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Wolf Haas

Oktober 2006

Für einige Spannung sorgte diesen Herbst der neue Roman von Wolf Haas, denn diesmal ist es keine Fortsetzung seiner erfolgreichen Krimiserie um Privatdetektiv Brenner, diesmal ist es ein Liebesroman, der bereits vor seinem Erscheinen für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Der Titel: Das Wetter vor 15 Jahren. Nicht als Roman im eigentlichen Sinn, sondern als Gespräch mit der Redakteurin einer fiktiven Literaturbeilage hat Wolf Haas seinen Stoff inszeniert - als Interview über 224 Buchseiten. Gelegentlich wird das "Wetter vor 15 Jahren" daher als Meta-Roman bezeichnet. Um eine Art Meta-Interview handelt es sich demnach bei folgendem Gespräch via e-mail, das Georg Renöckl mit Wolf Haas geführt hat:

Georg Renöckl: Herr Haas, ich habe es vielleicht überlesen - aber was ist denn nun ein "Wettersteiger"?

Wolf Haas: Die Atemluft-Versorgung in den Gruben, also die "Gruben-Bewetterung" muss natürlich ständig kontrolliert werden, und dafür ist der Wettersteiger zuständig. (Das wird aber in meinem Buch nicht erklärt.)

Sie kennen sich im Grubenwesen offenbar sehr genau aus, kokettieren aber auch ein bisschen mit einer gewissen Lässigkeit, was die Recherche betrifft. Welche Rolle spielen für Sie das Recherchieren und die Glaubwürdigkeit Ihrer Geschichten? Der im Roman interviewte "Wolf Haas" will ja einerseits kein "Sklave der Wahrheit" sein und rechtfertigt kritisierte Passagen dann wieder damit, dass sich seine Geschichte eben so und nicht anders zugetragen hat.

Grundsätzlich kann natürlich nicht jede Aussage des "Wolf Haas" im Buch so einfach für bare Münze genommen werden, da er ja auch der ironischen Redeweise fähig ist. Der vielzitierte Satz "Dem Leser überlasse ich grundsätzlich nichts" ist z. B. angesichts meines Buches, das dem Leser sehr viel überlässt, als "indirekter Sprechakt" verstehbar. Der "Sklave der Wahrheit" bin ich vielleicht insofern nicht, als ich einen naiven Realismus ablehne, der die Sprache nur als Abbild einer gegebenen Realität auffasst. Es ist eine Paradoxie, die sich durch das ganze Buch zieht, dass ich mich immer wieder auf das recherchierte Material rausrede, und behaupte, dass ich mich dies und das sonst gar nicht zu schreiben getraut hätte, wenn es mir nicht von der Realität aufgezwungen worden wäre. Dabei beziehe ich mich meist ohnehin auf frei erfundene "Tatsachen". Genauso Teil des Textes sind ja auch die Reaktionen meiner Interviewerin, die mir meine faulen Ausreden nicht durchgehen lässt.

Was mir an dem Interview so gefällt, ist diese ständige Unsicherheit, wer da jetzt gerade spricht. Wer ist denn eigentlich "Wolf Haas"?

Das frag ich mich auch immer. Aber nicht nur beim Roman, sondern sonst auch. Besonders bizarr ist es für mich, dass ich in Interviews jetzt immer nach dem Unterschied zwischen dem Roman-Haas und dem richtigen Haas gefragt werde. Als wäre ich in einer Interview-Situation jemals der richtige Wolf Haas und nicht in der Künstlichkeit der Interview-Situation gefangen. Ich bin ja schon froh, wenn ich im Privatleben eine gewisse Deckungsgleichheit mit mir selbst aufrecht erhalten kann. Aber vielleicht ist das ja der Reiz dieses Buches, dass es diese Ich-Identität ein bisschen durcheinander bringt.

Ich möchte gerne an den oben auch von Ihnen selbst wieder zitierten Satz "Dem Leser überlasse ich grundsätzlich nichts" anknüpfen. Wie geht es Ihnen denn wirklich, wenn ein Leser Ihr Buch anders liest, als Sie das vorgesehen hatten?

