William Gaddis: JR / J R (Roman) |
William Gaddis: JR |
Inhaltsangabe:
– Geld ...? mit einer Stimme, die raschelte. So beginnt der Roman "J R". Es sprechen zwei alte Damen: die Schwestern Julia und Anne Bast. Deren Bruder Thomas Bast ist gestorben, und Rechtsanwalt Coen – den sie beharrlich mit Mr Cohen ansprechen –, ist bei ihnen zu Besuch, um die Erbschaftsangelegenheit zu klären. Das hinterlassene Vermögen besteht hauptsächlich aus einem Mehrheitsanteil an der General Roll Corporation, die Rollen für Konzertflügel herstellt. Ein Testament liegt nicht vor, und außerdem machen unklare Verwandtschaftsverhältnisse den Fall etwas kompliziert: Stella Angel, die Tochter des Verstorbenen, entstammt seiner ersten Ehe. Nach dem Tod seiner Ehefrau heiratete er noch einmal, aber Nellie, seine zweite Frau, trennte sich wieder von ihm und vermählte sich mit seinem älteren Bruder James. Jetzt gilt es herauszufinden, ob Nellies Sohn Edward vor oder nach der Eheschließung mit James geboren wurde. Deshalb schlägt Coen vor, Edward Bast solle auf seinen eventuell bestehenden Erbanspruch verzichten. Eine entsprechende Erklärung hat er mitgebracht, denn Edward wohnt bei seinen beiden Tanten in deren Haus außerhalb von Massapequa auf Long Island. Coen nimmt jedoch an, dass er nicht da ist, weil Julia und Anne Bast nicht darauf eingehen und seinen kaum verständlichen juristischen Ausführungen auch keine große Aufmerksamkeit schenken, sondern zu Coens Verdruss ständig von Erinnerungen reden und dabei vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen – bis eine von ihnen meint: "Ich glaube, ich habe ihn weggehen hören." Coen ist also umsonst vorbeigekommen, obwohl Edward die ganze Zeit über in seinem Zimmer gewesen ist! Nachdem Coen sich verabschiedet hat, entrüstet eine der Schwestern sich gegenüber der anderen: – Ich finde, er hat uns überhaupt nicht zugehört. Sieh ihn dir an da draußen, meine Güte! Hat der es aber eilig. (Seite 26) Edward Bast ist Komponist. Im Rahmen eines Schulfernsehprojekts ist er gerade dabei, mit den Schülerinnen und Schülern einer Schule in Massapequa Richard Wagners Oper "Rheingold" einzustudieren. Weil der Fachbereich Kunst mit dem Rheingold noch nicht fertig ist, tanzen die Rheintöchter bei der Probe um eine mit Geld gefüllte Tüte herum. Das Geld hat die Lehrerin Amy Joubert in der 6 J eingesammelt, denn sie will mit der Klasse nach New York zur Börse fahren und dort "einen Anteil an Amerika" kaufen, eine Aktie der Firma Diamond Cable, damit die Schülerinnen und Schüler lernen, wie das System funktioniert und wie man Kursentwicklungen verfolgt. Der Zwerg Alberich soll von J R, einem Schüler der 6 J, gespielt werden, aber man vermisst ihn auf der Bühne. Bast findet ihn schließlich in einem der Zimmer. Mit dem Rücken zur Tür sitzt J R auf einem Drehstuhl und hat einen Bleistiftstummel in der Hand.
