Peter Høeg: Der Susan-Effekt (Roman) |
Peter Høeg: Der Susan-Effekt |
Inhaltsangabe:
Die 43-jährige Dänin Dr. Susan Svendson vom Institut für Experimentalphysik in Kopenhagen befindet sich seit zwei Wochen in einem Gefängnis des indischen Bundesstaats Manipur, weil sie versuchte, mit bloßen Händen ihren 1.90 Meter großen athletischen Liebhaber zu töten, der sich nicht damit abfinden wollte, dass sie mit ihm Schluss gemacht hatte. Thorkild Hegn besucht sie in der Haftanstalt. Susan hält ihn für einen hochrangigen Agenten des dänischen Geheimdienstes. Von ihm erfährt sie nicht nur, dass ihr Ehemann, der Komponist Laban Svendson, eine 17 Jahre alte Maharadscha-Tochter nach Goa entführte und von der südindischen Mafia verfolgt wird, sondern auch was mit ihren 16-jährigen Zwillingen geschehen ist. Thit brannte mit dem Priester Kamal des Kalitempels in Kalkutta durch, trennte sich jedoch nach zwei Wochen im Lake Palace Hotel in Udaipur von ihm. Harald wurde wegen angeblichen Antiquitätenschmuggels in Almoeda an der nepalesischen Grenze inhaftiert. Susan hat für die Polizei Verhöre durchgeführt. Sie hatte es mit hartnäckigen Fällen zu tun. Organisierte Kriminalität. Individuen, die die Polizei schon aufgegeben hatte. Das war das Beste, was wir finden konnten. Da waren wir sicher, es lag ein objektivierter Widerstand dagegen vor, aufrichtig zu sein. Sie hat siebzehn Personen in neun Monaten verhört. Jede hatte zwölf bis achtundsechzig polizeiliche Verhörstunden hinter sich. Ohne irgendetwas preiszugeben. Bei uns fingen zwölf von den siebzehn nach zwei Stunden an zu singen. Drei weitere nach vier bis sechs Stunden. Als Susan acht Jahre alt war, verließ ihr Vater die Familie. Im Abstand von jeweils zehn Jahren schickte er ihrer Mutter noch zwei Ansichtskarten. Später wird Susan von ihrer Mutter erfahren, dass er nicht freiwillig verschwand, sondern um einer Verhaftung zu entgehen. Er hatte Waffen in Länder geliefert, die einem Embargo der Vereinten Nationen unterlagen. Die Mutter Lana Levinsen, eine ehemalige Balletttänzerin, klagt, dass alles beschlagnahmt wurde: die Fabrik, Häuser, Jagdhütten, Ersparnisse. Sie war immer süchtig. Der Alkohol kam erst, als sie mit fünfundvierzig mit dem Tanzen aufhörte. Davor waren es Pillen. Und Männer. Und die Aufmerksamkeit des Publikums. Weil die alleinerziehende Mutter viel auf Tournee war und nicht mit der Tochter zurechtkam, schickte sie Susan mit 13 ins Jugendheim Holmgangen. Der Stationsleiter holte sich ab und zu eines der Mädchen ins Bett. Es dauerte vier Jahre, bis er auf Susan aufmerksam wurde. Dann vergewaltigte er sie in seiner Dienstwohnung. Auf dem Rücken liegend, umklammerte Susan ihn mit den Beinen, ergriff einen Akkuschrauber, trieb ihm acht Zentimeter lange Schrauben in den Rücken und dann durch seine Hände in den Fußboden. "Am nächsten Tag war das Sozialamt da. Ich sagte, entweder würden sie mir eine Unterkunft im Studentenwohnheim besorgen und Physikbücher geben oder ich würde alles ans Licht bringen und die andern davon überzeugen, als Zeugen auszusagen, und sie müssten verstehen, dass das nicht als Drohung gemeint war, sondern als Versprechen. Am nächsten Tag kam ein einstweilig beigeordneter Vormund im Taxi und fuhr mit mir nach Kopenhagen."
Der Mann, der Susan vergewaltigte, heißt Thorbjørn Halk. Durch den Job in Holmgangen finanzierte er sein Physik-Studium. Später brachte er es zum Professor und erhielt den Nobelpreis.
