Julio Cortázar: Der Verfolger (Erzählung) |
Kritik: In einprägsamen Szenen und Dialogen porträtiert Julio Cortázar einen genialen und zugleich selbstzerstörerischen Jazz-Musiker, bei dem man an Charlie Parker denken muss. "Der Verfolger" ist eine leidenschaftliche, mitreißende, virtuose Erzählung. ![]() |
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Julio Cortázar: |
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Inhalt: "Johnny ist für den Jazz der gewesen, der eine neue Seite aufschlägt." – Der französische Jazz-Kritiker Bruno V., der eine Biografie über den schwarzen Saxophonisten Johnny Carter geschrieben hat, beobachtet fasziniert und verzweifelt, wie sich der mit ihm befreundete geniale Jazzer selbst zerstört. ![]() |
Erstveröffentlichung |
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Julio Cortázar: Der Verfolger |
Inhaltsangabe:Bruno V. besucht seinen Freund, den schwarzen Saxophonisten Johnny Carter, und dessen Geliebte Dédée in einem schäbigen Hotel in der Rue Lagrange in Paris. In ihrem Zimmer gibt es kein fließendes Wasser. Johnny hat sein Saxophon in der Metro liegen lassen und kann es sich nicht leisten, ein neues zu kaufen, soll aber aufgrund eines Vertrags – für dessen Erfüllung es endlich wieder Geld geben würde – in zwei Tagen auftreten.
Niemand wagt es mehr, Johnny ein Instrument zu leihen, denn entweder verliert er es oder er macht es sofort zuschanden. Das Saxo von Louis Rolling hat er in Bordeaux verloren, und das, was Dédée gekauft hatte, als man ihn für eine England-Tournee verpflichtete, hat er in Stücke geschlagen, ist darauf herumgetrampelt und hat es in die Ecke gekickt. Niemand kann sagen, wie viele Instrumente er schon verloren, versetzt oder kaputtgemacht hat. (Seite 10)
Während Dédée Wasser für drei Tassen Nescafé zum Kochen bringt, verrät Johnny – der seine Ehefrau Lan und die Kinder in den USA sitzen ließ – seinem Freund, dass er mit Dédée Schluss machen und nach New York zurückkehren will.
Ich weiß sehr wohl, dass das Buch nicht die Wahrheit über Johnny sagt (aber es lügt auch nicht), es beschränkt sich auf Johnnys Musik. Aus Takt, aus Güte, habe ich seine unheilbare Schizophrenie, den miesen Hintergrund der Droge, die Promiskuität dieses erbärmlichen Lebens nicht an den Tag bringen wollen. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, die Grundzüge herauszuarbeiten, und habe den Akzent auf das gelegt, was wirklich zählt, Johnnys unvergleichliche Kunst. (Seite 81)
Weil es Johnny nicht gelingt, das zu spielen, was er eigentlich ausdrücken möchte, zertrampelt er die Saxophone. Er sagt selbst, dass er gewissermaßen "ohne Wasser schwimmen" wolle (Seite 88). [...] wir setzen so gut wir können ein, und Johnny stellt sich breitbeinig hin, steht da wie auf einem schwankenden Boot und beginnt zu spielen, wie ich das, ich schwöre dir, noch nie gehört habe. Und das drei Minuten lang, bis er plötzlich einen Ton hervorstößt, der selbst die Harmonie des Himmels hätte zerstören können, sich in eine Ecke verkriecht und es uns überlässt, das Stück so gut sie können zu Ende zu spielen. (Seite 45)
Am nächsten Tag steht in der Zeitung, dass Johnny Carter sein Hotelzimmer in Brand steckte und nackt durch die Korridore lief. Zum Glück wurde niemand verletzt, und die Marquise, die sich wieder mit ihm versöhnt hatte, regelt den Schaden. Johnny wird allerdings in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert. |
Buchbesprechung:
Unverkennbar ist, dass Julio Cortázar bei der Figur des schwarzen Saxophonisten Johnny Carter in "Der Verfolger" an Charlie Parker (1920 - 1955) dachte. In einprägsamen Szenen und Dialogen porträtiert Julio Cortázar einen genialen und zugleich selbstzerstörerischen Jazz-Musiker. Die Erzählung ist ein leidenschaftliches, mitreißendes, virtuoses "Solo für einen Besessenen" (Roger Willemsen in: Süddeutsche Zeitung, 7. August 2004). Dédée brachte noch eine Tasse Nescafé, doch Johnny sieht traurig sein leeres Glas an. (Seite 18) ... und eine komplette Passage steht im Futur: [...] eines Abends werden Tica, Baby Lennox und ich im Café Flore sitzen [...] Baby wird mit der Verzückung ihrer zwanzig Jahre sehen, wie Johnny auftaucht, und Johnny wird sie ansehen, ohne sie zu erkennen, wird vorbeigehen und sich allein an einen anderen Tisch setzen, völlig betrunken oder benebelt. Ich werde Ticas Hand auf meinem Knie fühlen [...] (Seite 67f)
Der Argentinier Julio Cortázar wurde am 26. August 1914 in Brüssel geboren. Erst im Alter von vier Jahren kam er nach Buenos Aires und wuchs dort in einer kleinbürgerlichen Familie auf.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 |
Charlie Parker (Kurzbiografie) |