– Was machst du hier drinnen? Spielst mit dem ... Wie geplant, fährt Amy Joubert mit der Klasse zur Wallstreet. Edward Bast begleitet die Gruppe. Während der Zugfahrt zeigt J R einem Mitschüler eine Schachtel mit Prospekten zu allen möglichen Themen, die er durch das Einsenden von Coupons angefordert hat. [...] Finger [...] wühlten durch Umschläge mit Aufschriften wie: Persönlich, Hier ist die Information, die Sie angefordert haben, Sonderangebot; Faltblätter mit Überschriften wie: Bei Erfolg sofort Barprovision, Beste Aussichten im Außendienst, Große Gewinne in Übersee; Briefe, die mit Lieber Freund, Sehr geehrter Herr, ist Ihnen Ihre Zukunft fünf Minuten wert? Schauen Sie einmal in den Spiegel, begannen und mit freundlichen Grüßen, Wir arbeiten für Ihren Erfolg, schlossen [...] (Seite 111) Auch in der Börse nimmt J R alles mit, was er kriegen kann: Broschüren über Gewinn und Verlust im Kapitalgeschäft, Aktienführer, Provisionstabellen, Investment-Barometer. Man erläutert den Kindern das System, und nachdem sie von dem Börsenmakler Crawley eine Aktie von Diamond Cable erworben haben, besuchen sie auch noch "ihr" Unternehmen. Dort werden sie von Amy Jouberts Onkel empfangen, Governor John Cates, einem der Direktoren, der im "Vorstandszimmer, wo der Aufsichtsrat zusammenkommt" (Seite 130) eine Videopräsentation für die Klasse vorbereiten und Exemplare des Jahresberichts auslegen ließ. Auch Monty Moncrieff, Amy Jouberts Vater, begrüßt die Kinder.
– Der Spitzenmann eurer Firma hat sich eine Minute Zeit genommen, um euch an Bord zu begrüßen, dies ist Mister Moncrieff, Kinder, der euch über die Arbeit hier berichtet. Ganz recht, der euch berichtet, euch, den Eigentümern, nicht wahr? Wir anderen arbeiten hier bloß, wir arbeiten für euch und alle anderen Aktionäre und führen eure Firma genauso, wie ihr wollte ... Auf der Herrentoilette hört J R, wie sich Manager unterhalten ("verdammter Idiot, hat nicht den leistesten Schimmer, wie man zu versteuerndes Einkommen wegdrückt" – Seite 154). Einer von ihnen sagt zu J R:
– auf dem Klo hört ihr mehr Klartext als in zwanzig Vorstandssitzungen (Seite 155)
Weil Amy Joubert sich nicht wohl fühlt, bittet sie Edward Bast, die Klasse zurück nach Massapequa zu bringen, vergisst jedoch, ihm die bereits besorgten Bahnfahrkarten mitzugeben. Er muss also neue kaufen, und weil er nicht so viel Geld bei sich hat, borgt er sich 10 Dollar von J R. Bei der Ankunft stellt sich heraus, dass auch der Physiklehrer Jack Gibbs im Zug war. Amy Joubert hatte ihn der Klasse mit den Fahrkarten nachgeschickt, aber er ist so betrunken, dass ihm das erst jetzt wieder einfällt. Um seinen Fehler wieder gutzumachen, übergibt er Edward Bast außer den Fahrkarten einen Schlüssel für das Apartment, das er sich mit dem Schriftsteller Thomas Eigen teilt. Dort soll Bast ungestört komponieren können.
– Sagen Sie, äh, hallo? Ich möchte nur diese Fahrscheine umtau... Bast händigt J R auf dem Nachhauseweg die Fahrkarten aus, damit dieser sich bei Gelegenheit am Schalter das Geld dafür geben lässt. Für die 10 Dollar, die J R dem Komponisten geliehen hat, verlangt er nicht nur Zinsen, sondern obendrein ein Disagio, und er besteht darauf, zwischen der Übernahme der Fahrscheine und dem Kreditgeschäft zu differenzieren.
– Nee, aber sehen Sie, wir sollten das voneinander trennen, weil ich die Fahrscheine davon abziehen muss, verstehen Sie?
Als Bast zu seinem Studio kommt, ragt eine Schaufel aus dem zerbrochenen Türfenster, und Glassplitter knirschen unter seinen Schuhen. Seine Cousine Stella ist auch da; sie sucht in der Erbschaftsangelegenheit ihres verstorbenen Vaters nach Unterlagen. Ihr Ehemann Norman Angel trifft mit einem Polizisten ein, der den Einbruch protokolliert und überzeugt ist, dass Kinder die Täter waren.
