Hubert Fichte: Versuch über die Pubertät (Roman) |
Hubert Fichte: Versuch über die Pubertät |
Inhaltsangabe:Huberts Mutter wird nach zwei Jahren als Souffleuse am Thalia-Theater in Hamburg arbeitslos, weil die Frau des Direktors sie nicht leiden kann. Mit zwölf verdient der Schüler durch seine Nebentätigkeit beim Rundfunk, bei Synchronisationen und als Kinderdarsteller schon mehr als seine Mutter und sein Großvater, ein Zollinspektor a. D.
Der ehemals moderne Betonklotz der Musischen Oberschule für Knaben und Mädchen, Sootbörn, fängt an, Blasen zu werfen. In der Nachkriegszeit taucht ein gewisser Werner Maria Pozzi in der Schule auf und lässt sich von einigen Schülern Urinproben geben. Als er herausfindet, dass Huberts Hormone "halb androgen und halb östrogen" sind, gibt er ihm Geld dafür, dass er jeden Sonntag vorbeikommt und Urin abgibt "für blinde oder kröpfige Frauen in der Schweiz".
Bumms! Bi! Und Schicksalssinfonie! Ich bin fiftyfifty! Bumms! Bi! Tüten! Fünfte Sinfonie!
Pozzi mag zwar pubertierende Jungen, aber er ist auch verheiratet, und zwar mit Liana, "einem zwölfjährigen Mädchen, von dem gemunkelt wird, dass es auf die siebzig geht". Hubert und "Mozart", ein "maulender süddeutscher Junge in der Frühpubertät", den Pozzi nach Hamburg geholt hat, befriedigen sich gegenseitig durch Fellatio. Mit Klaus Hanft hat Hubert in einem Kohlenkeller den ersten gegenseitigen Analverkehr. Als seine Mutter bemerkt, dass ihr sechzehnjähriger Sohn homosexuell ist, ohrfeigt sie ihn und wird "Jokaste, Klytämnestra, Medea zugleich".
Und jetzt zische ich ab und fliege über die Zementsaurier von Hagenbecks Tierpark, über die Heinzelmänner der Schrebergartenkolonien [...] Als Statist beim Film lernt er Alex W. Kraetschmar kennen.
Eine Dreieckskomödie-Tragödie, die Alex gefällt, wie ihm Bourjois-Parfüm gefällt. "Der Purpurstreifen":
Schließlich macht Huberts Jahrgang Abitur, darunter auch Hans Emil aus der Parallelklasse. Nach der Abschiedsfeier in der Schule reißt Hans Emil aus einem Anatomielehrbuch die Seiten über die Muskulator des Handgelenks, fährt nach Aumühle und schneidet sich "ohne Fehler" die Pulsadern auf. Zufällig kommt ein schäkerndes Ärztepaar vorbei und rettet ihn – ein schäkerndes Soziologenpaar wäre dazu nicht imstand gewesen –, aber Hans Emil ist seinen Lebensrettern keineswegs dankbar.
Ich trenne die Lämmer von den Muttertieren, weiche dem Widder aus, führe die Herde, hacke das Unkraut, während ich darauf achte, dass die Schafe in weiten Bögen angeordnet gleichmäßig fressen, dass die Schafe schnell, ohne sich festzubeißen, die Wintersaat kürzen, sie dürfen nicht stehen bleiben, die Pflanzen nicht mit der Wurzel ausreißen, nur eben die Spitzen abbeißen, sonst ist eine Ernte vernichtet, dass die Schafe nicht in die Felder des Nachbarn einbrechen, dass die Schafe nicht ohne zu fressen stehen bleiben und mit luftigen Flanken, abmagernd, abends in den Stall zurückkehren. Ich schmeiße Steine, kommandiere den Hund.
Auf den Seiten 123ff und 247ff schiebt Hubert Fichte jeweils "eine andere Pubertät" ein: Rolf Schwab (1972) und Hans Eppendorfer (1969 - 1973). Ich bin praktisch geheiratet worden, von einer Studienkollegin, die drei Jahre älter war als ich und die mich liebte. Erektionen hatte ich ohne weiteres und es war auch nicht so, dass es mir Ekel brachte. Das nicht, nur .. Die Ehe würde wahrscheinlich heute noch bestehen, wenn die Frau toleranter wäre. Ich habe es ihr vor der Ehe gesagt und habe sie auch gewarnt. Das stachelte sie aber noch mehr an und auf, mich zu heiraten, um mich zu heilen. (Seite 135)
Später ließ seine Frau ihn beobachten und zeigte ihn dann wegen eines Verhältnisses mit Studenten an, aber die Polizei unternahm nichts, weil er glaubhaft versicherte, dass sein Partner volljährig war. Sie ist lediglich an Blutflüssigkeit erstickt und die Zunge ist vom Zungenhalsboden gelöst. Ich weiß überhaupt nicht, wie das passiert sein kann. Irgendwo in einer dieser Schalen lag auch noch eine Schere und damit habe ich noch auf sie eingestochen, nur auf dieses Gesicht. Irgendwie war dieses Gesicht plötzlich das Gesicht meiner Mutter und dann schlug ich immer in dieses Gesicht, hackte in dieses Gesicht. (Seite 250)
Erst zu Hause bemerkte er das viele Blut. Er wusch sich, kaufte Heftpflaster und versorgte damit seine Verletzungen. Als seine Mutter heimkam und keifte, log er, ein Hund habe ihn gebissen. Noch am selben Abend wurde er verhaftet. Ich habe in Paris das erste Mal jemanden mit einer Faust gefickt. Einen amerikanischen Tänzer aus den Folies Bergères und es war eine so große Faszination [...] (Seite 258) Ungeachtet dieser Erfahrungen liebt Hans Eppendorfer seine Ehefrau. |
Buchbesprechung:
In seinem Roman "Versuch über die Pubertät" betreibt Hubert Fichte eine rücksichtslose Selbsterforschung. Er analysiert seine Entwicklung in der Jugend und erinnert sich, wie er als unehelicher Sohn einer Souffleuse in Hamburg Theater spielte, seine Bisexualität entdeckte, sich verzweifelt bemühte, mit der Realität des Lebens klarzukommen und schließlich als
Der Homosexuelle hat nur eine Chance – die Brillanz, und er wird wegen ihrer gehasst; ist er nicht brillant, wird er verachtet. (Seite 225) Hubert Fichte schreckt nicht vor detaillierten Darstellungen des Analverkehrs und sadomasochistischer Praktiken zurück. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Hubert Fichte (Kurzbiografie) |