Graham Greene: Der Mann, der den Eiffelturm stahl (Erzählungen) |
Kritik: Die von Graham Greene in einem Band mit dem Titel "Der Mann, der den Eiffelturm stahl" zusammengefassten, sehr verschiedenen zwölf Erzählungen stammen aus den Jahren 1923 bis 1989. ![]() |
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Graham Greene: |
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Inhalt: Der Mann, der den Eiffelturm stahl – Nachrichten in englischer Sprache – Der Augenblick der Wahrheit – Das letzte Wort – Der Leutnant starb als letzter – Ein Dienst im Dienst – Das Gedächtnis eines alten Mannes – Das Lotterielos – Das neue Haus – Ein Dichter in Nöten – Mord aus falschem Motiv – Eine Verabredung mit dem General ![]() |
Manuskripte: 1923 – 1989 Originalausgabe: The Last Word and other Stories, 1990 Der Mann, der den Eiffelturm stahl Übersetzung: Monika Seeger Paul Zsolnay Verlag, Wien 1993 dtv, München 1996 / 2004 ISBN 3-423-13180-2, 183 S., 7.50 € (D) |
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Der Mann, der den Eiffelturm stahlEs war nicht so sehr der Diebstahl des Eiffelturms, der mir Schwierigkeiten bereitete; es war die Frage, wie ich ihn zurückbringen sollte, bevor ihn irgendwer vermisste. (Seite 9) Mit einer Flotte von 102 sechsrädrigen Lastwagen lässt der Erzähler den Eiffelturm heimlich nach Chantilly transportieren und fährt dann zurück zum verwaisten Standort in Paris, wo die großen Betonklötze, auf denen bis dahin der Eiffelturm stand, wie Grabmäler aussehen. Jemand hat auch bereits ein Blumengebinde zu Ehren der Helden der Résistance niedergelegt. Einem irritierten Taxifahrer, der ein amerikanisches Touristenpaar zum Eiffelturm bringen soll, rät er Erzähler, stattdessen zum Tour d'Argent zu fahren. Natürlich bestand immer das Risiko, dass die Belegschaft das öffentliche Interesse auf sich ziehen könnte, aber das hatte ich berücksichtigt. Die Arbeiter und Angestellten wurden wöchentlich entlohnt, und welcher Mann oder welche Frau wäre wohl so töricht, zuzugeben, dass der Arbeitsplatz verschwunden war, bis die Woche wieder vorbei und das Geld verdient war? (Seite 11) Nach fünf Tagen bringt der Erzähler den Eiffelturm unbemerkt wieder zurück. Kurze Zeit später erlebt er, wie ein Taxifahrer mit dem amerikanischen Touristenpaar vor dem Eiffelturm hält, das der Erzähler schon einmal beobachtete. Als die beiden den Eiffelturm sehen, glauben sie, der Taxifahrer habe sich geirrt, denn diesen Turm kennen sie nicht. Geistesgegenwärtig empfiehlt der Erzähler dem Taxifahrer, sie zum Tour d'Argent zu bringen. Nachrichten in englischer Sprache
Als Mrs Bishop und ihre Schwiegertochter Mary in ihrem Haus in Crowborough kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs den Sender Zeesen hören und in einer Propagandasendung um 21.15 Uhr ein neuer Sprecher ans Mikrofon kommt, erkennen sie die Stimme ihres Sohnes bzw. Ehemanns David Bishop. Einige Tage später schreiben die englischen Zeitungen, der Mathematikprofessor David Bishop sei nach Deutschland übergelaufen und habe seine Frau und seine Mutter den deutschen Bomben ausgeliefert. "Wenn er von mir getrennt war und mir am Telefon sagte: 'Die Sache ist die', bedeutete das immer: 'Das sind alles Lügen, aber nimm die Anfangsbuchstaben der folgenden Wörter.'" (Seite 20)
Weil sie nicht rechtzeitig etwas zum Schreiben zur Hand hatte, konnte sie nur noch die Buchstabenfolge "SOSPIC" notieren. Die zunächst skeptischen Herren im Kriegsministerium finden heraus, dass die Deutschen um 4 Uhr ein Schiff namens "Pic" versenkten. "SOS Pic"! Wenn man die Warnung rechtzeitig erhalten hätte, könnten zweihundert Menschen noch am Leben sein. Ende. Für meine Frau, leb wohl. (Seite 29f) Mrs Bishop, die nichts von dem Code ahnt, schimpft ihren Sohn einen Feigling. Da schreit Mary: "Oh, wenn er doch nur ein Feigling wäre, wenn er nur einer wäre! Aber er ist ein Held, ein verdammter Held, ein Held, ein Held ..." (Seite 30) Der Augenblick der WahrheitArthur Burton arbeitet seit etwa zwanzig Jahren als Kellner in einem Restaurant in Kensington, das vor einiger Zeit von The Queen in Chez Auguste umbenannt wurde. Ein amerikanisches Touristenehepaar – er um die sechzig, sie Ende vierzig – kommt mehrmals zum Mittagessen vorbei: offenbar gefällt es ihnen in dem Restaurant. Als die beiden auch für den nächsten Tag wieder den gewohnten Tisch reservieren möchten, verrät Arthur ihnen, dass er nicht da sein werde. Mrs Hogminster ist entsetzt:
"Nicht hier? Quel désastre! Warum?"