– [...] Scheiße, ich versuch doch nur, die Dinge hier zusammenzuhalten, alles, was dein Vater und ich da aufgebaut haben. Die ganze Zeit ist jeder Penny wieder ins Geschäft zurückgeflossen also gibt’s kaum flüssige Mittel, es gibt nicht einmal genug Reserven, um die Erbschaftssteuer zu zahlen, und die kommen an, die Steuer kommt und will sich ihr Stück vom Kuchen holen, bevor sonst irgendwer davon probiert hat, verstehst du, was ich meine? Es sind zwei, drei Millionen Dollar hier gebunden, alles in allem sogar eher vier, aber niemand weiß, wie das Finanzamt die fünfundvierzig Prozent deines Vaters bewerten wird, weil es eine Familienfirma ist und die Aktien auch nie frei gehandelt wurden. Die können uns mit ihren Rechtsverdrehern dazu zwingen, unsere Aktien auf den Markt zu werfen, allein um genügend Cash für die Steuer aufzutreiben, das heißt, die machen auf jeden Fall nen schönen Schnitt, nur wir sitzen mit nem verdammten Haufen Kleinaktionäre da, die nach Dividenden schreien, und Banker, die von Lochkarten und Endlosformularen soviel verstehen wie die Sau vom Eierlegen, mischen sich ein und wollen uns erzählen ...
J R zeigt einem Mitschüler eine Armbanduhr, die ihm eine Bank in Nevada schickte, weil er dort im Namen der Klasse 6 J ein Konto eröffnete. Als er herausfindet, dass die Navy neue Plastikgabeln bekommt und deshalb 9000 alte Picknickgabeln aus Holz zum Kauf anbietet, will er sie erwerben und später mit Gewinn weiterverkaufen. Wo er das Geld dafür hernehmen wolle, fragt der Mitschüler. Von einem Schuldschein, den J R von der Gläubigerin Selma Krupskaya weit unter Wert bekommen hat, weil die Schuldner die Zinsen nicht bezahlen. – Als die Gabeln in der Schule angeliefert werden, wundert sich Whiteback, der für das Schulfernsehprogramm verantwortlich ist, denn in seinem Etat ist dafür keine Position vorgesehen. Er nimmt deshalb an, die Gabeln hätten etwas mit dem Schulspeisungsprogramm und der neuen Cafeteria zu tun. Noch seltsamer findet er die Anlieferung von Munition, denn die Schule hat nicht einmal einen Schützenverein.
– [...] und was ist das hier? Bast zeigt Crawley auch eine Obligation des Textilunternehmens Eagle Mills in Union Falls, im Norden von New York.
– Klarer Fall von Pleitepapier, ist jetzt zehn, schauen wir mal, dreizehn Jahre her, die Firma verliert nach wie vor Geld, und zwar schneller als sie die Summe hinschreiben können. Tapeten, Mister Bast, Tapeten. Wissen Sie, was Tapeten sind? Der einzige Wert des Textilunternehmens stecke in den Immobilien und in der Pensionskasse, erfährt Bast. Als J R daraufhin mit dem Geld aus dem Pensionsfond, auf den Hunderte von Arbeitern angewiesen sind, die Wonder Brewery erwirbt, meint Bast – der sich überreden ließ, für J R als "Geschäftsführer" zu agieren – entnervt:
– Hör auf! Findest du nicht, dass du schon genug Chaos angerichtet hast mit deiner bankrotten Textilfabrik? Da muss doch nicht noch eine bankrotte Brauerei dazukommen! [...] Die Webstühle des Textilunternehmens veräußert J R nach Südamerika und kassiert dafür Steuervorteile. Dann verlegt er das Unternehmen nach Georgia, in den Hinterhof eines Gebrauchtwagenhändlers, und erhält dafür eine Steuerbefreiung. Durch mehrere Transaktionen rafft J R ein Firmenimperium zusammen, zu dem auch ein "Altersheim-Beerdigungs-Friedhofs-Komplex" (Seite 729) gehört. David Davidoff, der inzwischen für die PR verantwortlich ist und ein Firmenlogo entwickeln ließ, verwechselt den dazugehörigen Tapetenhersteller Duncan's mit dem Verlag Duncan & Co und will Werbung in Schulbüchern einführen, abgestimmt auf die Altersklassen. – Kaugummi, Cornflakes, Schokoriegel, das ganze Mistzeug für die Grundstufe, Fahrräder, Sportartikel, Schallplatten, siebte und achte Klasse, und ab da bis Französisch drei und fortgeschrittene Algebra Deodorants, Tampons und das ganze Blablabla ... (Seite 732) Seine Geschäfte wickelt J R per Post und mit verstellter Stimme übers Schultelefon ab.
