Hermann Hesse: Unterm Rad (Roman) |
Kritik: Hundert Jahre nach der Entstehung wirkt "Unterm Rad" ein wenig altmodisch, aber man spürt die Authentizität der einfühlsamen, ergreifenden psychologischen Studie über das Erwachsenwerden im Allgemeinen und schulischen Leistungsdruck im Besonderen. ![]() |
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Hermann Hesse: |
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Inhalt: Der Musterschüler Hans Giebenrath wird auf Betreiben seines ehrgeizigen Vaters als Kandidat für das Württembergische Landexamen ausgewählt. Die Prüfungsvorbereitungen rauben ihm die Gesundheit, aber der Erfolg ermöglicht ihm den kostenlosen Besuch eines Theologieseminars in Maulbronn. Dort begegnet er dem rebellischen Mitschüler Hermann Heilner ... ![]() |
Unterm Rad |
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Hermann Hesse: Unterm Rad |
Inhaltsangabe:Joseph Giebenrath verdient den Lebensunterhalt für sich und seinen einzigen Sohn als Zwischenhändler. Seine Frau ist schon lange tot. Er lebt mit Hans und der alten Magd Anna in einer Kleinstadt im Schwarzwald. Er schimpfte ärmere Leute Hungerleider, reichere Leute Protzen. (Seite 6) Alle im Ort halten Hans Giebenrath für einen besonders begabten Schüler. Drei Jahre lang bemühen sich die Lehrer, der Rektor und der Stadtpfarrer, ihn auf das Württembergisches Landesexamen vorzubereiten. Dabei handelt es sich um eine staatliche Prüfung, bei der jedes Jahr die besten Schüler ausgewählt werden, die kostenlos das protestantisch-theologische Seminar im Kloster Maulbronn besuchen dürfen, dessen Abschluss sie für das Tübinger Stift qualifiziert. In diesem Jahr wird Hans der einzige Kandidat des Städtchens beim Landesexamen sein.
Die Ehre war groß, doch hatte er sie keineswegs umsonst. An die Schulstunden, die täglich bis vier Uhr dauerten, schloss sich die griechische Extralektion beim Rektor an, um sechs war dann der Herr Stadtpfarrer so freundlich, eine Repetitionsstunde in Latein und Religion zu geben, und zweimal in der Woche fand nach dem Abendessen noch eine einstündige Unterweisung beim Mathematiklehrer statt [...]
Vor drei Jahren hatte Hans einen Kaninchenstall gebaut, aber im vorigen Herbst nahm der Vater ihm die Tiere weg, damit er nicht vom Studieren abgelenkt wurde. Aus dem gleichen Grund durfte er auch nicht mehr zum Angeln gehen. [...] Hermann Heilner und Hans Giebenrath, der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber. Man zählte zwar beide zu den Gescheiten und Begabtesten, aber Heilner genoss den halb spöttisch gemeinten Ruf eines Genies, während der andere im Geruch des Musterknaben stand. (Seite 70)
Als Heilner wegen einer Prügelei eine Karzerstrafe bekommt, ziehen sich alle von ihm zurück und er wird wie ein Aussätziger behandelt. Den Mut, zu seinem Freund zu stehen, bringt Hans nicht auf; er unterliegt "im Kampf zwischen Freundespflicht und Ehrgeiz" (Seite 76). Heilner beschimpft ihn deshalb als Feigling und meidet ihn nach der Verbüßung seiner Strafe. Wie ein Hamster mit aufgespeicherten Vorräten, so erhielt sich Hans mit seiner früher erworbenen Gelehrsamkeit noch einige Frist am Leben. Dann begann ein peinliches Darben, durch kurze und kraftlose neue Anläufe unterbrochen, deren Hoffnungslosigkeit ihn schier selber lächerte. Er unterließ es nun, sich nutzlos zu plagen, warf den Homer dem Pentateuch und die Algebra dem Xenophon nach [...] (Seite 104)
Der Arzt verordnet Hans aufgrund seiner Erschöpfung einen Erholungsurlaub. Es ist nicht zu erwarten, dass er jemals wieder nach Maulbronn zurückkehren wird, denn selbst wenn er rasch genesen sollte, könnte er das Versäumte nicht mehr aufholen. Er war kein Gefäß mehr, in das man allerlei hineinstopfen konnte, kein Acker für vielerlei Samen mehr; es lohnte sich nicht mehr, Zeit und Sorgfalt an ihn zu wenden. (Seite 109) In seiner Not und Verlassenheit beschließt Hans, sich im Wald zu erhängen. Warum er nicht schon längst an jenem Aste hing, wusste er selbst nicht recht. Der Gedanke war gefasst, sein Tod war eine beschlossene Sache, dabei war ihm einstweilen wohl, und er verschmähte nicht, in diesen Tagen den schönen Sonnenschein und das einsame Träumen noch auszukosten, wie man es gern vor weiten Reisen tut. Abreisen konnte er ja jeden Tag, es war alles in Ordnung. Auch war es ihm eine besondere bittere Wonne, sich freiwillig noch ein wenig in der alten Umgebung aufzuhalten und den Leuten ins Gesicht zu sehen, die von seinen gefährlichen Entschlüssen keine Ahnung hatten. (Seite 111)
Als er dem Schuhmacher Flaig beim Keltern der Äpfel hilft, lernt er dessen achtzehn- oder neunzehnjährige Nichte Emma kennen, die für ein paar Tage aus Heilbronn gekommen ist. Wenn er mit ihr allein an der Presse arbeitet, wird ihm heiß und kalt, und er weiß nicht, was er machen soll. Abends schleicht er sich zum Haus des Schuhmachers und schaut durchs Fenster. Emma entdeckt ihn, kommt heraus und küsst ihn. Hans lässt alles mit sich geschehen und fühlt sein Herz rasen. – Am anderen Morgen erfährt er, dass Emma abgereist ist. |
Buchbesprechung:In diesem Roman hat Hermann Hesse eigene leidvolle Erfahrungen verarbeitet. "Unterm Rad" ist eine stellenweise sarkastische und insgesamt heftige Anklage gegen Eltern und Lehrer, die mit ihren gut gemeinten Erwartungen begabte Jugendliche übermäßig unter Druck setzen und dadurch erzeugten Nöte der Betroffenen nicht wahrhaben wollen. Alle diese ihrer Pflicht beflissenen Lehrer der Jugend, vom Ephorus bis auf den Papa Giebenrath, Professoren und Repetenten, sahen in Hans ein Hindernis ihrer Wünsche, etwas Verstocktes und Träges, das man zwingen und mit Gewalt auf gute Wege zurückbringen müsse. Keiner [...] sah hinter dem hilflosen Lächeln des schmalen Knabengesichts eine untergehende Seele leiden und im Ertrinken angstvoll und verzweifelnd um sich blicken. (Seite 105)
Der Schüler Hans Giebenrath fügt sich jahrelang den an ihn gestellten ehrgeizigen Erwartungen, obwohl er immer stärker unter Kopfschmerzen leidet. Erst durch die Begegnung mit einem rebellischen Mitschüler gerät er in Konflikt zwischen der schulischen Ordnung, Disziplin, Reglementierung auf der einen
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Hermann Hesse (Kurzbiografie) |