"Es ist keine gewöhnliche Forschung. Veröffentlicht wird nichts. Alle Ergebnisse sind vertraulich. Das Gehalt ist eine Sonderzahlung. Für deine Karriere ist das wahrscheinlich nicht gerade der direkte Weg."
Eineinhalb Jahre später lernte Susan den zwei Jahre älteren Komponisten Laban Svendson kennen, der beharrlich um sie warb und sich von zahlreichen Zurückweisungen nicht entmutigen ließ. Als sie ihn zum Beispiel ihr Fahrrad halten ließ, eine Bibliothek betrat und durch einen anderen Ausgang davonlief, brachte er ihr das Rad nach Hause und legte eine Rose darauf. Er und Andrea Fink sprachen wie alte Freunde miteinander, er wollte ihre Hilfe bei der Zusammensetzung einer Gruppe, die die Richtlinien für die Gründung einer föderalen Sowjetunion mit weitgehender Selbständigkeit der Teilstaaten ausarbeiten sollte.
Als Andrea Fink ihm erklärte, dass sein Projekt undurchführbar sei, wirkte er ratlos. Da stand Susan auf und drückte seinen Kopf an ihre Brust. Zwei Wochen später erklärte er seinen Rücktritt. Magrethe Spliid, geboren 1942. Doktor in Geschichte, seit 1964 Dozentin an der Militärhistorischen Fakultät der Akademie für Verteidigung. Seit 1970 Beraterin der NASA. Aufenthalt in den USA von 1968 bis 71. Assoziiertes Mitglied der Universitäten Yale und Cornell, der Hochschule des amerikanischen Heeres, des Instituts für Konfliktforschung der US-Luftwaffe in Michigan. Seit 1971 Professorin an der Zweiten Abteilung der Akademie für Verteidigung, der Fakultät für Strategische und militäroperationelle Prognosen. Seit ihrem Ausscheiden 2012 fest verpflichtet als Beraterin.
Auf die Frage nach dem letzten Treffen der Zukunftskommission antwortet Margrethe Spliid nicht. Als Susan und Harald sich nach dem unergiebigen Gespräch wieder ins Auto setzen, werden sie von einem 35-Tonnen-Bagger angegriffen und können sich gerade noch retten, bevor die Baumaschine das Fahrzeug zermalmt. Vier Namen stehen in einer Reihe, es sind die noch lebenden Mitglieder der Zukunftskommission. Darunter steht Thorkild Hegns Name und Adresse. Unter ihm ein einziges Wort oder ein Name: Geither.
Bei H. Rowan Geither handelt es sich um einen früheren Präsidenten der Ford Foundation, der ein von Dwight D. Eisenhower eingesetztes Komitee leitete und 1957 in einem Bericht den massiven Ausbau der Atomstreitkräfte und zugleich den Bau von Atomschutzräumen für vierzig Milliarden Dollar empfahl. "Sie fahren von hier direkt nach Hause und packen. In ein paar Stunden werden Sie abgeholt. Sie fliegen heute noch. Auf dem Weg zum Flughafen bekommen Sie neue Pässe und alle praktischen Details. Wir regeln das. Wir gehen davon aus, dass Sie in einigen Monaten zurückkehren können."
Susan setzt durch, dass sie den eigenen Wagen benutzen dürfen. Nachdem sie bereits im Haus eine heimlich installierte Überwachungsanlage gefunden hat, geht sie davon aus,
"Keiner hat das besonders ernst genommen. Wir waren sechs Leute, frisch von der Uni. Dazu noch Sarah, die Künstlerin, Malerin." Während die Zukunftskommission in den ersten beiden Jahren kaum beachtet worden war, erhielt sie beim ersten Treffen nach Abgabe des Ergebnisberichts – am 14. Februar 1975, einen Tag nach dem Rücktritt der Regierung Poul Hartling – überraschend Besuch vom Polizeilichen Nachrichten- und Militärischen Abschirmdienst. Die Kommissionsmitglieder wurden aufgefordert, ihre Treffen zukünftig unter staatlicher Aufsicht auf dem Slotsholmen abzuhalten. Das lehnten sie ab, aber daraufhin wurden Margrethe Spliid und Keld Keldsen zu Thorkild Hegn gebracht, der sie darum bat, ihre Tätigkeit weiterzuführen. "Aber nicht mehr unter der Regie des Parlaments, man halte es für das Beste, dass unsere Arbeit in aller Ruhe und Diskretion vor sich gehe, das heißt, man wolle einen kleinen Schirm über uns aufspannen. Lediglich ein Büro mit einer Sekretärin, damit wir uns nicht mehr mit der Reinschrift abmühen und die Berichte archivieren müssten. Was wir denn dazu sagten?"