Also mir haben Leser oft schon interessante Aspekte meiner Bücher erzählt, wo ich mir dachte, er oder sie hat recht, mir ist es aber nicht unbedingt aufgefallen. In diesem Interview-Roman ist auch klar, dass alles, was die Interviewerin sagt, genau gleich gilt wie die Antworten des Autors. Der Roman wird ja über die Fragen genauso erzählt wie über die Antworten. Wenn der "Wolf Haas" im Roman ihre Lesart dementiert, heißt das noch lange nicht, dass ich sie wirklich ablehne. Teilweise ist es einfach der uralte rhetorische Trick "Ich möchte unerwähnt lassen, dass...", über den die Romanhandlung erzählt wird. Wenn ich z. B. sage, ich hätte eine gewisse Stelle gestrichen, und durch diese Erwähnung des Streichens wirds ja doch wieder erzählt.

War mit dem neuen Roman auch ein Zurückgehen an den Start verbunden? Der erste Brenner und "Das Wetter vor 15 Jahren" haben ja gemeinsam, dass sie in einem Salzburger Fremdenverkehrsdorf mit nicht ganz abgeschlossener Vergangenheitsbewältigung spielen, und beide haben einen vertrackteren Titel, als man am Anfang glaubt.

Komischerweise ist mir die Ähnlichkeit des Schauplatzes selbst erst im Nachhinein richtig bewußt geworden. Ein Leser machte mich darauf aufmerksam, dass ihn sogar die Betonung der Stromkabel an die Liftkabel in "Auferstehung der Toten" erinnere. Das finde ich unglaublich, wie genau manche Leute lesen. Auch die Reaktion der Leser auf mein neues Buch bereitet mir einige Deja-vu-Erlebnisse. Beim ersten Buch, also lange bevor der Brenner-Stil sich etabliert hatte, fragten mich viele Leser leicht verärgert, warum ich diesen Krimi denn in so einer seltsamen Sprache und nicht "normal" geschrieben hätte. Jetzt höre ich ähnliche Fragen. Vielen Leuten merke ich ihr anfängliches Entsetzen an, dass sie anstelle eines "schönen" Roman-Tonfalls ein Interview vorgesetzt kriegen. Aber wie beim Brenner scheint es einen Umkipp-Effekt zu geben, und man "kommt rein", wie es so schön heißt.

Gab es eigentlich den Roman, über den im "Wetter vor 15 Jahren" diskutiert wird, in einer früheren Form tatsächlich als "normalen" Roman, oder ist der gleich in der Interviewform entstanden?

Weder noch. Es gab keinen fertig geschriebenen Roman, aber es gab schon sehr viele Versuche, so dass ich die Geschichte schon ziemlich fertig im Kopf hatte, als ich begann, statt dieses Romans das Interview darüber zu schreiben. Darum war es dann - nachdem ich zwei Jahre herumgeschissen hatte - eigentlich sehr einfach, das Buch in Form des Interviews hinzuschreiben.

Mich beeindruckt das, wie Sie es einerseits schaffen, im "Wetter vor 15 Jahren" etwas völlig Neues zu erfinden, und gleichzeitig vieles, was in den Brenner-Romanen bereits da ist, mit hineinzunehmen und weiterzuspinnen. Das Interesse für das Wetter zum Beispiel, oder der Spürterror, der mich an "Das ewige Leben erinnert". "Östreich" kommt schon im "Knochenmann" vor, und während der Hochzeitsszene gibt es eine ähnliche Kletterpartie wie in "Wie die Tiere" (wenn man da noch an den Perspektivenwechsel denkt, der in beiden Romanen ein Thema ist, bekommt man richtig Angst um die Braut!). Man kann da sicher noch mehr finden. Sind das bewusst versteckte "Ostereier", über die Sie "Wolf Haas" dann zum Spaß herziehen lassen?

Das Letzte, was ich möchte, wäre so ein schöngeistiger Stress, dass man beim Lesen meines Buches dauernd irgendwelche raffiniert versteckten Bezüge ausgraben muss. Deshalb die etwas polemische Bemerkung über die versteckten "Bedeutungs-Ostereier". Aber wenn man hin und wieder über so was stolpert, wie Sie es es hier aufzählen, dann kann es vielleicht den Lesespaß erhöhen. Manches davon ist sicher Absicht, anderes passiert einem eher. Dass sich gewisse Motive ähneln, hat wohl eher damit zu tun, dass sie irgendwas berühren, das dem Autor nahe ist. Bei solchen Sachen hat man aber meistens selbst einen blinden Fleck. Oft fällt es mir erst nach Jahren auf, wenn ich z. B. einen Text für eine Lesung noch einmal durchlese, dass ich offenbar auf das eine oder andere immer wieder zurückkomme. Wenns mir auffällt, versuche ich das eher zu vermeiden.

