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Monotonie im Büro: Walter Kappacher im Gespräch

November 2002

Für den Essayisten und Literaturkritiker Karl-Markus Gauß gilt er als "literarischer Großmeister der Zurückhaltung". Walter Kappachers Bücher erzählen von unscheinbaren Menschen, denen ganz und gar nichts Außergewöhnliches passiert. Sein Debütroman "Morgen", 1972 geschrieben, 1975 veröffentlicht, Kappacher war damals gerade 38, beschreibt lakonisch die Monotonie des Büroalltags und die Zumutungen eines Betriebsausfluges (vom Zwang zum Mitschunkeln). Sein Protagonist will dazugehören, gleichzeitig träumt er von einem anderen Leben (er hört Klassik, liest Literatur), ohne so recht zu wissen, wie das denn konkret aussehen soll. Kappacher erzählt mit viel Understatement, seine Figuren und seine Sprache sind unaufgeregt.
"Ein Amateur" (1993, Deuticke) ist ein Roman über die Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren. Sein jüngster Roman "Silberpfeile" (2000, Deuticke) macht sich auf die Suche nach den politischen Dimensionen des Autorennsports - in jungen Jahren wollte der Autor Rennfahrer werden. Walter Kappacher lebt in Obertrum bei Salzburg.
Hier ein E-Mail-Interview, das Karin Cerny mit dem Autor geführt hat.

Karin Cerny: Ihr erster Roman "Morgen" besteht aus vielen "short cuts", wie man heute sagen würde. Er liest sich sehr filmisch. Haben Sie eine Affinität zum Film?

Walter Kappacher: Das Kinogehen (nicht das Fernsehen) war seit meinem 12. Lebensjahr eine Leidenschaft - das Gehen zu einem Kino (manchmal von einem Stadtende zum anderen), und am Heimweg die Verarbeitung des Gesehenen. Vom Lesen haben Filme mich jedoch nie abhalten können. Beim Schreiben von "Morgen" beeinflußten mich andere Dinge wie Filmsequenzen. Ich erinnere mich, daß ich damals die "Träume" von Quevedo las, da findet man auch "Cuts", jedoch nicht so blitzartige wie in manchen amerikanischen Filmen der letzten Jahre. (Der Geschwindigkeit habe ich mit 18 Jahren ein für allemal abgeschworen.) Andererseits habe ich einmal beobachtet, wie eine Frau einem Mädchen die Zöpfe flocht, und mir dabei vorgestellt, dieses Flechten formal in einem Text zu versuchen, mit mehr Strängen.

In "Morgen" wird knapp, aber trotzdem sehr genau ein Büroalltag mit all seinem Frust beschrieben. Woher kommt Ihr literarisches Interesse an Arbeit?

Ich hab einige Tätigkeiten probiert, praktiziert, und jedesmal wenn ich das Gefühl hatte, das kannst du jetzt, hab ich damit aufgehört. Motoren zerlegen und wieder zusammensetzen, auf Fehlersuche zu gehen, war natürlich ein viel größeres Vergnügen, eine größere Herausforderung auch, als eine Bürotätigkeit, bzw. Reisebürokunden zu beraten; das hatte ich schnell satt, und kam doch lange nicht los davon, weil ich nichts anderes sah, das ich hätte machen wollen. Und auch wenn mich Motorräder nicht mehr interessierten, ließen sie mich doch nicht los: Jahreland träumte ich von der Werkstatt und von Tätigkeiten, die ich längst nicht mehr ausführte. Wenn in meinen Büchern also das "Thema Arbeit" vorkommt, dann nicht, weil mich das Thema "Literatur der Arbeitswelt" interessiert hätte. Übrigens hatte ich schon viel gelesen, als ich eines Tages, ca. 1964, den Roman von Kafka "Der Prozeß" in die Hand bekam. Ich erinnere mich noch gut, wie sehr es mich beeindruckte, daß es in diesem Roman Passagen gab, die in einem Büro und von Angestellten handelten. Kann leicht sein, daß mich das zum Schreiben angeregt und ermuntert hat. "Morgen" entstand aufgrund eines jahrelangen Druckes auf mich, das unbefriedigende Leben, vor allem die Menschen um mich, die mich langweilten, von denen ich nichts lernen konnte. Ich begann also mit der Zopf-Form, schrieb einige Abschnitte, fand den Ton, und dann gings einfach so weiter, ohne daß ich die Passagen "komponiert" oder mir überlegt hätte. Das meiste schrieb ich im Urlaub in einem Bungalow in Umag im September 1972; dann ließ ich es jahrelang liegen, bis sich eine Freundin dafür interessierte, die in jüngeren Jahren Lektorin im Hanser-Verlag war.