Am Mittwoch nimmt Arthur sich den ganzen Tag frei, obwohl der Arzttermin erst um 17 Uhr ist. Der Chirurg bestätigt seinen Verdacht, dass es sich um Krebs handelt und eine Operation dringend erforderlich ist. Arthur soll am nächsten Morgen im Krankenhaus aufgenommen und am Freitag operiert werden. Er möchte jedoch erst am Donnerstagnachmittag ins Krankenhaus kommen und vorher noch einmal ins Restaurant, denn Mrs Hogminister wäre sicher enttäuscht, ihn vor dem Abflug nicht mehr zu sehen. "Arthur, wir haben Sie vermisst, doch der Geschäftsführer war so nett, und wir wollten seine Gefühle nicht verletzten." (Seite 39) Arthur hält sich so häufig und so lange wie möglich in der Küche auf. Nach einer halben Stunde bringt ihm der Geschäftsführer einen Brief von Mrs Hogminster, die mit ihrem Mann bereits zum Flughafen gefahren sei. Erleichtert steckt Arthur den Umschlag ein: Natürlich besitzt Mrs Hogminster genügend Feingefühl, sich nicht vor den anderen Gästen im Restaurant nach seiner Krankheit zu erkundigen und hat ihm deshalb ihre mitfühlende Frage nach dem Untersuchungsergebnis aufgeschrieben. Mit dem Brief in der Tasche fühlt er sich nicht mehr so allein. Im Krankenhausbett öffnet er das Kuvert und wundert sich über die drei Pfundnoten, die herausfallen. "Lieber Arthur, ich musste Ihnen einfach ein paar Worte des Dankes schreiben, bevor wir in unser Flugzeug steigen. Wir haben unsere Besuche bei Chez Augustine sehr genossen und werden gewiss eines Tages wiederkommen. Und der Ausverkauf – wir haben wundervolle Schnäppchen gemacht – Sie hatten wirklich Recht mit Ihrem Hinweis auf die Jermyn Street. Dolly Hogminster" (Seite 40) Das letzte WortEin alter Mann wohnt in einem Zimmer und erhält einmal im Monat eine bescheidene Rente. Woher sie stammt, weiß er nicht. Vielleicht hing das mit dem Unfall vor Jahren zusammen, der ihn seines Erinnerungsvermögens beraubt hatte. In seinem Gedächtnis waren nur ein lautes Geräusch, ein Lichtblitz und dann eine lange Dunkelheit voller wirrer Träume haften geblieben, aus denen er schließlich in eben jenem kleinen Zimmer erwacht war, in dem er jetzt lebte. (Seite 41) Die Nachbarn gehen ihm aus dem Weg und reden nicht mit ihm. Es ist so, als hätten sie Angst, mit ihm gesehen zu werden. Auf der Straße hielt sich stets ein Mann auf, den man nicht als Nachbarn bezeichnen konnte, weil er jeden zweiten Tag ausgetauscht wurde [...] (Seite 42)
Ein Fremder bringt den alten Mann am 25. Dezember zum Flughafen und erklärt ihm, der Weihnachtstag sei vor mehr als zwanzig Jahren abgeschafft worden. Im Flughafengebäude salutiert ein Offizier vor dem alten Mann. Der Flug in der luxuriös eingerichteten Maschine des Generals dauert vier Stunden. Der Leutnant starb als Letzter. Ein nicht protokollierter Sieg im Jahre 1940
Im Frühjahr 1940 wurde das Dörfchen Potter Schauplatz der ersten Invasion Englands seit der Landung napoleonischer Truppen in der Nähe von Fishguard. Weil an diesem Abend die Männer mit wenigen Ausnahmen bereits im Gasthof "Schwarzer Eber" saßen und ihre Frauen zu Hause das Geschirr vom Abendessen spülten, bemerkte nur der alte Wilderer Bill Purves die deutschen Fallschirmspringer. Er hatte keine Ahnung, wer oder was sie waren, ging ihnen aber lieber erst einmal aus dem Weg und versteckte sich. Ein Dienst im Dienst
