Montag, 13.4., bis Freitag, 17.4.

In Griechenland herrscht strenge Ausgangssperre. Um den Menschen die Zeit zu versüßen, werden Schoko-Osterhasen mit Atemschutzmasken und Handschuhen angeboten.

Dieser Tag nervt, bevor er begonnen hat. Mein Bauch ist prall wie eine Kugel. Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut. Die Hummel, die um meine Lampe kreist, bringt mich zur Weißglut. Einmal rast sie direkt an meinem rechten Ohr vorbei. Sie fällt herunter und landet auf meinem Feuerzeug. Dann hält sie die Klappe und krabbelt stumm auf einem Bücherberg herum… Ich bin so grantig, weil ich schlecht geschlafen habe. Der Grant ist der Blues der Bayern. Letzte Nacht habe ich es geschafft, die Angst „vorbeiziehen“ zu lassen, wie die Yogis sagen. Und, siehe da: Sie verschwand.
Ich halte die Stille nicht länger aus und stelle das Radio an. Bayern 1, Dudelmusik. Immer mehr verweigere ich mich den Corona-Nachrichten. Die Infodemie wabert im Netz, Gerüchte und Falschmeldungen über die Pandemie. Ich vermeide den news-overkill in der Nacht, starre nicht mehr aufs Iphone.

Wenn mein Körper völlig verkrampft ist vom Denken, lege ich mich nochmal hin, in mein zerwühltes Bett. Ich mache Dehnübungen und versuche, mich zu entspannen. Der Text zittert noch nach. Nicht immer spendet der Körper Trost.

Aktuelle Zahlen vom 14. April: 128.000 Infektionen bundesweit; 3030 Todesfälle; 64.300 genesen. Bayern: 33.329 Menschen positiv getestet; gestorben 834. München: 4615 Infektionen; 52 Todesfälle.

Die Klums und Beckhams bespaßen an Ostern ihre Kinder, andere Familien haben Existenzprobleme. Die Tafeln sind an vielen Orten weggebrochen (immerhin eine Ersparnis von ungefähr 130 Euro im Monat); die Kleiderkammern geschlossen; Stress in beengten Verhältnissen; keine Computer für Homeschooling. Die sozial Schwachen trifft Corona besonders hart. Die Caritas gibt Lebensmittel-Gutscheine aus. In der Psychiatrie gibt es eigene Stationen für Infizierte. Wie mögen sich die ohnehin seelisch Labilen jetzt fühlen?

Ein Foto aus der „Zeit“: Werktätige einer Autofabrik im chinesischen Wuhan. Mittagspause.  Sie sitzen in weißen Overalls auf roten Hockern und essen mit ihren Stäbchen aus Plastikschalen. Kein Mundschutz. 1,5 Meter Abstand.

Wie das Kaninchen vor der Schlange sitze ich vor Corona. Ich habe Migräne und sehe Blitze vor den Augen. Ich stelle mein Zimmer auf geräuschlos, massiere meinen Nacken. Der Kaffeegeruch in meiner Nase ist unangenehm.

In den USA gibt es aktuell 600.000 Infizierte, 25.000 Menschen sind bereits gestorben. Trump stellt die Zahlungen an die WHO ein. Ich verharre auf einem Fleck, harre aus. Sogar meine Tränen sind verlangsamt. Ich trage einen rosa Pyjama und fühle mich wie ein Smoothie. Ich verweichliche, löse mich auf in Corona.

Die Tracking-App, wird sie kommen? Wird das Tragen freiwillig sein oder Pflicht? Ist es rechtens, Infektionsketten zu verfolgen? Ein Trost: Man kann das Handy jederzeit ausschalten!

Ich bete das Corona-Mantra: Der Mensch ist Angst. Der Mensch ist Verlassenheit. Der Mensch ist Verzweiflung. Angst ist die existenzielle Erfahrung der Verunsicherung (Sartre).

Stay home / durchhalten / bis Zukunft kommt. Eine Utopie? Thomas Morus hat 1516 sein Buch „Utopia“ verfasst, die Schilderung einer fernen „idealen“ Gesellschaft. Die Geldwirtschaft ist abgeschafft, es gibt kein Privateigentum. Gelebt wird in Sippen, in großen Wohngemeinschaften. 6-Stunden-Tag, Uniformpflicht für alle. Religionsfreiheit, kein Individualismus, kein Sex vor der Ehe. Utopia ist ein Inselstaat im Weltenmeer.

Der Körper als Kategorie: Das treibt mich um. Um wieviel mehr in diesen Tagen der Pandemie, an denen alles um Krankheit und Körper kreist. Meine Mutter mit ihrer Alabasterhaut starb im Schlaf, schlich sich davon aus ihrem Körper, dem sie entfremdet war. In meiner Kindheit gab es, zum Glück, auch andere Frauen: meine Großmutter in ihrer Üppigkeit (wie warm sie war, wenn sie mich drückte!); meine Tante, an die ich mich nachts kuschelte, wenn ich Angst hatte vor den Monstern unterm Bett.

Die Zahl der Infizierten hat weltweit die 2-Millionen-Grenze überschritten… Italien bleibt weitere zwei einhalb Wochen in Quarantäne, in England wird der Lockdown um drei Wochen verlängert. Dann kann Boris Johnson wieder in sein Office in der Downing Street.

Jeden Morgen räume ich mein Schlafzimmer auf. Eine angebrochene Tafel Zartbitter-Schokolade, ein halbleeres Glas Wasser, ein Aschenbecher mit zwei Zigarettenstummeln. Überreste einer durchwachten Corona-Nacht. Ich empfinde leichten Ekel. Sartre beschreibt in seinem Tagebuch „Der Ekel“ dieses süße, klebrige Gefühl. Es haftet vielen Dingen an. Ich ekle mich vor toten Tieren, vor Leberkässemmeln, vor Hässlichkeit. Als Vegetarierin wird mir schlecht, wenn ich Döner rieche. Alles ist eklig, sagt Sartre, der Extremist, weil es sinnlos ist: der Baum, die Tasse, die Stadt. Ich selbst vielleicht am meisten, weil ich mir selbst am nächsten bin. Nur in der Kultur, der Imagination, rette sich der Mensch vor dem Ekel.

Quarantäne macht träge. Mein Körper dehnt sich aus, er spielt sich in den Vordergrund, er stört mich beim Denken. Ich will, dass er funktioniert, er soll sich nicht bemerkbar machen. Ich will die Kontrolle. Selbstoptimierung ist der Versuch, die Kontrolle über den Körper wiederzugewinnen. Mein Bekannter M. ist ein zwanghafter Geher. Er joggt von seiner Wohnung am Stadtrand täglich in die Innenstadt, zwei, drei Stunden lang. Es ist sein Versuch, seine Fressattacken zu kompensieren. Corona führt zu Frustessen. Essen aus Langeweile. Kühlschrank auf, Kühlschrank zu. Wir werden zu Corona-potatoes, hingelümmelt auf der Couch.

Aus Eva Strasser: Splitter aus der Quarantäne. Ein Corona-Tagebuch. Sonderausgabe literaturkritik.de. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2020