Eine Qualität Ihrer Bücher ist, daß man merkt, Sie kennen die Lebenswelten von denen Sie erzählen aus eigenem Erleben. Ihr Werk ist sehr autobiografisch geprägt.

Daß das Schreiben mehr oder weniger mit dem eigenen Leben, dem Denken und Fühlen und der Umwelt zu tun hat, war mir immer das Selbstverständlichste, und es war mir rätselhaft, warum das ein Problem sein soll, wie ich in Kritiken manchmal las. Es gab und gibt Autoren, die ungeschminkt autobiografisch schrieben (z. B. Henry Miller), Autoren, die es in andere Wirklichkeiten versetzten (Franz Kafka), und solche, bei denen es kaum zu entdecken ist (Hugo von Hofmannsthal). Mit Literatur-Theorie habe ich mich nie beschäftigt, ich hab aus einer Bedrängnis heraus geschrieben und versucht, es in eine für mich befriedigende Form zu bringen. Über einen Pianisten oder über den Uni-Betrieb würde ich nicht schreiben, da mir diese Welten völlig unbekannt sind - und daher auch nicht Bestandteil meiner Träume sein können. Vielleicht schreibe ich trotzdem einmal ein Stück über Glenn Gould.

Es gibt in Ihren Texten eine gewisse Skepsis dem Dramatischen gegenüber. Es geht eher um das Ausdifferenzieren der alltäglichen Grautöne, denn um schlagartige Veränderungen. Ihr Personal besteht demensprechend auch nicht aus hitzköpfigen Draufgängern, sondern aus eher unentschiedenen und unspektakulären Durchschnittstypen, die lange brauchen, bis sie sich zu einer Entscheidung durchringen.

Mein Wesen ist im allgemeinen ein unaufgeregtes, mein Blutdruck war seit jeher niedrig. Ich rege mich nicht so leicht auf und "Dramatisches" hat für mich leicht etwas Lächerliches. Mir ist zu sehr bewußt, daß die Menschheit sich nicht so schnell ändert wie manche denken. Auch die literarischen Figuren Leopold und Molly Bloom sind ziemlich alltäglich, und ihr Autor James Joyce äußerte einmal sinngemäß: das Alltägliche ist für die Dichter, das Sensationelle für die Journalisten. Wenigstens ist oft geschrieben worden, daß die "Helden" meiner Erzählungen sich aus ihrem banalen Leben heraussehnen. Übrigens ist es schwer, sich in unserer gegenwärtigen uniformierten Konsum-Welt ein nicht-banales Leben vorzustellen. Wie sollte das aussehen? Der Wahn des "Reisens" sagt doch alles. Die Banalität ist in unseren Köpfen, wir schleppen sie überall hin mit; vielleicht könnten wir in Thailand oder Guatemala Momente des "Ah!" erleben - bedenkt man jedoch den Aufwand solcher Reisen, dann ist das doch verrückt.

Gescheiterte Existenzen, sympathische Außenseiter und Suchende sind Ihnen eindeutig lieber als die strahlenden Sieger.