[...] ich meine, bei diesem Obligations- und Aktienzeugs, da siehste keinen, da kennste keinen außer per Post oder Telefon, und alles, weil man das eben so macht, du brauchst nie jemandem zu begegnen, da kannste noch so komisch aussehen und irgendwo aufm Klo wohnen, das wissen die doch gar nicht, ich meine, wie diese ganzen Typen an der Börse, wo die sich gegenseitig diese ganzen Aktien verkaufen? Denen ist es doch scheißegel, wem die gehören, die kaufen und verkaufen die Sachen bloß für irgend ne Stimme am Telefon, warum sollte denen das nicht scheißegal sein, ob man hundertfünfzig Jahre alt ist? [...] (Seite 242f) Niemand weiß, wie J R aussieht, und selbst Finanzexperten rätseln, um wen es sich bei dem Inhaber der J R Corporation handelt, die innerhalb kurzer Zeit aus dem Nichts entstanden ist.
– Sagen Sie mal, wenn dieser Bast der Geschäftsführer ist, wer ist dann die Nummer eins, wem gehört der Laden?
Edward Bast versucht, in dem Apartment, dessen Schlüssel er von Jack Gibbs bekommen hat, zu arbeiten. Sein Mitbewohner Thomas Eigen wundert sich über die viele Post, die für einen Mr Grynszpan eintrifft, aber Bast kümmert sich darum und deponiert sie im Bratrohr des Gasherds, während er seine Notenblätter im ebenfalls ausgeschalteten Kühlschrank aufbewahrt, damit sie sauber bleiben. Um das Geld für seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist Bast gezwungen, neben seiner eigentlichen Arbeit als Komponist für J R als Geschäftsführer zu fungieren und – auch beim Komponieren! – im Kopfhörer Popmusik zu hören, weil er die Aufgabe übernommen hat, Rundfunkübertragungen anzuzeigen, für die keine Lizenzgebühren bezahlt wurden.
– Hören Sie. Können Sie mir einfach mal erklären, wie zum Teufel Sie überhaupt in diese Wohnung kommen? In einer Nachbarwohnung erhängt sich ein Mann namens Schramm, obwohl Eigen glaubte, ihm die Selbstmordgedanken ausgeredet zu haben. Als die Polizei die Tür aufbricht, ist es bereits zu spät: Schramm ist tot. – Guck nur mal aus dem Scheißfenster, o Gott, was, hab noch nie so viele Blaulichter gesehen [...] (Seite 394) Es läutet. Bast geht zur Tür.
– Wer ist da? Ebenso schnell wie J R sein Firmenimperium aufgebaut hat, bricht es wieder zusammen. Dadurch kommt es an der New Yorker Börse zu Kursverwerfungen. Überprüfungen ergeben, dass selbst der Firmenchef sich immer wieder mit dem Komma um zwei Stellen vertat, aber man kann ihm kein vorsätzliches Fehlverhalten nachweisen, zumal die finanziellen Unregelmäßigkeiten einmal zu seinen Gunsten und dann wieder zu seinem Schaden waren. Der Buchhalter von J R Corp war mit Transaktionen in dieser Größenordnung nicht vertraut. – [...] er ist anscheinend nur deshalb eingestellt worden, weil er der Schwager des Leiters ihrer PR-Agentur war, welcher wiederum von seinem Bruder eingestellt worden ist, ihrem Rechtsberater Mister Piscator [...] (Seite 995) Völlig überarbeitet, bricht Edward Bast eines Tages zusammen, wird ins Krankenhaus eingeliefert, schläft dort tagelang und komponiert dann statt der ursprünglich geplanten Oper ein Stück für Cello. Coen besucht Bast und teilt ihm mit, dass die Tanten Julia und Anne nach Indiana gezogen und in einem Altenheim untergekommen sind. Er habe sie allerdings telefonisch nicht erreichen können, weil man sie wegen eines Zimmerbrands evakuierte. Unvermittelt wirft Edward Bast seine Noten in den Papierkorb. Coen ist entsetzt.