Der Vater des Erzählers war Koch und reiste mit seinem Sohn viel herum – in England, Deutschland, Italien, in der Schweiz und einmal sogar nach Russland. Damals genoss es der Erzähler noch zu essen, und zu seinen frühesten Kindheitserinnerungen zählen die Düfte aus den Küchen, in denen sein Vater beschäftigt war. Sein Vater war es auch, der ihm schließlich eine Stelle beim "International Guide to Good Restaurants" verschaffte, bei dem es sich um eine getarnte Geheimdienstorganisation handelt. Unter dem Vorwand, die Küche eines Restaurants zu beurteilen und die Sauberkeit der Toilettenanlagen zu überprüfen, besuchen die Mitarbeiter vorwiegend einfachere Gaststätten und observieren dort Verdächtige, deren Foto man ihnen vorher zeigte. Ich war schweren Herzens gezwungen, einen Beruf aufzugeben, den ich höchst interessant und manchmal sogar gefährlich fand, weil ich meine Lust am Essen verloren hatte. In letzter Zeit esse ich nur noch, damit ich eine Kleinigkeit zu trinken bestellen kann [...] (Seite 77) Das Gedächtnis eines alten Mannes
1994 verfolgt der Erzähler die Eröffnung des Kanaltunnels im Fernsehen. Mrs Thatcher begrüßt den ersten französischen Zug in Dover. In Calais wartet der französische Staatspräsident allerdings vergeblich auf den ersten britischen Zug, denn der wurde von Terroristen im Tunnel gesprengt. (Tatsächlich wurde der in siebenjähriger Bauzeit entstandene 50 km lange Tunnel unter dem Ärmelkanal am 6. Mai 1994 von Königin Elisabeth II. und Staatspräsident François Mitterand feierlich eröffnet.) Das Lotterielos
Henry Thriplow, ein fast zweiundvierzig Jahre alter wohlhabender Junggeselle aus London, reist nach Mexiko. Bevor er in Veracruz an Bord eines schäbigen Schleppkahns mit Hilfsmotor geht, kauft er einem kleinen Mädchen ein Los ab. Nach vierzig Stunden legt der Kahn in einem anderen Hafen an, und von dort geht es mit einem Boot zehn Stunden flussaufwärts in einen kleinen tropischen Staat, wo Thriplow im einzigen Hotel ein Zimmer mietet.
"Dieser Mann möchte, dass ich Ihnen sage, wie glücklich der Gouverneur über Ihr Geschenk ist."
Thriplow betont, dass er das Geld nicht für politische, sondern für kulturelle oder wohltätige Zwecke spenden will. Mr Thriplow fand überhaupt keine Worte, doch irgendwo hinten in seinem Bewusstsein begann sich Hass zu regen – Hass auf den Lotterieverkäufer, Hass auf den Bankmanager, den Gouverneur, den Polizeichef, sogar auf das tote Opfer seiner Unbesonnenheit, Hass auf alle, die so unerwartet in sein Leben eingebrochen waren, Hass auf die neuen Ideen, die neuen Wörter. (Seite 119) Das neue Haus
Der Medienmogul Samuel Josephs lässt sich von dem Architekten Handry, der seit dreißig Jahren hier wohnt, dessen in zwanzigjähriger Arbeit geschaffenen Plan für die Bebauung des Geländes zeigen. Stolz darauf, dass es ihm gelungen ist, das geplante Haus in die Natur zu integrieren, wartet Handry auf die Reaktion seines Auftraggebers. Mr Josephs ist jedoch enttäuscht, denn er hat sich ein gigantisches, schon von weitem auffallendes Gebäude vorgestellt. Als Handry begreift, dass zwanzig Jahre Arbeit umsonst waren, verabschiedet er sich überstürzt und läuft ins Freie. Ein Dichter in Nöten"Du schreibst Bücher, du musst doch Geschichten erzählen können." (Seite 128)
Diesen Spruch hört der Autor immer häufiger; er soll dann einem Großneffen oder einer Großnichte eine Geschichte erzählen. Aus Verlegenheit greift er dann auf eine Komödie zurück, die er seit Jahren plant: "Mein Mädchen in Gamaschen".
