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Leseprobe: Markus Köhle - Hanno brennt.

Um exakt halb acht marschierte Carmen in Hannos Zimmer. Die Mailbox hatte er fürsorglich ausgeschaltet, die Klingeltonlautstärke dafür auf Maximal gestellt. Ein infernalischer Lärm zu dieser Stunde. Hanno wusste, wie sich seine Stimme am Morgen anhörte, Tom Waits war ein Waisenknabe dagegen. Er wusste auch, dass es nur Frau Kommerzialrat Pochsteiner sein konnte, wobei, warum eigentlich? Die Morgenstunde entsprach durchaus der bevorzugten Zeit der Zielgruppe von Neubau-Schnauze. Vielleicht sogar neue Kundschaft? Nein, er wusste es, weil er einen Blick auf das Handydisplay warf, und die Nummer bereits gestern gespeichert hatte. Vorbildlich, löblich, bravo.
Jedenfalls bellte Hanno, um den Stimmbelag loszuwerden, noch immer auf dem Rücken liegend mehrmals: „Tagwache, Zapfenstreich, der Russ' steht vor den Toren und die Pochsteiner ist die Vorhut!“, in die abgestandene Luft im Zimmer und Richtung Plafond. Danach fühlte er sich ausreichend wach und rachenentschleimt, um mit einem „Schönen guten Morgen, Frau Kommerzialrat“, das immer noch schwer nach Joe Cocker klang, den Geschäftstag zu eröffnen.
„Ja, schönen guten Morgen auch. Haben S' sich einen Schnupfen eing'fangen?“, fragte sie mit Arglosigkeitsschmelz in der Stimme. Frau Kommerzialrat Pochsteiner: Eine Großmeisterin der Süffisanz.
„Halb so schlimm, hab' bei offenem Fenster geschlafen und in der Nacht ist es dann doch noch recht frisch.“ Eine für die Tageszeit und für Hannos Zustand respektable Ausrede.
Frau Pochsteiner überhörte sie, nahm sie an oder folgte ohnehin ihrem eigenen Plan. „Hören S' zu, junger Mann. Sie können ruhig liegen bleiben. Ich wollte Sie nur testen, und ich weiß Ihre Bemühungen um Selbstständigkeit durchaus zu schätzen, man hat's ja nicht leicht heutzutage und eine ordentliche Arbeit findet sich schwer und schon gar nicht von selbst. Sie haben eine schöne Handschrift, das schon, aber das mit den Tiergeschichten lassen S' besser bleiben. Ihre Vorstellung gestern hat mich durchaus amüsiert, aber keineswegs überzeugt. Ich bin seit 35 Jahren Abonnentin in der Josefstadt. Mit gutem – und vor allem mit schlechtem – Theater kenn' ich mich aus, das können S' mir glauben. Aber ich will Ihre zweifelhafte oder vielmehr verzweifelte Initiative betreffend ein Einsehen haben. Ich weiß von meinen Enkeln, wie schwer es ist, als junger Mensch im globalisierten Arbeitsmarkt, wie es so schön heißt, Fuß zu fassen und ich mache Ihnen daher ein Angebot.“
Hanno konnte sich nicht vorstellen, dass sie diesen Monolog ohne Teleprompter oder Spickzettel über die Lippen gebracht hatte, aber da ging es sogar noch weiter und zum Einhaken bot sich diesmal keine Gelegenheit. Frau Pochsteiner brauchte sich keine Sorgen um ihre Lungenfunktion zu machen, womöglich beherrschte sie sogar die Zwerchfellatmung, was ihr natürlich bei Kampfkommunikations-Kaffeekränzchen einen immensen Vorteil einräumte; denn an einem Tisch, an dem alle Anwesenden alle Details der vergangenen Tage oder auch nur Stunden loswerden wollten und ihre Rhetorik diesbezüglich an zahlreichen heiß umkämpften Kaffeehaustischen dieser Stadt und in diversen Seniorentreffs schulten, muss man sich erst einmal durchsetzen können. Da ist Zwerchfellatmung das Mindeste, da wird vermutlich zusätzlich mit Ellbogen- oder Schienbeintritttechnik gearbeitet oder auch mit lähmenden Parfums, benebelnden Taft-Duftnoten und verstörendem Make-up. Während Hanno all das dachte, sagte er: „Ich höre“, worauf Frau Kommerzialrat Pochsteiner scharf reagierte und „Ich spreche“ – mit Betonung auf dem „ich“ – zischte.
„Folgendes Angebot also: Es gibt da eine Villa im 18-ten. Die bewohnen wir nicht, aber die gehört uns und die gehört gepflegt. Keller, Dachboden ausmisten, Garten herrichten … Sie wissen schon, beziehungsweise werden dann schon sehen. Jedenfalls biete ich Ihnen einen fairen Stundenlohn an und Sie können Ihren Kollegen gern mitbringen. Der ist uns in der Aida natürlich sofort aufgefallen, den hat vorher noch nie jemand dort gesehen und dann dieser Auftritt … Ich bitt' Sie, da wird kombiniert, mein Herr. Allgemeine Beobachtung minus konkretem Vorfall ergibt in Summe immer berechtigten Zweifel.“
Was faselt die Alte da, dachte Hanno fassungslos.
Die jedoch machte unbeirrt weiter: „Einfache Formel, wenn man Alter, Erfahrung und Reife dafür hat. Egal. Entweder man hat's oder halt nicht. Manche früher, manche später, manche nie. Haben übrigens alle herzhaft lachen müssen über Ihre Unbedarftheit, vielen Dank, weil Lachen ist ja … Sie wissen schon. Doch zurück zu meinem Angebot. Morgen Mittag, zwölf Uhr, bis dahin werden sie wohl ausgeschlafen sein, Pötzleinsdorfer Schlossgartenstraße 112. Ich nehme nicht an, dass Sie etwas anderes vorhaben und die Damentoiletten werden ja auch erst am Abend so richtig interessant, nicht? Also dann, Herr Karlmann, oder wie auch immer Sie heißen mögen. Ich rechne mit Ihnen, freue mich und hoffe, dass Ihre Arbeitskraft beeindruckender ist als Ihre Überzeugungskraft. Erholen Sie sich noch gut, Sie werden Ihre Kräftchen (sie sagte echt Kräftchen!) brauchen. Also noch mal zum Mitschreiben: Morgen, zwölf Uhr, Pötzleinsdorfer Schlossgartenstraße 112. Sie werden mich erkennen. Auf Wiederhören!“
Mehr als „Danke“ zu stammeln und „ähm ja, also dann, man sieht sich“, war nicht drinnen. Hanno war jetzt nicht nur erneut vollkommen perplex, schlagartig nüchtern und munter; er war auch äußerst angetan von dieser Frau, die ihn irgendwie an seine Oma erinnerte … und schämte sich nicht, einzugestehen, dass er glaubte, es habe da gerade eben am roten Telefon irgendwie zwischen ihnen gefunkt. Vielleicht wurde diese Gefühlsentflammung aber doch bloß vom Restalkohol angefeuert.
Hanno glühte und ging Karl wecken, um ihm zu sagen, dass er ruhig weiterschlafen könne.

(S. 104 ff)

© 2012 Milena Verlag, Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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