Bei Kafka habe ich gelernt, daß der Protagonist kein Held oder Sieger mehr sein kann und daß er nicht der Ankläger, sondern der Angeklagte ist. Daß er nicht im Mittelpunkt steht, sondern Außenseiter ist. (Für Hofmannsthal war der Platz des Dichters in dem Kabuff unter der Treppe. Da ich nie irgendwo dazu gehört habe, fand ich das ganz selbstverständlich.) Was sollte ich mir denn heute auch unter einem "Sieger" vorstellen? Mit 13 Jahren habe ich von einigen berühmten Motorradrennfahrern geschwärmt; heute kommen mir "Sportgrößen", aber auch gewisse Prominenzen des Kulturbetriebs bloß lächerlich vor.

Diese Haltung Ihrer Figuren, nicht so genau zu wissen, wohin man will, eher in einer Unentschiedenheit dahinzutriften, hat, so finde ich, durchaus sehr zeitgemäße Züge. In "Morgen" will Ihr Protagonist zwar dem Büroalltag entfliehen, aber schon nach zwei Wochen Krankenstand weiß er nicht so recht, was er mit seiner "Freiheit" anfangen soll und möchte zurück in den Betrieb. Andererseits haben Sie Ihre ersten Werke in einer Zeit geschrieben, die als "kritische Heimatliteratur" bekannt wurde. Damals wußte man schon sehr genau Feinde zu benennen. Wie war Ihre Position in diesem Umfeld?

Man ändert sein Leben nicht so schnell - nicht während eines Krankenstandes von zwei Wochen - aber eine solche Zeit kann die Chance zum Nachdenken bringen. Immerhin tut mein "Held" dann zum Schluß den für ihn nötigen Schritt. Meine Erfahrung ist, daß kaum jemand mit der "Freiheit" etwas anfangen kann. Wie sollten heute junge Menschen zum Nachdenken kommen, jede freie Minute wird mit Kopfhörern, Telefonieren und anderem betäubt.
Von der "kritischen Heimatliteratur" habe ich - soweit sie mir bekannt war - nicht viel gehalten. Ich kenne nur ein glaubwürdiges Beispiel, den Roman "Schöne Tage" von Franz Innerhofer. Ich selbst hatte dabei gar keine "Position" inne, da ich mich wie Innerhofer für Trends nie gekümmert habe. Wer waren oder sind unsere "Feinde"? Die Industriebosse und Konzerne oder Politiker und Generäle? Sie hätten keine Macht über uns, hätten wir sie ihnen durch unser Konsumverhalten und Votum nicht gegeben. Wen sollte man also anklagen?

1966 haben Sie ihren Kollegen Thomas Bernhard in Berlin kennengelernt und wurden von ihm nach Ohlsdorf eingeladen. Wie war Ihr Treffen mit Thomas Bernhard?

Thomas Bernhard begegnete ich seit ca. 1965 immer wieder, meistens in Salzburg. Leider habe ich seine Einladungen aus irgend einem Grund nie angenommen; als ich dann nach zwanzig Jahren nach Ohlsdorf kam, ging es ihm bereits sehr schlecht, es war zu spät, es kam kein Gespräch zustande, bloß ein einstündiger Bernhard-Monolog, der mich langweilte. Überhaupt war ich enttäuscht, daß er, nach großartigen Anfängen dann eine Sprachform, mit der er Erfolg hatte, mehr oder weniger fortleierte - anders als Peter Handke, der immer wieder etwas riskiert. Vielleicht sollte ich den letzten Roman "Die Auslöschung" einmal lesen. Die Tagebücher von Karl Ignaz Hennetmair über seine Begegnungen mit Bernhard las ich jedenfalls mit größtem Vergnügen.

Wann und wie schreiben Sie?

Ich kann nur vormittags arbeiten, stehe, wenn ich arbeiten kann, um 6 Uhr auf, schreibe - teils mit der Hand, teils gleich in den Notebook-Computer; am Nachmittag bin ich zu gar nichts fähig; höchstens Korrekturen, Notizen. Unverzichtbar sind "Arbeits-Spaziergänge".

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