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Alexander Widner: Gravesend.

Aphorismen, Kurzprosa.
Klagenfurt / Celovec: Wieser Verlag, 2011.
127 Seiten; brosch.; Euro 18,80.
ISBN: 9783851299076.

Link zur Leseprobe

Die Form des Aphorismus ist seit Nietzsche eine Disziplin, in der sich ein Schreibender des öfteren eine üble Nachrede anhören muss. Natürlich: Vergleiche sind gewiss ebenfalls ein Übel. Knappe, konzise Sprüche erzeugen Wichtigkeit und oft ist bei entsprechender Konditionierung nur noch heiße Luft vorhanden, die aus den so gestalteten Sätzen austritt. Pathos pur ohne Sinngehalt bzw. mit wenig mehr als Gemeinplätzen.
Alexander Widner hat – wie schon in früheren Büchern – für seinen eben im Wieser Verlag erschienenen Band "Gravesend" vor allem auf diese kurze Form vertraut. Auch wenn die Sentenzen in der Regel länger als ein Satz sind, so zielen sie doch auf Welthaltigkeit. Auch das ein furchtbar wichtigtuerisch Begriff. Damit dieses Unterfangen nicht schief geht, denn selbst (und gerade) bei Nietzsche finden sich – inmitten so herausragender Worterzeugnisse – ausgesprochene Banalitäten versteckt in weltmännischer Verkleidung, sind die verstreuten Bekenntnisse, Einsichten, Vorwürfe, Aburteilungen mit ironischer Finesse oder überzeichnetem Ernst versehen und schaffen damit jenen Aufruhr, den der Aphorismus kraft seines Wesens schaffen soll. Wie um dies zu beweisen, findet sich auf Seite 75 etwa folgende Bemerkung: „Alles auf die Spitze zu treiben, fehlt die Courage. Es bis ins Letzte zu treiben, braucht es die schöne Unmoral von Kunst. Wenn sich keine Absicht dazuschlägt.“

Das Büchlein, das eine Art Sammlung der vergangenen vier Jahr darstellt, erschöpft sich nicht in der aphoristischen Kurzform, sondern weist viele Kurzprosaelemente auf. Der gemeinsame Duktus dieser Texte ist ein lapidarer Ton, der summa summarum vom Untergang der Kultur und damit der Welt erzählt. Thematisch fällt vieles hinein, eine lose Kette, ja nicht einmal eine solche, da ja die einzelnen Sentenzen nicht als Glieder zu verstehen sind. USA, immer wieder die USA und im speziellen New York, wo Widner viel Zeit verbrachte und verbringt. Der Titel „Gravesend“ bezieht sich aller Voraussicht nach auf eine der ursprünglichen sechs Städte, aus welchen Brooklyn entstand (es existiert auch ein Gravesend am Südufer der Themse) – bezieht jedoch auch durch die Doppeldeutigkeit – "graves end" im Sinne von "Gruftende" – gewissermaßen programmatischen Charakter für den Band. Dazu kommen Europa, Existenzialismus, Ästhetik, Politik und viele Bezüge zur Literaturgeschichte. Cioran, Montaigne oder auch, um einmal jenen einen Platz zu geben, ein paar Neoexpressionisten aus dem Berlin der 80er Jahre, ein Franz von Vyskocil zum Beispiel, fallen in diese Tradition des Textverständnisses und der Textproduktion oder der Textreproduktion, sind doch einige Sätze Fortführungen, die anderswo schon zu lesen sind (wiewohl natürlich alles Schreiben ein Weiterschreiben ist).
Gelegentlich erweist sich der Autor als fundierter Misanthrop: „Warum soll irgendjemand weniger verlogen sein als ich? Nur Selbstmörder lügen nicht“, heißt es auf Seite 76. Zur ganzheitlichen Menschenverachtung gehört eben auch Selbstverachtung. Das subversive Element, das dieser Form innewohnt, schafft jedoch immer wieder ein Aufblitzen des Denkens. Das Buch ist ein Journal des Denkens. Auch ein Journal verschiedener Aufenthalte, Reisen.
Da ja der alte Topos vom Lesen/Leben als Reise gilt, hier gleich ein passendes Zitat aus dem Buch für alle emsigen (also schreibenden) Reiseveranstalter: „Nach den meisten dicken Büchern gestehe ich mir: Für diese Reise hätte es nicht so viel Gepäck bedurft.“ (Seite 18) Und in der Tat versucht der Autor, ob aus eigener Ermüdung oder mit Rücksichtnahme auf Lesende, eine Reise ohne Ballast, Leseerlebnisse voller Zuspitzung. Dies gelingt im Wesentlichen. Schließlich kann das Buch auch wie Fingerfood konsumiert werden und als solches kann es auch im Magen liegen, ein Häppchen an der Straßenbahnhaltestelle, ein Häppchen im WC und wieder eines mit einer Zigarette im Freien, um die Gedanken zu zerstreuen oder sie zu bündeln.

Alexander Peer
3. November 2011

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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