13 Jahre Burgtheater 1986 - 1999
Spieldauer 73:26 Min.
Wien: ORF, 2002
Jahrelang sind der Theatermacher und sein Assistent durch die Lande getingelt und haben Geschichten erzählt, Geschichten aus einer Zeit, die längst vorbei ist, aber durch Legenden und Anekdoten gerne am Leben gehalten wird: Damals war Claus Peymann Burgtheaterdirektor, sein Hausautor Thomas Bernhard hat seine Heimat zur "Weltkomödie Österreich" erklärt und Claus Peymann hat Regie geführt bei dieser Weltkomödie. Er hat Österreich immer wieder so geschickt erregt, dass man meinen hätte können, er wäre eine Figur aus der Feder von Thomas Bernhard. Bernhard hat ganz Österreich zur Bühne erklärt, Peymann hat Österreich inszeniert - ein perfektes Duo.
Im Gegenzug ist Peymann einige Male zu einer Figur in Bernhards Dramoletten geworden. Aber nicht nur Bernhard hat das theatralische Kapital Peymanns erkannt und festgehalten: Auch Peter Turrini hat zum Wien-Abschied des Burgherrn (13 Jahre hat Peymann das Geschick des Hauses geleitet) eine ziemlich witzige (typisch österreichische) Peymann-Aneignung geschrieben: nach Peymanns überraschendem Tod auf der Autobahn auf dem Weg nach Berlin, sind plötzlich alle Österreicher Peymann-Fans, sogar jene, die zu Lebezeit die ärgsten Feinde waren, wie Fritz Muliar und die Freunde des Burgtheaters. Nachzulesen sind diese kleinen, liebevoll ironischen Hommagen in einem exquisiten Geschenk, das sich der Ex-Burgtheaterdirektor zum Abschied von Wien selbst gemacht hat: Die beiden Bände von "Weltkomödie Österreich" haben 5,6 Kilo gewogen und waren 1348 Seiten stark. Auf ihren zahlreichen Lesetouren im In- und Ausland haben Peymann und sein Dramaturg Hermann Beil noch einmal all jenen, die die Jahre miterlebt haben, die pointiertesten Highlights präsentiert und all jenen, die nicht dabei waren, ein veritables Kabarettprogramm geliefert.
Der ORF hat am 10. November 2002 bei einem Auftritt in Wien mitgeschnitten und ein spannendes Zeitdokument publiziert. Aus der Distanz ist diese Lesung in mehrfacher Hinsicht interessant: Für Theaternarren, weil Textauszüge und Briefe von Thomas Bernhard, Thomas Brasch (zu seiner Übersetzung von "Richard III"), Elfriede Jelinek ("Der Tod und das Mädchen"), Antonio Fian ("Peymann oder Der Triumph des Widerstands"), Christoph Ransmayr ("Luftburgtheater"), Sätze von George Tabori oder Einar Schleef rezitiert werden, für Kabarettfreunde, weil Peymann und Beil inzwischen ein bestens eingespieltes Komikerduo geworden sind - Ulrich Weinzierl hat die unterschiedlichen, einander bestens ergänzenden Temperamente einmal so beschrieben: "Wenn Peymann fühlte, dachte Beil, wenn Peymann wütete, lächelte Beil, wenn Peymann ausritt, blieb Beil zu Hause." Wenn die beiden für Lesungen gemeinsam ausreiten, dann wird einem aber auch das Absurde des Unterfangens deutlich: Wie sehr Peymann doch an seiner Wienzeit hängen muß, als jede Erregung sofort öffentliche Wellen geschlagen hat, anstatt, wie im abgebrühteren Berlin, wo Peymann mit seinem eher gutbürgerlich kulinarischen Theater am Berliner Ensemble eine Marginalie in der innovativen Theaterlandschaft darstellt. Man versteht die Wehmut, die Peymann natürlich nie direkt zugeben würde.
Man bekommt aber auch noch einmal den politischen Aberwitz vorgeführt, der sich in Österreich breit macht: Die hämische und unverblühmte "Lyrik" von Wolf Martin aus der Kronenzeitung, die kunstfeindlichen Wahlkampfplakate der FPÖ oder Jörg Haider, der gegen den "deutschen Kulturimport" wettert und meint, wenn Peymann geht "wird Österreich wieder Kulturnation". Neben Politikerentgleisungen, denen natürlich etwas zu entgegen ist, werden aber auch Widersprüche deutlich, die man zum Peymann-Bernhard-Theater diskutieren müßte (oder: diskutieren hätte müssen). Während Thomas Bernhard in einem Brief an Peymann gegen "den geist- und kunstlosen Staat" routiniert wettert, entgegnet Kollege Heiner Müller kritisch "Thomas Bernhard ist auch nur ein Beamter", der für seine Österreichbeschimpfung eigentlich vom Staat bezahlt werden müsse, denn der Staat brauche Skandale, die davon ablenken, was man eigentlich verhandeln müßte: nämlich soziale Fragen. Müllers wieder ironische Conclusio: "Es gibt keine bessere Österreich-Werbung als Thomas Bernhard."
Von Einar Schleef ist ein Text über den Chor dabei und eine private Anekdote: Vor Beginn der Probenarbeit setzte sich Schleef auf Diät, damit "das Fettröllchen kleiner wird und ich sitzen kann". Von Peter Handke ist folgendes Bonmot enthalten: "Die schönsten Inszenierungen sind die, die am Leben vorbei gehen, aber es streifen."Weltkomödie Österreich" ist insgesamt ein ebenso gewitzes wie angeberisches, kluges wie selbstverliebtes Dramolett, bei dem viele mitspielen: Autoren, Theatermacher, Politiker, Medien, die Zuschauer - und jetzt auch die Zuhörer zu Hause an den CD-Playern.
Karin Cerny
15. April 2004