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Leseprobe: Peter Handke - Der Große Fall.

Früher einmal, am ersten Morgen woanders,
hatte ihm das Zuhause gefehlt. Schon
an den Ankunftsabenden in dem anderen
Land, schon am Flughafen dort zum Beispiel,
blickte er mit einer Art Trennungsschmerz
auf die Tafel, die den unmittelbaren Rückflug
anzeigte. Am Morgen des Tages seines
Großen Falls aber setzte ihm die Fremde
nicht nur keinen einzigen Moment lang zu,
sondern er fand sich in ihr auf der Stelle heimisch.
Er wollte die Augen nie wieder aufmachen.
Donner und Blitz, Blitz und Donner waren es,
die ihn fern von daheim jetzt gastlich aufnahmen.
Und als sie dann allmählich schwacher
wurden und sich verzogen, tat das der Regen.
Ganz plötzlich schon in der Nachgewitterstille,
schüttete es los, ein einziges, gleichmäßiges,
andauerndes Schmettern. Von dem
Schwall behütet, lag der Mann da, weiter mit
geschlossenen Augen. Nichts konnte ihm geschehen.
Selbst wenn das nun draußen die
Sintflut wäre: Er fand sich in einer Arche,
fand sich in Geborgenheit.
Von der gewiegt wurde er noch durch ein
Drittes. Er hatte geschlafen und war erwacht
im Bett einer Frau, die ihm gut war.
Die ihn liebte? Zwar hatte sie ihm das während
der Nacht einmal bedeutet. Aber er
wäre nicht einverstanden gewesen damit, das
hier so wortwörtlich niedergeschrieben zu sehen.
Sie war mir gut: das war’s, was er sagen
konnte.
Auch er war der Frau gut an jenem Morgen,
stärker noch als in der Nacht, oder umfassender,
aber anders. Sie hatte Bett und Haus
sehr früh, schon vor dem Tagwerden, verlassen,
für ihre Arbeit. Kaum ein Geräusch war
dabei von ihr gekommen, und er, im Halbschlaf,
war da erfüllt worden von einer wie
kindlichen Dankbarkeit; hatte, das spürte er
am ganzen Leib, die Dankbarkeit
selber verkörpert. Er hätte es ihr nie und nimmer sagen
können, aber wie er so ihrem durch die
Räume des Hauses sich entfernenden Luftzug
nachhorchte, da lag er und verehrte sie,
diese Frau dort.
Eher wäre er mit sich als ihrem Verehrer einverstanden
gewesen denn als ihrem Geliebten. Wie sie ihn einmal voll Stolz, kam ihm
vor, so ansprach, hatte er, und nicht nur, weil
er über das Alter, einen Geliebten darzustellen, hinaus war, die Brauen gehoben und woandershin geschaut.
Gehüllt in den gleichmäßig starken Regenschwall
ohne Wind, schlief er noch einmal
ein. Obwohl ihm einiges bevorstand, am heutigen
Tag und besonders für den morgigen,
war ihm, als habe er alle Zeit auf Erden, und
zugleich als sei das schon Teil und Anfang der
ihn erwartenden Konfrontation. Es war ein so
leichter Schlaf, daß der Mensch da in ihm entschwebte.
Wenn er noch etwas verkörperte,
dann einzig den Schlaf. Fast immer erscheinen
in den Filmen die Schauspieler, wenn
sie Schlafende darstellten, und sei es noch
so lebensecht, fragwürdig. Der da hingegen,
mochte er auch, nach dem ersten Erwachen,
ganz bei Bewußtsein bleiben, schlief wirklich,
während er den Schlaf spielte, und schlief
und schlief, und spielte und spielte. Und wenn
er dabei träumte und dem Zuschauer etwas
vorträumte, so wiederum allein das Schweben
und Entschwebtsein.
Es war ein Traum ohne
Handlung, er konnte darin nicht etwa fliegen.
Aber angeblich hatte auch das Traumschweben,
gleich dem Fliegenkönnen, eine Bedeutung.
Nur hatte er die vergessen, so wie er vieles
im Lauf der Jahre entschlossen vergessen
hatte.
Das ist der Moment, zu erwähnen, daß der
Mann, von dem hier erzählt wird, in der Tat
ein Schauspieler ist. Als ganz Junger hatte er,
im kleinen Betrieb seines Vaters, ein Handwerk
gelernt und, oft auch zusammen mit
dem Vater, querhin durch die kleinhäuslerischen
Vororte im Nordwesten von B. Fliesen
verlegt. Das war ihm immer noch anzusehen,
und nicht nur an den Händen, und vielleicht
stärker noch anzumerken, an den Bewegungen
– einem häufigen Zurücktreten, Rückwartsgehen,
wieder Vortreten –, an den tiefen
Blicken – seinem Aufblicken vor allem, jäh,
nach einem langen Starren bodenwärts, seinem
Augenschmalwerden in manchen Filmszenen,
für nichts und wieder nichts, ohne jede
Pose, ohne angelernte Bedeutung wie nicht
selten bei sonstigen Filmhelden. Bei ihm war
das, wie sagt man, die zweite Natur geworden,
oder überhaupt die Natur?

(S. 9–14)


© 2011 Suhrkamp Verlag, Berlin.


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