Stefano Benni: Der schnellfüßige Achilles (Roman) |
Stefano Benni: Der schnellfüßige Achilles |
Inhaltsangabe:
Der Mann mit den Büchern unter dem Arm ging aus dem Haus, und die Welt war nicht da. Unter einem Schutzdach am Straßenrand stehen verschiedene Leute:
Ein alter Mann mit einer Aktentasche und einem Knirps, der sich zwar schon seit über einem Monat nicht mehr öffnen ließ, den er aber liebgewonnen hatte. Eine Frau mit einem Fuchskragen und einer Katze im Käfig. Ein distinguierter Herr mit einem steifen Koffer, der nicht richtig zuging. Ein Filipino, der in Wirklichkeit ein Thailänder war. (Seite 8)
Mit dieser Szene beginnt der Roman "Der schnellfüßige Achilles" von Stefano Benni. Der fünfunddreißigjährige Lektor Ulysses ("Lello") Isolani fährt morgens mit dem Linienbus 13 zum Verlag. Unterwegs nickt er ein, denn er kann nachts nicht schlafen: Ulysses leidet unter Insomnia pistoria, einer typischen Bäckerkrankheit. Die muss er von seinem Vater geerbt haben. Der war Bäcker. "Fantomas ist ein ganz besonderer Hund. Ihm fehlt nur noch die Sprache." (Seite 20) Und sie erzählt Ulysses, dass ihr Ehemann Aldo das Tier darauf abgerichtet hatte, nichts, auch kein Fleisch, vom Tisch zu holen. Eines Tages rief sie ihren Mann, der vor dem Fernseher saß, zu Tisch. Er antwortete nicht. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie Fantomas das für Aldo bestimmte Kotelett fraß. "Ich gehe ins Nebenzimmer, und da sitzt mein Mann mit schiefem Mund vor dem Fernseher, mausetot. Ein Gehirnschlag. Ist Ihnen die Intelligenz von Fantomas aufgegangen? Er hatte begriffen, dass mein Mann das Kotelett nicht mehr essen würde." (Seite 21)
Sie will dem Lektor ein Manuskript mit dem Titel "Mein Leben mit Fantomas" aufdrängen. Auch Fantomas apportiert plötzlich eine Diskette, denn er hat ebenfalls ein Buch geschrieben. Zum Glück wacht Ulysses an dieser Stelle wieder auf: Er war erneut eingeschlafen. Das blaue Licht erhellte ein Gesicht, das der göttliche Bildhauer entweder nur zur Hälfte gemacht oder wütend zu Boden geschmettert hatte. (Seite 68) Der knapp Dreißigjährige sitzt in einem Rollstuhl der Firma Xanthos mit allen technischen Schikanen. Er leidet unter dem De-Curtis-Syndrom (SDC) und kann nichts außer Kopf und Händen bewegen. Weil er auch Schwierigkeiten mit dem Sprechen hat, kommuniziert er vorwiegend über den Bildschirm des vor ihm stehenden Computers. Nach der letzten Schädel-Operation lag er ein halbes Jahr lang im Wachkoma. Bei der letzten Operation vor einigen Jahren perfektionierte die Ignoranz der Menschen die göttliche Grausamkeit. (Seite 72) Ungeniert sagt Achilles seinem Besucher: Bevor Sie hierhergekommen sind, habe ich onaniert, ohne jede Fantasie, um Spannung abzubauen. Das tue ich oft. (Seite 73)
Er habe seinen sadistischen Krankenpfleger Ajax bestochen, den Text des Briefes an Ulysses auszudrucken und das Schreiben einzuwerfen, erzählt Achilles. Er will nämlich ein Buch schreiben und benötigt dazu die Hilfe des Lektors, der ihm vor allem mehr über das "Mädchen vom Meer" erzählen soll, das in "Groteske Geschichten" vorkommt, dem einzigen Buch, das Ulysses selbst geschrieben hat. Das "Mädchen vom Meer" heißt in Wirklichkeit Pilar María ("Patinha") Penelope und ist die Freundin von Ulysses. Die sechsundzwanzigjährige Latinoschönheit – ihr Vater war ein kommunistischer chilenischer Lehrer, ihre Mutter stammte aus Kolumbien – war vor sechs Jahren nach Italien gekommen. Sie studiert Kunstgeschichte und arbeitet als Verkäuferin in einem Supermarkt ("Shop Eden"). [...] ich bin niemals Kind gewesen, ich habe keine unanständigen Wörter mit meinen gleichaltrigen Freunden sagen können, so wie du. Oder durchs Schlüsselloch die Kusine beim Pinkeln beobachten [...] Ich hab' mich immer alleine im Dreck meiner Gedanken wälzen müssen. Ich sollte mein Hundegesicht hinnehmen und in aller Stille onanieren [...] (Seite 99)
Achilles träumt davon, "einen Schwanz wie ein Fernrohr" (Seite 120) zu haben; den würde er dann mit einer angebundenen kleinen Telekamera zum Fenster hinunterlassen.
Mit typischer Latinohingabe stürzte sie sich auf Achilles und knöpfte ihm die Hose auf. Achilles war berühmt für seine schnellen Starts, und in weniger als einer Sekunde hob sich der gefeierte Kolben, um den herum Pilars Mund zu tanzen anfing [...] Im Verlag fragt Ulysses die Sekretärin Circe, die einen aufregend kurzen Minirock trägt, höflich nach ihrem Verlobten. Angesichts der Äußerung "soll er doch krepieren, dieses Arschloch" begriff er, dass das Verhältnis einen Sprung bekommen hatte. (Seite 86) Unter dem Vorwand, einen anderen Drucker holen zu müssen, geht er mit Circe ins Lager, wo sie ihr Höschen auszieht und sich mit gespreizten Beinen auf ein Kopiergerät legt. Sie sagte nichts von der Art wie: Nimm mich, fotokopier mich, fick mich, doch Ulysses, der vielgewandt war, begriff. (Seite 138) Durch das Liebesabenteuer kommt Ulysses zu spät zu Achilles, der größten Wert auf Pünktlichkeit legt. Als Ulysses ein Glas Fruchtsaft getrunken hat, offenbart Achilles ihm, es habe den Inhalt von sechs Ampullen Medèn (Phenolbarbithyl) enthalten: eine tödliche Dosis! Das sei die Strafe für das Zuspätkommen. In Kürze wirst du dich nicht mehr bewegen können. Dann wirst du sein wie ich. Du wirst erleben, was es bedeutet, die Hände nicht vors Gesicht heben zu können, um einen Schlag abzuwehren, nicht fliehen, nicht reagieren zu können. (Seite 144)
Er habe bereits vier vermeintliche Freunde umgebracht und außerdem seinen Vater von der Terrasse gestoßen, behauptet Achilles. Ulysses spürt die Wirkung des Pharmakons. Erst nach einer Weile gibt Achilles zu, dass er nicht Medèn, sondern sechs Dosen Abführmittel und zwanzig Tropfen Valium in den Fruchtsaft gemischt hatte. Dann schickt er Ulysses aber auch noch in die falsche Richtung zur Toilette. "Mit zwei, drei Wackeleien zahle ich meine [Studien-]Gebühren." (Seite 87) Obwohl dieses Vorhaben dem eifersüchtigen Ulysses gar nicht gefällt, schaut er sich den Tanzwettbewerb an. Nach dem Finale kann die Jury sich angeblich nicht zwischen Pilar und einem Mädchen namens Chryseis entscheiden. Deshalb sollen die beiden noch einmal mit einem Striptease gegeneinander antreten. Ulysses protestiert vergeblich und meint, seine Freundin werde sich auf keinen Fall ausziehen, aber da steht sie schon auf dem Podest vor dem Publikum. In seiner Not lügt Ulysses, eine Bande Jugendlicher verkratze gerade die vor der Disko geparkten Autos. Alle stürzen hinaus, und die Veranstaltung wird abgebrochen.
"Hättest du dich ausgezogen?", fragte Lello.
Ulysses und Pilar fahren nach Hause und lieben sich "bis zum frühen Morgen, das heißt fünfundvierzig Minuten lang" (Seite 162).
"Ich habe gerade meine Videospielebibliothek von Playstation und Innuendo verkauft. Nie hätte ich gedacht, dass ich so tief sinken könnte." Bei seinem nächsten Besuch erfährt Ulysses von Marina Pelagi, dass Achilles aufgrund des Vorfalls beim Abendessen nun endgültig in ein Heim gebracht werden soll. Deshalb ist Ulysses überrascht, seinen Freund in guter Laune anzutreffen. Achilles hat den Roman fertig geschrieben und wünscht sich, dass Ulysses ihn unter seinem eigenen Namen veröffentlicht. Außerdem zeigt er ihm drei Ampullen Medèn. Ulysses soll das Pharmakon in eine Spritze aufziehen und Achilles damit töten. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Achilles seinen Suizid angekündigt: "Doch ich fliege davon, ich, der schnellfüßige Achilles." (Seite 97)
Statt die Bitte seines Freundes zu erfüllen, rennt Ulysses davon, ohne sich zu verabschieden. Erst auf der Straße merkt er, dass er das Skriptmanus und zwei der Ampullen bei sich hat. Die Ampullen wirft er auf den Boden und zertritt sie. Den Roman liest er zu Hause und gibt ihn dann auch Vulcanus.
"Signorina Pilar?", rief der blondhaarige Polizist.
Kommissar Aeneas Colantuono weist Ulysses darauf hin, dass Pilar vor sechs Jahren ihrem Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung in Italien eine gefälschte Immatrikulationsbescheinigung der Kunstakademie beigefügt hatte. Außerdem wurde sie kürzlich bei einer gewerkschaftlichen Demonstration vor dem "Shop Eden" fotografiert. Es gebe nur eine Möglichkeit, Pilar vor der Ausweisung zu bewahren, meint Colantuono: Wenn Ulysses sich verpflichte, das von einhundertachtzig Verlagen abgelehnte Buch "Erinnerungen vom Katheder. Tagebuch einer Unbescholtenheit" seines Vaters Professor Vergil Colantuono zu veröffentlichen, werde er das belastende Dokument aus dem Dossier über Pilar verschwinden lassen. |
Buchbesprechung:"Der schnellfüßige Achilles" spielt in der Regierungszeit Benito Mussolinis (1922 – 1943) in einer italienischen Stadt. Es ist die Geschichte einer Männerfreundschaft unter außergewöhnlichen Umständen. Zart besaitete Leserinnen und Leser werden sich an schrillen Szenen stoßen, die aus derben Masturbationsfantasien stammen könnten. Auch der Fäkalbereich wird nicht ausgespart. Aber die flotte Sprache, ein absonderliches Figuren-Ensemble, aberwitzige Situationen und absurd-komische Darstellungen mit Comic-Elementen machen den Roman "Der schnellfüßige Achilles" von Stefano Benni zu einem unterhaltsamen Leseabenteuer. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Stefano Benni: Von allen Reichtümern |