Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe. Eine Romanze |
Peter Härtling:
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Inhaltsangabe:Der dreißigjährige preußische Regierungsrat E. T. A. Hoffmann lebt mit seiner polnischen Ehefrau Mischa in Warschau und erteilt nebenher jungen Mädchen Gesangsunterricht. Sie [Mischa] ahnte, dass Hoffmann in Gedanken eine andere liebt, stets wechselnd, eine neue, ein Ideal, dem sie nie entsprach. Diese Mädchen, diese jungen Sängerinnen, denen er den Hof machte, im Spaß und aus Vergnügen, die er in seinen Träumen heimsuchte. (Seite 19f) Die Unterstellung eines anderen Musiklehrers, er begehre seine Schülerinnen, weist er entrüstet zurück und behauptet, es gehe ihm einzig und allein um die Stimmen. Wieso er den Damen dann Rosen und Konfekt schenke, fragt der Kollege. Er ist fleißig, traktiert das Klavier auch nachts, was Mischa berunruhigt, denn er ölt seine Inspiration mit Mengen von Bier und Wein. (Seite 21) Peter Härtling beschreibt Hoffmann folgendermaßen: [...] ein dürrer, stets hastiger, durstiger Hüpfer und Springer. Bewegungssüchtig. Die Gliedmaßen unruhig und aus der Kontrolle. (Seite 16)
Als Hoffmann beim Einmarsch Napoleons seine Beamtenstelle verliert, schickt er seine Frau mit der 1805 geborenen Tochter Cäcilia nach Posen und reist selbst nach Berlin, um sich eine neue Beschäftigung zu suchen. 1807 erfährt er aus einem Brief, dass die Tochter im Alter von zwei Jahren gestorben ist. Er wechselt vom Theaterkomponisten zum Gesangslehrer, vom Dirigenten zum Pianisten, vom Abonnementsverwalter zum Nachmittagssäufer, vom Gesellschaftslöwen zum Stimmenanbeter, vom ebenso eingebildeten wie wahren Liebhaber zum Ehemann. (Seite 92)
Einer blonden Opernsängerin aus Würzburg folgt Hoffmann in ein Gartenhaus, in dem sie sich wohl auch mit anderen Männern trifft. Die Affäre ist bald stadtbekannt. Ich fürchte, du gehst mir verloren, wenn du dich weiter in diese Liebesfantasien hineinsteigerst. (Seite 170) Es hilft alles nichts: Als Hoffmann erfährt, dass Julia bei Dittmayer im Theater ist und sich von ihm Gesangsunterricht geben lässt, rennt er hin und prügelt sich mit dem Konzertmeister. Der Julia-Wahn hält ihn nicht davon ab, ohne und mit Auftrag zu schuften. Fünf Jahre ergänzt, korrigiert, schreibt er Libretti, komponiert Opern, Singspiele, Schauspielmusik, Canzonen, Kammermusik und malt Kulissen. Beinahe jeden Tag besucht er Bekannte, unterrichtet keineswegs nur Julia, sondern eine ganze Schar junger Damen, nimmt an Bällen und anderen Abendunterhaltungen teil, versammelt, wenn auch nicht sonderlich ausdauernd, die Serapionsrunde, lässt sein Stammlokal, die "Rose", so gut wie keinen Tag aus, führt gelegentlich die Theatergeschäfte, wirbt, angehalten von Doktor Marcus, Abonnenten, lässt sich von einer Gesellschaft, die sich für aufgeschlossen hält und zugleich mit ihrer Engstirnigkeit kokettiert, zum Narren halten, überrascht sie aber damit, tatsächlich ein Narr zu sein, ungreifbar und im Grunde auch unangreifbar. (Seite 205f) Um klare Verhältnisse zu schaffen, sucht Adalbert Marcus 1812 für die inzwischen fünfzehnjährige Julia Marc einen Bräutigam aus: den Hamburger Kaufmann Johann Gerhard Gräpel. Das hält Hoffmann nicht davon ab, Julia bei einer Abendgesellschaft ihrem Tanzpartner Gräpel zu entreißen, und als sie ihn entsetzt stehen lässt, beschimpft er ihre Angehörigen. Er läuft ihr nach, an den Marcschen Tisch, erklärt in einer einzigen Suada den Doktor Marcus zum perfiden Onkel, Franziska Marc zur berechnenden Kupplerin, Speyer [Dr. med. Friedrich Speyer, ein Vetter Julias] zum blöden Claqueur und wünscht der ganzen Sippschaft, dass es Jauche auf sie regne. (Seite 212)
Am nächsten Morgen entschuldigt er sich bei Franziska Marc für sein ungebührliches Benehmen. Tatsächlich wird Julias Gesangslehrer trotz des peinlichen Vorfalls auch zu einer Landpartie nach Pommersfelden eingeladen, mit der die Verlobung von Julia Marc und Gerhard Gräpel gefeiert werden soll. Das hätten Julias Angehörige besser nicht getan, denn als Hoffmann und der Bräutigam betrunken sind, raufen sie miteinander, und der Ausflug endet mit einem Skandal.
