blickschuß schickte er auf mich, dann einen auf Mama. Er wirkte nicht ungeduldig. Auch nicht amüsiert. Auch nicht geistesabwesend. Hätte ja sein können, daß er gerade auf einem anderen Weg war, als er Mama traf. Wie hatte sie ihn kennengelernt? Sie hatte ihn von seinem Weg abgebracht. Das kann sie. Wäre es nicht wahrscheinlich, daß er in Gedanken schon weiter auf seinem Weg war? Er machte einen runden Mund, sog die Luft ein, hob seine unvergleichlichen Brauen und sagte: "Siehst du, Bruna, ich weiß auch nicht, wer mein Vater ist." (S. 66f.)
(c) 1998, Piper, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.