Das nächste Kommissionsmitglied wird von Susan in einem Kloster vermutet. Aber als sie Henrik Kornelius dort entdeckt, kann er ihr nichts mehr verraten, denn er rotiert in einer auf Kochwäsche eingestellten Waschmaschine. "Wenn sie euch entdecken, kriegt ihr mindestens drei Jahre Knast. Dann sind wir für Thit und Harald da." Im Archiv werden sie vom Außenminister Falck-Hansen, der Chefbibliothekarin des Folketings und einer internationalen Delegation überrascht. Während Susan sich in einem Regal versteckt, lenkt Laban die Gruppe ab, indem er sie dazu animiert, mit ihm eine von ihm komponierte Festkantate zu singen. Sobald Susan allein ist, sucht sie weiter und findet schließlich ein Protokoll der Zukunftskommission vom 12. September 1972, unterschrieben von Andrea Fink und Magrethe Spliid. Damit kehrt sie unbehelligt zum geparkten Auto zurück und fährt zum Haupteingang des Parlaments.
Die Tür zum Folketing geht auf. Laban kommt rückwärts heraus. Seine Hände sind erhoben, mein erster Gedanke: Er verteidigt sich. Susan besucht Andrea Fink und spricht sie auf die Zukunftskommission an. Die pensionierte Physikerin stellt klar, dass die Gruppe zwar unglaublich zutreffende Prognosen stellte, aber nicht über hellseherische Fähigkeiten verfügte. "Keiner kann die Zukunft voraussagen. Sie liegt nicht fest, ehe sie eintritt. Das ist ein multidimensionales Feld aus Virtualitäten." Andrea Fink und Magrethe Spliid verloren die Leitung der Zukunftskommission an Thorkild Hegns, der damals Staatssekretär im Justizministerium war. "Ich bin kein Politiker, Susan. Von Machtspielen habe ich nie etwas verstanden. Er hat mich abgekoppelt. Vom erfolgreichsten Experiment meiner Laufbahn."
Thorkild Hegn schied dann in Absprache mit der Regierung aus dem Ministerium aus, gab der geheimen Kommission den Namen "Institut für Zukunftsstudien" und kappte ihre Verbindungen zum Parlament. "Ich muss Andreas sprechen", sage ich. "Sag ihm, die Susan von Fanø ist da. Ich bin eben beim Arzt gewesen. Ich bin im vierten Monat. Ich will wissen, was wir machen, sollen wir heiraten oder was?" Andreas Baumgarten ist auf dem Weg zum Flughafen und nimmt Susan im Bentley mit, nachdem sie ihm mitgeteilt hat, dass Margrethe Spliid und Henrik Kornelius ermordet wurden. Sie fragt ihn nach dem Protokoll der letzten Sitzung der Zukunftskommission, und er entgegnet:
"Es wurde nichts niedergeschrieben. Bei den letzten Treffen. Die Prognosen waren zu düster. Unser Ausgangspunkt waren Hunderte weltweiter Risiken, verteilt auf sechs Risikokategorien: Wirtschaft, Umwelt, Geopolitik, Gesellschaft, Technologie und globale Ressourcen. Wir benannten fünf Hauptprobleme: chronisches finanzielles Ungleichgewicht, Ausstoß von Treibhausgasen, unhaltbarer Bevölkerungszuwachs, extreme Ungleichheit der Einkommen. Und Ressourcenknappheit, die sich in extrem volatilen Energie- und Landwirtschaftspreisen manifestieren wird." Am Flughafen Kopenhagen-Kastrup steht ein Learjet für Andreas Baumgarten bereit. Er will nach Brasilien. Bevor er an Bord geht, fragt Susan ihn, woher das viele Geld stammte, mit dem sich die Kommissionsmitglieder bereicherten, und als er darauf nicht antworten will, greift sie ihm vor den Augen der Leibwächter und der angetretenen Flugzeugbesatzung in die Hose, packt seine Hoden und drückt zu. Er kann nur noch flüstern, als er endlich "Gold" sagt.
