Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski (Roman) |
Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski |
Inhaltsangabe:
Eigentlich hatte Sebastian Zöllner Künstler werden wollen, aber nachdem er bei der Aufnahmeprüfung für die Akademie durchgefallen war, fing er als Kunstkritiker bei einer Lokalzeitung an. Jetzt plant der Einunddreißigjährige, der sich als freier Mitarbeiter mit Beiträgen für mehrere Magazine über Wasser hält, eine Buchbiografie über Manuel Kaminski, der berühmt geworden war, als es hieß, er sei beim Malen seiner letzten Bilder bereits infolge einer Makula-Degeneration blind gewesen ("painted by a blind man"). Vor fünfundzwanzig Jahren kaufte Kaminski ein abgelegenes Haus in den Schweizer Alpen und zog sich mit seiner Tochter dorthin zurück. Tatsächlich, ich war fast zwei Wochen lang unterwegs gewesen. Ich hatte noch nie soviel Zeit einer einzigen Sache gewidmet. (Seite 21)
Zöllner weiß bereits, dass Kaminski von Matisse gefördert wurde, Picasso zu seinen Freunden zählte und der Dichter Richard Rieming sein Ziehvater war. Rieming lebte nämlich zwei Jahre lang mit Kaminskis Mutter in Paris zusammen.
Mein Buch durfte nicht vor seinem Tod und nicht zu lange danach herauskommen, für kurze Zeit würde er im Mittelpunkt des Interesses stehen. Man würde mich ins Fernsehen einladen, ich würde über ihn sprechen, und am unteren Bildrand würde in weißen Buchstaben mein Name und Kaminskis Biograf eingeblendet sein. Das würde mir einen Posten bei einem der großen Kunstmagazine einbringen. (Seite 36f)
Während der Zugfahrt in die Schweiz schreibt Zöllner einen Verriss über die Braque-Biografie, die der Kunstkritiker Hans Bahring gerade veröffentlichte. In dem Dorf unterhalb der drei Berghäuser, von denen Kaminski eines bewohnt, hat Zöllner ein Zimmer in der Pension "Schönblick" bestellt. Von dort aus geht er zu Fuß hinauf: Clure, Dr. Günzel, Kaminski lauten die Namen an den drei Türschildern. Kaminskis Tochter Miriam öffnet: eine unverheiratete Frau Mitte vierzig. Sie erwartete den Biografen erst in zwei Tagen und versucht, ihn wieder loszuwerden, weil sie und ihr greiser Vater Gäste haben, doch Zöllner lässt sich nicht davon abhalten, in die Gesellschaft zu platzen und merkt auch nicht, wie er die anderen mit der Schilderung seiner Erlebnisse in der Bahn nervt.
Im Lehnstuhl saß Kaminski. Er schien zu schlafen [...] Seine Stirn bewegte sich, er drehte den Kopf, öffnete und schloss ganz schnell die Augen und sagte: "Wer ist das?" Um den alten Mann zum Sprechen zu bringen, klärt Zöllner ihn darüber auf, dass Therese Lessing, die Jugendliebe des Künstlers, nicht – wie dieser glaubt – gestorben sei, sondern in Norddeutschland an der Küste lebe. Kaminski will auf der Stelle zu ihr gebracht werden. Da Miriam den Zug genommen hat, soll Zöllner ihn mit dem Wagen chauffieren. Hatte er wirklich vor, jetzt sofort, einfach so, zusammen mit mir ...? Er musste verrückt sein. Andererseits: War das mein Problem? Natürlich, die Reise würde seine Gesundheit gefährden. Aber um so früher konnte das Buch erscheinen. (Seite 92) Kaminski schläft nach kurzer Zeit im Auto ein. Als er wieder erwacht, verlangt er nach einem Frühstück. Zöllner hält vor einem Rasthaus, um Kaffee und Croissants zu besorgen. Als er wieder zurückkommt, sitzt ein Fremder im Fond. "Das ist Karl Ludwig", sagte Kaminski in einem Ton, als wäre jede weitere Frage überfüssig. (Seite 100)