Er schreibt in der Nacht und träumt bei Tag, er trinkt, beobachtet, lässt sich von Mischa verzärteln, gewinnt Freunde, wie Ludwig Devrient, den großen Schauspieler, der ihm in Wesen und Gemüt gleicht, ein Verwandter, ein ingeniöser Säufer, und selbstverständlich findet er die Stationen für den Kneipenweg, der im allgemeinen bei "Lutter und Wegener" endet [...] 1815 veröffentlicht der Bamberger Verleger Kunz die ersten drei Bände der "Fantasiestücke in Callot's Manier", und die Oper "Undine", die E. T. A. Hoffmann am 5. August 1814 vollendete, wird am 3. August 1816 in Berlin uraufgeführt. |
Buchbesprechung:Seit ein paar Wochen träume ich von Hoffmann. Er nimmt Gestalt an, ist mir gegenwärtig wie ein Bekannter, ein Freund, den ich im Lauf der Jahre aus dem Gedächtnis verloren habe. Der nun aber zurückkehrt in eine Vertrautheit, die mich bestürzt. (Seite 135)
Peter Härtling, der sich auf ähnliche Weise bereits Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) und Franz Schubert (1797 – 1828) zu nähern versuchte ("Hölderlin", 1976; "Schubert. Zwölf Moments musicaux und ein Roman", 1992), konzentriert sich in seinem Roman über E. T. A. Hoffmann (1776 – 1822) auf die fünf Jahre, die der Maler, Musiker und Schriftsteller in Bamberg verbrachte (1808 – 1813). "Hoffmann oder Die vielfältige Liebe" ist ein Künstlerroman,
Es ist freilich unwahrscheinlich, dass Hoffmann dem um zwanzig Jahre jüngeren Mädchen je seine Liebe gestand; ja es ist sogar unwahrscheinlich, dass er jemals ernsthaft an eine Verbindung mit ihr gedacht hat. Denn noch während seines Umgangs mit ihr begann er, das erotische Begehren zu verdrängen, begann er, Julia zu einem ästhetischen Idol zu verflüchtigen, demgegenüber lediglich eine geistige, in der Kunst manifest werdende Liebe angemessen sei, wohingegen körperlicher Besitz seinen Bildzauber zerstören würde. Die "Liebe des Künstlers", zu der sich Hoffmann durchrang, vergleicht sich mit der höfischen Minne und dem Marienkult. Sie vermag auf die Gegenwart der Geliebten zu verzichten, weil sie die Geliebte nur als inneren Besitz erstrebt. Sie ist keiner Enttäuschung, keiner profanen Erfahrung zugänglich, weil sie sich ihr nicht aussetzt. Der übersprudelnde Schreibstil entspricht der nervösen Betriebsamkeit des Protagonisten. Schade ist, dass Peter Härtling darauf verzichtet hat, auch auf Mischa einen Bühnenscheinwerfer zu richten. Auf jeden Fall ist die Lektüre des Romans "Hoffmann oder Die vielfältige Liebe" recht unterhaltsam. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
E. T. A. Hoffmann (Kurzbiografie) |