Dreizehn Bischöfe erscheinen zur Provinzialsynode, Ein Journalist weist die Bischöfe darauf hin, dass sie nur zu zwölft sind. Die Bischöfe schauen einander bestürzt an und beginnen noch einmal zu zählen. (Seite 130) Tatsächlich wurde einer von ihnen gekidnappt, und alle anderen ereilt das gleiche Schicksal: Eine von einer Frau angeführte Verbrecherbande aus London sperrt die Bischöfe ohne Hosen in den Keller eines baufälligen Gebäudes. Dann übernimmt die Rädelsführerin die Rolle des Erbischofs von Canterbury und lässt ihre Komplizen auslosen, wer an die Stelle der anderen Bischöfe treten soll. Da trifft der Bischof von Melbourne in London ein, der als Beobachter an der Provinzialsynode teilnehmen möchte. Er schöpft bald Verdacht, verliebt sich jedoch in die falsche Erzbischöfin, und sie erwidert seine Gefühle. Im zweiten – noch nicht ganz ausgearbeiteten – Akt gelingt es den echten Bischöfen, in Unterhosen zu fliehen. In der letzten Szene schiffen sich der Bischof von Melbourne und seine Geliebten nach Australien ein. Mord aus falschem Motiv
Inspektor Mason von Scotland Yard bricht die Tür zu Hubert Collinsons Büro auf, blickt flüchtig auf den Erstochenen und telefoniert mit seiner Abteilung. Man wird Groves schicken. Vom Fenster aus ruft Mason einen zufällig vorbeikommenden Konstabler herauf. "Wenn Sie mich nicht empfangen, werde ich Ihnen vor Ihrer Tür auflauern und Sie auf der Straße verprügeln. Arthur Callum" (Seite 145)
Der Inspektor macht den Konstabler auf die verblasste Tinte aufmerksam und erklärt ihm, er habe Arthur Callum früher gekannt und wisse zufällig, dass dieser Brief mit einer alten, längst nicht mehr aktuellen Auseinandersetzung zu tun habe.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Der Inspektor gibt dem Konstabler den Brief zurück und verrät ihm, dass er vor mehr als fünfzehn Jahren geschrieben wurde. Durch Hinweise versucht er dem biederen Konstabler dabei zu helfen, den Mordfall noch vor dem Eintreffen seines jungen, ehrgeizigen Mitarbeiters Groves aufzuklären, aber er muss ihm schließlich erzählen, dass er selbst es war, der die Tür von außen schloss und dann aufbrach. Er sei einmal Arthur Callum gewesen, aber der habe nichts mit der Tat zu tun. Der Mörder sei ein älterer, korrupter Polizeioffizier, und bei dem Opfer habe es sich um einen gemeinen Erpresser gehandelt. In dem Augenblick als Groves eintrifft, reicht Mason dem Konstabler Handschellen und lässt sich von ihm festnehmen. Eine Verabredung mit dem General
Weil die Journalistin Marie-Claire Duval sich mit ihrem Mann Jean überworfen hat, ist sie bereit, sich mit Jacques Durand zu treffen, dem Chefredakteur einer linken Pariser Wochenzeitschrift, der mit ihr bei einem Essen in Fouquet's über einen Auftrag sprechen möchte. Sie ist froh, nach Lateinamerika reisen zu können. Dort soll sie ein Interview mit dem Machthaber in einem winzigen Staat führen.
"Wovon träumt er? Nachts, meine ich. Träumt er von Frauen?" Spöttisch fuhr sie fort: "Oder träumt er von den guten Bedingungen, die ihm die Gringos einräumen werden?" Der Blick der müden und verletzten Augen war auf die Wand hinter ihrem Rücken gerichtet. Sie konnte sogar den kurzen Satz verstehen, den er in Erwiderung auf ihre Frage sagte: "La muerte." |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Graham Greene (Kurzbiografie) |