Howard Jacobson: Shylock (Roman) |
Howard Jacobson: Shylock |
Inhaltsangabe:
Simon Strulovitch kommt auf den Friedhof der Messiaslosen in Gatley im Süden Manchesters, um den kürzlich nach zwölfmonatiger Trauerzeit auf dem Grab seiner Mutter Leah errichteten Stein zu inspizieren. Dabei sieht er Shylock zum ersten Mal. Er nimmt ihn mit zu seinem "leichenwagenähnlichen" Mercedes. Der schwarze Chauffeur Brendan fährt die beiden Herren zum Haus seines Arbeitgebers in Mottram St Andrew, der östlichen Spitze von Cheshires Goldenem Dreieck. Dieses Anwesen hat Simon Strulovitch von seinen Eltern geerbt. Außerdem besitzt er ein Haus in Hampstead. [...] er ist ein reicher, aufbrausender, leicht zu kränkender, schnell zu begeisternder und ebenso schnell ernüchterter Philanthrop mit einer angesehenen Sammlung anglo-jüdischer Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts und alter Bibeln, mit einer Leidenschaft für Shakespeare [...]
Als Simon Strulovitch die Christin Ophelia-Jane Smythson geheiratet hatte, war er von seinem Vater Morris enterbt worden, aber die Ehe mit der Schickse scheiterte nach kurzer Zeit, und nach der Scheidung versuchte Simon Strulovitch es mit der Jüdin Kay Kominsky. Daraufhin nahm der Vater seinen Fluch zurück und erkannte ihn wieder als Sohn und Erben an. Das Paar bekam eine Tochter, aber an Beatrices 14. Geburtstag verlor Kay Strulovitch durch einen Schlaganfall einen Großteil ihrer Sprache und ihres Gedächtnisses. Deshalb kann Simon Strulovitch nicht mit ihr über seine Sorgen reden. Die inzwischen 16-jährige, an der Golden Triangle Academy Kunst studierende Tochter Beatrice ist in Kreise geraten, die dem Vater gar nicht gefallen. Aber sie hört nicht mehr auf ihn. [...] ein Gras rauchender, Gras und Medien missbilligender Medien-Dozent. Er war ein Erbe, der für die Umverteilung allen Wohlstands eintrat, des eigenen ausgenommen, ein Utopist, der dem Prinzip sozialer Verbesserungen misstraute, ein Liebhaber gregorianischer Gesänge, der von einer Karriere als Rockstar träumte, ein wunderlicher Naturschützer, der seinen Söhnen schnelle Autos kaufte [...]
Nachdem ihn seine Frau Christine verlassen hatte, nahm er sich mit einer Überdosis Tabletten das Leben. So wurde die einzige Tochter zur reichen Erbin. Um sich einen Mann zu suchen, ging Plurabelle an ihrem 21. Geburtstag zu einer Swinger-Party in Alderley Edge – vergewisserte sich jedoch zuvor, dass sie dort nicht ihrer Mutter begegnen würde. Nachdem sie die Schlüssel eines VW Käfer, BMW Alpina und Porsche Carrera in einen Kübel mit Eiswürfeln geworfen hatte, beobachtete sie die Männer. Diese prügelten sich um den BMW und den Porsche, aber keiner von ihnen beachtete den VW. Sie urteilten also alle nur auf Grund von Oberflächlichkeiten und kamen deshalb für Plurabelle nicht in Frage.
Zu Hause [...] musste Barney erraten, in welchem Kleid sie sich heute am liebsten mochte, welche Ohrringe am besten dazu passten, ob sie ihren Hummer ausgelöst oder in der Schale wollte (Thermidor oder Newburg), ob schnörkellosen oder perversen Sex, im Hellen oder Dunkeln, bei offenem oder geschlossenem Fenster.
Von Beatrice und Plurabelle erzählt nun Simon Strulovitch seinem Gast Shylock . Auf jeden Fall folgte er ihr auch weiterhin, und sie gewöhnte sich so an seine Gegenwart (im Schatten eines Parkplatzes, am Ende der Theke mit dunkler Brille hinter der Financial Times versteckt), dass sie ihn ungeniert fragte, ob er sie nach Hause bringen könne, wenn sie das Gefühl hatte, lange genug unterwegs gewesen zu sein, oder ihn um Geld bat, wenn sie keines mehr hatte. Als ihm ihre Appetitlosigkeit auffiel und er Bissspuren an ihrem Hals entdeckte, passte er noch mehr auf. Eines Abends folgte er ihr nach Levenshulme – einen Vorort, in den eine Tochter Strulovitchs keinesfalls ihren Fuß setzen durfte –, trat die Tür einer Sozialwohnung ein und würgte den Ersten, den er in die Finger bekam. Es war der Großvater von jemandem, zu alt, um sich an Strulovitchs Tochter zu vergehen, wobei er natürlich Wache halten konnte, während es ein Jüngerer tat. Fünf Leute waren notwendig, um den Alten aus seinen Klauen zu befreien. Einer von ihnen war der vermeintliche Verführer, der in diesem Moment eine zu klägliche Figur abgab, um sich auch nur an einer Maus zu vergehen.