Widerwillig findet Zöllner sich damit ab, dass sie einen Anhalter mitnehmen. Während er einige Zeit später eine Tankrechnung bezahlt und Kaminski die Toilette der Raststätte benutzt, klaut Karl Ludwig das Auto. Ein Taxi bringt Kaminski und Zöllner zu einem Hotel. Mitten in der Nacht ruft der Portier Zöllner an und beschwert sich darüber, dass dessen Reisegefährte eine Prostituierte aufs Zimmer kommen ließ. Zöllner geht hinüber. An Kaminskis Tür hängt ein Schild "bitte nicht stören". Die Frau sitzt angezogen im Bett, Kaminski liegt mit dem Kopf in ihrem Schoß und redet. Zöllner nimmt Jana – so heißt sie – mit hinaus. Als er am nächsten Morgen wieder nach dem Künstler schaut, trifft er mit einem Kellner vom Zimmerservice zusammen, der gerade Kaminskis Bestellung bringt. "Ich weiß nicht, ob ich richtig verstehe", sagte Kaminski. "Aber ich habe das Gefühl, statt in meine Vergangenheit sind wir in Ihre geraten." (Seite 131)
Abends schleppt der Kunstkritiker den Maler zu der Vernissage von Alonzo Quilling in der Galerie Hochgart, denn er will die Chance nutzen, mit Manuel Kaminski gesehen zu werden. Kaminski saß im Schlafrock am Küchentisch und trug seine schwarze Brille. Vor ihm standen Orangensaft, Müsli, eine Schüssel mit Früchten, Marmelade, ein Korb mit frischem Gebäck und eine dampfende Kaffeetasse. Ihm gegenüber saß Elke. (Seite 146)
Elke gibt Zöllner eine Stunde Zeit, um ihre Wohnung zu verlassen. Er nimmt ihre Autoschlüssel und ihr Auto.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Enttäuscht verabschiedet Zöllner sich und verlässt mit Kaminski das Haus. Auf der Straße wartet Miriam. Während ihr Vater sich ins Auto setzt, verlangt sie in Elkes Namen die Autoschlüssel und droht Zöllner mit einer Anzeige wegen Diebstahls von zwei Fahrzeugen und Entführung eines entmündigten Greises. Außerdem kündigt sie an, ihm ihre eigenen Flug- und Taxikosten in Rechnung zu stellen. Miriam hatte Therese bereits vor zehn Jahren besucht. Um ihren Vater zu schonen, ließ sie ihn jedoch in dem Glauben, seine Jugendliebe sei längst gestorben. Ob ihr Vater den Vertrag erwähnt habe, fragt Miriam. Zöllner weiß nicht, was sie meint. Da klärt sie ihn darüber auf, dass Kaminski für eine Artikelserie stundenlange Gespräche mit Hans Bahring geführt und einen Exklusivvertrag abgeschlossen hat. So viele Entscheidungen. Der Himmel war niedrig und weit, allmählich löschten die Wellen meine Spuren aus. Die Flut kam. (Seite 174) |
Buchbesprechung:Der eitle und eingebildete, aber nicht sonderlich erfolgreiche junge Kunstkritiker Sebastian Zöllner beabsichtigt, eine Buchbiografie über den greisen Maler Manuel Kaminski zu schreiben, die er kurz nach dessen Tod veröffentlichen will, um von dem vermutlich für kurze Zeit neu auflebenden Interesse an dem Künstler zu profitieren. Zöllner versucht, sich das Leben und Sterben einer anderen Person zunutze zu machen, so wie er sich in der Wohnung einer Bekannten eingenistet hat. Aber der listige alte Mann bedient sich seinerseits des parasitären Journalisten, um der Aufsicht seiner Tochter zu entkommen und sich quer durch Deutschland an die See bringen zu lassen. Dieses seltsame Spannungsverhältnis vom Biografen zu seinem lebenden Objekt, diese gegenseitige Manipulation hat mich interessiert. Außerdem wollte ich etwas über einen Maler machen und so haben sich beide Ideen verbunden. (Daniel Kehlmann)
"Ich und Kaminski" ist ein Schelmenstück und eine witzige Realsatire auf den Kulturbetrieb, den Daniel Kehlmann als Jahrmarkt der Eitelkeiten und der Bedeutungshuberei darstellt. Obwohl Daniel Kehlmann den Protagonisten Sebastian Zöllner aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, gelingt es ihm, dem Leser die peinliche Diskrepanz zwischen dessen Wahrnehmung bzw. Selbstüberschätzung und der Realität zu vermitteln. Das allein macht den Roman schon lesenswert. Dazu kommen aber noch der spiegelbildliche Plot, die lebendige Darstellung der gut beobachteten Charaktere und die Komik der Situationen, in die Zöllner und Kaminski geraten. "Ich und Kaminski" ist eine leichte, vergnügliche und intelligente Lektüre. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Wolfgang Becker: Ich und Kaminski |