– Aber Sie haben so hart daran gearbeitet, wissen Sie noch, wie stolz Mister Dunc...
Der frisch Operierte, den man zu Bast ins Zimmer gelegt hat, stirbt.
– Wenn ich noch erwähnen dürfte, dass in diesem Moment ein anderer Patient im OP liegt, dessen Überleben davon abhängt, dass ... Danach spricht Stella ungerührt mit Rechtsanwalt Coen über die Fortführung der Geschäfte ihres Mannes.
– Natürlich ja, Mrs Angel, sobald sich der Zustand Ihres Mannes verändert ... In einer anderen Ecke des Krankenhauses wird John Cates – der aufgrund eines Missverständnisses als "Katz" angesprochen wird – für eine Herztransplantation vorbereitet. Währenddessen redet er pausenlos mit seinem Anwalt Beaton über Geschäftsangelegenheiten, die noch erledigt werden müssen. Ein Monteur meldet sich, aber er ist nicht von der Firma, die das Diathermiegerät reparieren soll, sondern er hat den Auftrag, für Cates eine Telefonverbindung ans Krankenbett zu legen. Mehrmals fordert die Krankenschwester Beaton auf, die Unterredung mit Cates zu beenden.
"Bitte sagen sie dem Patienten, dass er still liegen muss ..." (Seite 993) Aber Cates ist noch immer am Telefonieren.
– [...] Und nehmen Sie endlich den Scheißhörer ab! Als Edward Bast nach Hause kommt, ruft J R ihn an.
– Sie endlich erwischt, Mann, ich meine, heilige Scheiße, echt, wo haben Sie denn die ganze Zeit ge... |
Buchbesprechung:
Bei einem Schulausflug zur New Yorker Börse glaubt der elfjährige J R zu begreifen, dass der Aktienhandel etwa so funktioniert wie das, womit er bereits eine Menge Erfahrungen gesammelt hat: Wenn er Coupons ausschneidet und einschickt, erhält er umgehend Prospekte zugeschickt, und weil niemand sich für seine Identität interessiert, ist zum Beispiel auch Werbung für einen Vibrator dabei. Nach dem gleichen Muster beginnt J R, Aktien zu kaufen und mit den Hebeln des Marktes zu spielen. Die Anonymität, mit der sich die Geschäfte abwickeln lassen, kommt ihm zugute: Mit verstellter Stimme und seinem schmutzigen Taschentuch über dem Hörer verhandelt er vom Schultelefon aus, und niemand kümmert sich darum, wer er ist. Es ist wohl auch kein Zufall, dass William Gaddis diesem kindlichen Spekulanten keinen Namen, sondern nur Initialen gibt. J R kauft Unternehmen auf, kalkuliert mit Steuerrückzahlungen und setzt bei seinen spielerischen Geschäften auch die Rücklagen einer Pensionskasse ein, ohne sich Gedanken über die Betroffenen zu machen. Die Menschen, deren Leben er mit seinen Transaktionen ruiniert, interessieren ihn nicht; Skrupel oder Verantwortung kennt er nicht, und obwohl ihm bald ein Industrieimperium gehört, bleibt er ein infantiles Bürschchen. – Mister Bast, alles ist soviel wert, wie irgendein Idiot dafür bezahlt [...] (Seite 283)
Geld regiert die Welt, aber nicht nur in Form eines Zahlungsmittels, sondern mehr noch als eine virtuelle Größe, in Form von Aktienkursen beinahe ohne Realitätsbezug, denn die Selbstdarstellung wird für die Wirklichkeit gehalten. (Sah William Gaddis die Spekulationsblase der New Economy voraus?) Auch der Alltag wird von der Kommerzialisierung bestimmt; der Kapitalismus korrumpiert alle Lebensbereiche und persönlichen Beziehungen; die traditionellen Ordnungen bieten keinen Halt mehr: Sogar Gerichtsurteile lassen sich in der nächsthöheren Instanz ins Gegenteil verdrehen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
William Gaddis: Letzte Instanz |