Bald darauf erlitt Kay den Schlaganfall. Plury selbst war für ein paar Tage weg, weil an ihren Körperkonturen Korrekturen vorgenommen werden mussten.
Aber noch am ersten Abend muss Gratan Howsome seine Geliebte allein lassen, denn er hat sich mit D'Anton im Ristorante Treviso verabredet, um dessen Rat zu hören. Dort werden die Freunde von Shylock und Simon Strulovitch gesehen.
"Aber Sie haben das Bild nicht dabei." D'Anton, der begreift, dass der Besucher annimmt, das Bild sei für Gratan Howsome gedacht, versichert ihm, weder Beatrice noch der Fußballer seien da. Simon Strulovitch glaubt ihm nicht und droht mit juristischen Konsequenzen, weil Beatrice erst 15 Jahre alt war, als Gratan Howsome erstmals mit ihr schlief. Dafür habe er Beweise, betont er. Tatsächlich fand er diese, als er auf Anraten Shylocks den Computer seiner Tochter durchsuchte. "Dass das eine Straftat ist, muss ich Ihnen nicht erklären. Dass andere, die das wissend geduldet haben, als Mittäter angeklagt werden könnten, ist etwas, woran Sie bisher möglicherweise noch nicht gedacht haben. Ich würde es Ihnen jedoch nahelegen. Ich will meine Tochter zurück, und Ihren Freund mit ihr. Wie ich dann weiter verfahre, hängt weitestgehend von Ihrer Mithilfe ab."
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Beatrice und Gratan flogen drei Tage zuvor nach Venedig, aber der Fußballer befürchtet nicht nur, dass Simon Strulovitch mit Interpol nach ihnen suchen lässt, sondern vor allem auch um seinen Vertrag mit Stockport County. Als D'Anton ihm simst, dass Simon Strulovitch mit einer Anzeige wegen Verführung einer Minderjährigen droht, weigert Gratan Howsome sich, zurückzukehren. "Akzeptieren Sie mich mit meiner Person als Sicherheit für Gratans Rückkehr innerhalb von vierzehn Tagen. [...] Ist er dann nicht da, um sich seiner Strafe zu stellen, nehmen Sie von mir, was Sie auch von ihm nehmen würden." Shylock, der den von Plurabelle persönlich überbrachten Brief entgegengenommen hat, fragt seinen Gastgeber:
"Aber wie könnte dir eine Beschneidung D'Antons helfen?"
Zum Ablauf der Frist veranstaltet Plurabelle einen Champagnerempfang mit einem Streichquartett. Weil Gratan Howsome nicht auftaucht, lässt Simon Strulovitch sich und D'Anton von seinem Chauffeur zur Klinik bringen und kehrt dann zum Fest zurück, um auf die Nachricht von der durchgeführten Beschneidung zu warten. Von keiner der beiden Frauen erhielt er ein Zeichen der Zuneigung. Wann sie zurückgekommen sei, fragt Simon Strulovitch seine Tochter. Gerade eben erst, antwortet sie und fügt hinzu, dass sie sich von Gratan Howsome getrennt habe. |
Buchbesprechung:Anlässlich des 400. Todestages von William Shakespeare bat der 1917 von Leonard und Virginia Woolf gegründete Verlag The Hogarth Press einige Schriftsteller um Neuerzählungen zu Werken von William Shakespeare:
Der britische Autor Howard Jacobson (* 1942) ließ sich von der Shakespeare-Komödie "Der Kaufmann von Venedig" zu dem in der heutigen Zeit spielenden Roman "Shylock" inspirieren. Dem "ewigen Juden" Shylock stellt Howard Jacobson eine neu erfundene Figur gegenüber: die des ebenfalls jüdischen, sich jedoch für areligiös haltenden Kunstsammlers Simon Strulovitch. Während es in "Der Kaufmann von Venedig" der Wucherer Shylock ist, der Anspruch auf ein Pfund Fleisch aus dem Körper des Schuldners erhebt, verlangt in Howard Jacobsons Roman Simon Strulovitch von D'Anton den Verzicht auf Körpergewebe, und zwar durch eine Beschneidung. "Wie sehr war es ein Spaß – wie ernst war's dir damit?"
Der Roman "Shylock" dreht sich um die Frage, wodurch ein Ungläubiger in einer säkularisierten Welt als Jude definiert ist. Zugleich wird das Verhältnis von Juden und Nicht-Juden beleuchtet. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
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