Jorge Edwards: Der Ursprung der Welt (Roman) |
Jorge Edwards: Der Ursprung der Welt |
Inhaltsangabe:Angefangen hat alles am Montag oder Dienstag vergangener Woche, vor dem Bild. Es begann mit einem plötzlichen Gedanken, einer Frage. Eigentlich war es nur ein Scherz gewesen, aber seit letzten Montagnacht, als wir die Leiche fanden, hatte dieser Scherz, den ich nicht vergessen hatte, eine beunruhigende, weniger leiche Färbung bekommen. Eine dunklere, wenn man so will. (Seite 7)
Dr. Patricio ("Patito") Illanes, ein Mediziner Anfang siebzig, stammt aus Iquique im Norden Chiles. Mit seiner sehr viel jüngeren Ehefrau Silvia, mit der er seit nahezu dreißig Jahren verheiratet ist, lebt er in Paris. [...] bis zum siebten Tag hatte er versucht, die giftige Flasche Ballantine's gegen die verführerische Philosophin einzutauschen, überzeugt, dass er die Philosophin vorzöge, aber am achten Tag [...] war er nach all dem plötzlich, in einem intuitiven Geistesblitz, zu dem Schluss gekommen, dass er in seinem Innern, in seinem authentischen Wesenskern, die Flasche vorzog. (Seite 31f)
Kurz nach dem Besuch im Musée d'Orsay erhält Patricio einen Anruf von Alfredo Arias, der sich wundert, dass Felipe Díaz nicht zu einem Termin bei Radio France erschien.
Es hat mich eine Menge Überredungskunst gekostet, Patricio aus dem Appartement in der Rue Victor Massé herauszubekommen. Dieser korrekte, ausgeglichene, bodenständige Mann, der tadellose Medizinprofessor, von dem ich mich während meiner Studienzeit erobern ließ, der athletische Vierzigjährige, die Mischung aus Intellektuellem und Sportler, der fitte Fünfzigjährige, einer der führenden Köpfe unter den Exilchilenen, hatte sich in einen Nihilisten mit wirrem Blick, halboffenem, sabberndem Mund, mit teigiger Aussprache und weichen Knien verwandelt, halb hinüber, das Opfer billigen Fusels. Benedicto Morgado schlug, schwankend, mit dem Gesicht eines verblödeten Satyrs, vor, wir sollten zu viert ins Bett gehen, er ist doch völlig krank im Hirn, und plötzlich kam es mir so vor, als würde Elvireta, die kräftige, stramme Frau mit der rauen Stimme, die so gerne derbe Ausdrücke gebraucht, mich mit lüsternem Blick ansehen. Was für ein Schreck! Ich schaffte es gerade noch, den völlig fertigen Patricio aus der Wohnung zu zerren, und auf der Straße atmete ich in der Stille und der kühlen Brise erleichtert auf. (Seite 152f) Zu Hause äußert Patricio die Überzeugung, Silvia sei Felipes Geliebte gewesen und berichtet von seinen emsigen Nachforschungen. Da spricht sie ihn auf Nathalie Jarre, an, eine seiner früheren Krankenschwestern, mit der er eine Affäre hatte, und er gibt schuldbewusst zu, das habe er völlig vergessen. Silvia behauptet, vier oder fünf Mal mit Felipe Sex gehabt zu haben. Patricio holt das obszöne Foto heraus und fordert sie auf, dieselbe Position einzunehmen. Er spreizt ihre Beine und legt einen Teil des Lakens auf ihr Gesicht. Nachdem er sie eine Weile betrachtet hat, dringt er in sie ein und fragt sie, wie es mit Felipe gewesen sei. Während sie Einzelheiten erzählt, kommt er zu einem ausgedehnten und intensiven Orgasmus, wie in seinen besten Zeiten. Ich war wahnsinnig verliebt in Felipe, sagte ich mir, fast mit Erstaunen, aber niemand hat es gewusst, Patito nicht, niemand, und natürlich auch Felipe selbst nicht, der mit solchen Dingen nichts am Hut hatte und es nicht einmal merkte, der Unglückliche! Und meinen Doktor, Patito, den liebe ich sehr, meine Gefühle für ihn werden mit jedem Tag stärker. Hoffentlich lebt er noch viele Jahre. Aber ich glaube, Felipes Tod und all die Geschichten waren ein schwerer Schlag für ihn, all diese seltsamen Obsessionen, die sich in seinem Kopf festgesetzt haben, und in Wahrheit habe ich Angst, große Angst! Ich weiß nicht, ob ich auf dem Holzweg bin und alles kaputtmache. Einerseits sage ich mir, Patitos Fantasien sind gefährlich, Gift für ihn, die Ausgeburt eines kranken Hirns, aber andererseits erfüllen sie ihn mit neuem Leben. Wo sollte er sonst soviel Energie hernehmen? (Seite 164f) |
Buchbesprechung:
Jorge Edwards' Roman "Der Ursprung der Welt" handelt von der Obsession eines älteren eifersüchigen Intellektuellen. Edwards erzählt die Geschichte mal in der ersten, mal in der dritten Person Singular aus der Sicht des Protagonisten Patricio. Für das letzte Kapitel wählt er die Perspektive Silvias und noch einmal die Ich-Form. Mit stilistischer Brillanz, Ironie, Witz und Komik sorgt er für ein besonderes Lesevergnügen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Jorge Edwards: Faustino |