"Wie, Gold?"
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Als die Zukunftskommission zu dem Schluss kam, dass ein globaler Zusammenbruch bevorsteht, löste sie sich auf, ohne Thorkild Hegn über die letzte Prognose zu informieren. "Wir haben eine komplette Dublette der Nordischen Genbank. In einem unterirdischen Schutzraum. Sie wurde im Frühjahr 1980 eingerichtet, unmittelbar nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan."
Oskar Larsen war erst zwei Jahre beim Militärischen Abschirmdienst, als er am 7. August 1977 einen Anruf aus dem Pentagon bekam. Die Amerikaner hatten von den Russen Satellitenaufnahmen von südafrikanischen Atomanlagen in der Kalahari-Wüste erhalten. Jimmy Carter ließ das Gebiet – Vastrap Weapon Range – vom Flugzeug des amerikanischen Militärattachés in Pretoria aus 30 Metern Höhe filmen. Auf einem Foto, das Oskar bei sich hat, sind drei Männer zu sehen: Einer ist Jason Alter, der Mann, der versuchte, Susan und Harald mit einem Bagger zu ermorden und später die ganze Familie entführte. Neben ihm erkennt Susan ihren Vater. "Irgendjemand", sage ich, "ist dabei, uns aus dem Libretto zu streichen."
Oskar warnt Susan, dass man sie in zwei Tagen abholen und jede Spur von ihnen beseitigen wolle. Er verhilft ihr und Laban zur Flucht. Etwas später bringt er die Kinder nach. "Schwierige Sache. Die Verwaltung der Macht, wenn die Demokratien zusammengebrochen sind. Das erfordert ein besonderes Wissen. Wenn das, was von der Gesellschaft noch übriggeblieben ist, nicht zugrunde gehen oder in der Barbarei enden soll. Das erfordert eine Kombination aus militärischer, operativer und verwaltungsmäßiger Erfahrung." An der Stelle, an der Susan ihre Kinder vermutet, bringt sie den Ballon zur Landung. Wie erwartet, stößt sie auf Jason Alter. Er verlangt von ihr, dass sie für ihn zu einem Song von Edith Piaf strippt. Zuerst will sie die Kinder sehen. Harald befindet sich in einem "Zwischending zwischen einem Sommerhausanbau und einem Räucherofen". Zwei davon sollen zum Einäschern von Leichen auf die Insel gebracht werden. Thit sitzt in einem Container. Nachdem Susan sich vergewissert hat, dass die Zwillinge leben, legt sie den BH ab und zieht den Slip aus. Dann schleudert sie ihre Handtasche, in der sich ein schwerer Kuhfuß befindet, gegen Jason Alters Kopf. Obwohl der Schädel bricht, bleibt der Verbrecher stehen, aber im nächsten Augenblick fehlt ihm ein Stück am Brustkorb. Durch die Öffnung sehe ich in die Brusthöhle, sehe die eine pochende Lunge. Die Verbindung des Zwerchfells mit der Bauchwand. Oskar fährt auf einem elektrischen Rollstuhl näher. Er hat Jason Alter mit der Bazooka erschossen, die Kirsten Klaussen gehörte. |
Buchbesprechung:
Im Mittelpunkt des dystopischen Szenariums in "Der Susan-Effekt" steht die dänische Physikerin Susan Svendson, eine ebenso starke wie intelligente Frau – ähnlich wie die Naturwissenschaftlerin Smilla Q. Jaspersen in Peter Høegs Roman "Fräulein Smillas Gespür für Schnee". Sie tritt als Ich-Erzählerin auf. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Peter Høeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee |