Er lernte früh, sich schmal zu machen, unsichtbar wollte er sein. Ein Schatten glitt durchs Haus und er war unterwegs als blinder Passagier zum Schwarzen Meer in einer Nebelnacht. Die Füße der Großmutter steckten in Schafwollsocken und ledernen Männerschlapfen. Auch im Winter waren ihre dürren Waden nackt, auch im Sommer verdeckt von einem knöchellangen Faltenrock aus festem Wollstoff. Dieser Stoff filterte das Licht, ließ die dürren Beine schimmern, ihn aber im Verborgenen.
Der Rock der Großmutter war sein Zufluchtsort. Hier war er sicher und ungreifbar – sofern sich die Häscher an die Regeln hielten. Er wusste oft nicht, welche Regeln in der Familie gerade galten. So kauerte er unter dem Sessel der Großmutter im Schutz der Stofffalten und hielt die Luft an. Verschwunden wollte er sein und doch keine Silbe der Großelterngespräche überhören.
Sanddünen, Nebel, Schaumkronen, hörte er den Großvater sagen, das Schwarze Meer ist weiß. Du stehst am Ende der Welt und weißt, dass es keine Wahrheit gibt.
(S. 41)
© 2009 Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien.