Heinrich Breloer: Speer und Er mit Sebastian Koch, Tobias Moretti u. a. |
Heinrich Breloer: Speer und Er |
(1) Germania. Der Wahn (1905 - 1945)
Albert Speer (Sebastian Koch) gehört zu den einundzwanzig Hauptangeklagten, die sich ab November 1945 vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg verantworten müssen. Der Film beginnt im Oktober 1945: Speer liest in seiner Zelle die Anklageschrift. Nachdem Robert Ley, der Leiter der deutschen Arbeitsfront, sich am 25. Oktober 1945 das Leben genommen hat, versichert Albert Speer dem Psychologen Gustave M. Gilbert (August Zirner), er werde sich dem Prozess nicht durch Selbstmord entziehen. Er halte das Verfahren für sinnvoll und notwendig. Die Öffentlichkeit müsse über die grauenhaften Verbrechen unterrichtet werden, von denen er selbst bis jetzt keine Ahnung hatte. (2) Nürnberg. Der Prozess (1945/46)
Dr. Hans Flexner, der Albert Speer vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg verteidigt, drängt seinen Mandanten, sich als einen unpolitischen Architekten darzustellen, und Speers frühere Chefsekretärin, Annemarie Kempf (Susanne Schäfer), schmuggelt entlastende Dokumente nach Nürnberg. Albert Speer folgt dem Rat des Anwalts: Er gibt sich einsichtig, distanziert sich von dem Pöbel der anderen Nationalsozialisten, äußert seinen Abscheu vor deren Gräueltaten und stilisiert sich zum verführten Künstler bzw. unpolitischen Macher.
Hingerichtet: Hans Frank, Wilhelm Frick, Hermann Göring, Alfred Jodl, Ernst Kaltenbrunner, Wilhelm Keitel, Joachim von Ribbentrop, Alfred Rosenberg, Fritz Sauckel, Arthur Seyß-Inquart, Julius Streicher; (3) Spandau. Die Strafe (1946 - 1966)Die sieben zu Freiheitsstrafen Verurteilten werden im Juli 1947 von Nürnberg in die eigens für diesen Zweck reservierte Strafanstalt in der Wilhelmstraße in Berlin-Spandau überführt ("Kriegsverbrecher-Gefängnis"). Bei der Bewachung der Häftlinge lösen sich die Alliierten (USA, Großbritannien, Frankreich, UdSSR) im monatlichen Rhythmus ab. Das "Kriegsverbrecher-Gefängnis" in Spandau (nicht zu verwechseln mit der Zitadelle) wurde nach dem Tod des letzten Häftlings im Jahr 1987 abgerissen. Auf dem Gelände wurde ein Einkaufszentrum errichtet.
Albert Speer schreibt seiner Tochter Hilde (Milena Dreißig) 1953, er habe von den "scheußlichen Dingen" nichts gewusst. Konstantin Freiherr von Neurath (1873 - 1956), Erich Raeder (1876 - 1960) und Walter Funk (1890 - 1960) waren 1954, 1955 bzw. 1957 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entlassen worden. Karl Dönitz (1891 - 1980) hatte seine zehnjährige Haftstrafe am 30. September 1956 verbüßt. Nach der Entlassung von Albert Speer und Baldur von Schirach (1907 - 1974) blieb Rudolf Heß (1894 - 1987) als einziger Insasse im Kriegsverbrecher-Gefängnis von Berlin-Spandau zurück. Er erhängt sich am 17. August 1987. Aus den in der Zelle verfassten Aufzeichnungen stellt Albert Speer nach seiner Freilassung mit Unterstützung des Historikers Joachim Fest und des Verlegers Wolf Jobst Siedler zwei Bestseller zusammen: "Erinnerungen" (1969) und "Spandauer Tagebücher" (1975). Damit prägt er das Bild, das die Öffentlichkeit sich von ihm macht. Über zwanzigtausend Blätter lagen vor mir, als ich den Koffer öffnete, in dem meine Familie aufbewahrt hatte, was aus Nürnberg und Spandau in über zwanzig Jahren von mir gekommen war: zahllose Seiten Tagebuchnotizen, offizielle Briefe und Kassiber, in möglichst kleiner Schrift geschrieben, auf Kalenderblättern, Zetteln, Pappdeckeln oder Toilettenpapier. (Albert Speer im Vorwort zu: "Spandauer Tagebücher")
Für seine Frau und seine sechs Kinder bleibt Albert Speer ein fremder, unnahbarer Mann. |
Filmkritik:
Obwohl Heinrich Breloer auch in "Speer und Er" wieder Originalaufnahmen zeigt und Zeugen – darunter die Söhne Albert und Arnold Speer, die Tochter Hilde Schramm, der Neffe Wolf Speer, Leni Riefenstahl, Joachim Fest, Wolf Jobst Siedler, Richard Sonnenfeldt (Dolmetscher beim Nürnberger Prozess), Kenneth Galbraith (US Strategic Bombing Survey), Werner Durth (Architekt) – zu Wort kommen lässt,
Mein Bild von Speer hat sich deutlich verfinstert. Nicht nur bei den Dreharbeiten, sondern auch bei der Recherche. Und dieses Suchen nach Zeugen und Akten in den Archiven dauerte ja noch bis weit in den Schnitt hinein an und ist eigentlich bis heute nicht beendet. Und ich musste die Figur trotzdem so offen gestalten, dass die Zuschauer an dieser Entwicklungs- und Entdeckungsreise in das Leben Speers beteiligt werden, dass sie sich mit ihm auseinandersetzen. Ich lege die Bestandteile alle auf den Tisch und bringe sie sozusagen ein wenig zum Tanzen. Nun müssen sich die Zuschauer entscheiden: Wie finden wir diesen Menschen, wie viel trauen wir ihm zu? (Heinrich Breloer in einem Interview; WDR print, Mai 2005, Seite 9)
Sebastian Koch, der Albert Speer im Film verkörpert – und dabei eine außergewöhnliche schauspielerische Leistung zeigt –, meint, der Rüstungsminister habe viel mehr gewusst, als er zugab, aber er sei ein Mathematiker gewesen, für den die Opfer nichts als Zahlen einer Statistik waren. "Das hat ihn nicht berührt, glaube ich, er hat auch nicht hingeguckt."
Der dreiteilige Fernsehfilm "Speer und Er" wurde erstmals am 9., 11. und 12. Mai 2005 im Ersten Programm ausgestrahlt. In Ergänzung zu Heinrich Breloers Film "Speer und Er" sendete die ARD am 12. Mai die Dokumentation "Nachspiel. Die Täuschung" von Heinrich Breloer und am 16. Mai einen Bericht unter dem Titel "Breloer dreht Speer und Er". Außerdem gibt es zwei Bücher dazu: Heinrich Breloer, Speer und Er. Hitlers Architekt und Rüstungsminister (2005); Heinrich Breloer, Unterwegs zur Familie Speer. Begegnungen, Gespräche, Interviews (2005). |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Albert Speer (Biografie) |