Ihr Interesse für Sprichwörter und stehende Wendungen fällt mir in dem Zusammenhang besonders auf, immerhin nimmt auch die "Literaturbeilage" ihren Interviewpartner deswegen auf den Arm.

Ja, für solche Wendungen scheine ich wirklich eine Vorliebe zu haben. Warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht weil es einen schönen Kontrast zu der immer so "offenen" Bedeutung von Romanen bildet, wenn man diese Verkürzungen und Überlebensregeln einstreut.

Woher kommt diese Vorliebe für das Zählen, oder für angeblich "bedeutungsfreie Textpassagen"?

Das meiste baue ich nicht mit einer klaren Absicht in Romane ein, sondern es entwickelt sich, während man über Jahre an dem Stoff arbeitet. In diesem Fall hatte ich ursprünglich vor, eine Ballade von Theodor Fontane (als Schulaufgabe der beiden Kinder) einzubauen, und zwar die Ballade John Maynard. Das Schiff brennt, und es wird runtergezählt: Noch 20 Minuten bis Buffalo, noch 15 Minuten bis Buffalo, und noch 10 Minuten bis Buffalo. Das hat zum Zählen gepasst, mit dem man den Abstand von Gewittern berechnet. Die Ballade ist aber bald einmal aus meinem Roman hinaus geflogen, und das Zählen ist geblieben.

Kurz zum Stichwort "Retro-Kitsch". Sie treiben damit ja ein ganz eigenes Spiel: Einerseits macht sich "Wolf Haas" über die Retro-Welle lustig, andererseits ist es unmöglich, den vielen Erinnerungen an "damals" im Roman zu entgehen. Mir persönlich gefällt die Stelle mit den dicken Jeans besonders gut, und vor allem bei der Beschreibung der Urlaubsreise weiß ich aus meinem Bekanntenkreis, dass das bei einigen Lesern genauso lebhafte Erinnerungen an die eigene Kindheit ausgelöst hat wie bei der "Literaturbeilage". Ist das jetzt alles nur ironisch, oder geht es Ihnen schon auch um das "Archäologische", wie das "Wolf Haas" ausdrückt (und ablehnt)?

Selbst wenn man sich in meinem Alter noch einmal verliebt, dauert es meist nicht lange, bis man irgendwelche Kindheitserinnerungen austauscht. Ich glaube, eine Liebe, die rein in der Gegenwart "grundelt", das ist fast undenkbar. Ich kanns mir jedenfalls schwer vorstellen. Die Abgrenzung gegen den Retro-Kitsch hat vielleicht mit dem Bedürfnis zu tun, die eigenen romantischen Gefühle für besonders tief, die der anderen aber für lächerlich, übersteigert und eingebildet zu halten.

A propos Verliebtheit: Wie schwierig ist es denn wirklich, eine schöne Frau zu beschreiben? Der in seine Hauptfigur vernarrte "Wolf Haas" scheint das Problem ja eher kulinarisch zu sehen, so zwischen zusammenfallenden Salzburger Nockerln und "She really is a dish". Ich habe ja überhaupt den Eindruck, in Ihren Romanen gelegentlich ähnlichen Frauen zu begegnen, die schöne Hälse und eine dünne Haut haben...

Jetzt muss ich - wie mein Romanheld Kowalski - wohl einen Kurs gegen das Erröten besuchen! Eigentlich ist es unmöglich, die Schönheit eines Menschen zu beschreiben, ich versuche vielleicht eher, die Begeisterung anzudeuten, die diese Schönheit auslösen kann.

Ein Detail vielleicht: Ein nicht sonderlich sympathischer "Bonati" kommt jetzt schon im zweiten Roman vor. Gibt es den wirklich?

Ist mir nicht aufgefallen. Ich kenne niemanden dieses Namens. Seltsam. Vielleicht hab ich in einem früheren Leben so geheißen?

Ihre Vergangenheit als Internatsschüler, Zivildiener und Werbetexter ist inzwischen ja allgemein bekannt. Waren Sie wirklich auch einmal Tankwart?

Ja. "Damals", als es noch richtige Tankwarte gab! Aber nicht, dass Sie mir jetzt das Betanken der Fahrzeuge psycho-analytisch interpretieren! Sonst wird wieder ein ganzer Roman daraus!

 


16. Oktober 2006

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