Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus (Roman) |
Kritik: "Das Treibhaus" ist ein wertvolles Zeugnis über die Nachkriegsjahre, die Bonner Republik und den Politikbetrieb schlechthin. ![]() |
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Wolfgang Koeppen: |
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Inhalt: Ein pazifistischer SPD-Bundestagsabgeordneter setzt sich 1953 kompromisslos gegen die vom Bundeskanzler angestrebte Wiederaufrüstung ein und lässt sich auch nicht durch ein Angebot der Regierungspartei korrumpieren, aber er hat keine Chance, seine Ideale durchzusetzen. ![]() |
Das Treibhaus Erstausgabe: Scherz & Goverts Verlag 1953 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 27, München 2004 Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2010 ISBN 978-3-518-41805-5 |
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Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus |
Inhaltsangabe: Als Redner überzeugte er nicht. Die Menge ahnte, er zweifele, und das verzieh sie ihm nicht. Sie vermissten bei Keetenheuves Auftritt das Schauspiel des Fanatikers, die echte oder die gemimte Wut, das berechnete Toben, den Schaum vor dem Maul des Redners, die gewohnte patriotische Schmiere, die sie kannten und immer wieder haben wollten. Keetenheuve ist viel unterwegs, und wenn er mal einen Abend zu Hause verbringt, studiert er Akten oder er übersetzt "Die Blumen des Bösen" von Baudelaire. Elke langweilt sich bald an seiner Seite, "und da ihre Freundschaft so Schiffbruch litt, ließen sie sich trauen". Aber die Ehe machte alles nur noch schlimmer. Ihm war ein Mensch überantwortet, und er ließ ihn fallen. Er reiste den Gespinsten nach, rang in den Ausschüssen um nebelhafte Menschenrechte, die nicht erkämpft wurden, es war ganz überflüssig, dass er in den Ausschüssen agierte, er würde für niemand etwas erreichen, aber er reiste hin und ließ Elke, das einzige Wesen, das ihm anvertraut, das seine Aufgabe war, in Verzweiflung verfallen.
Dann lernt Elke die Wanowski kennen, ein lesbisches Mannweib, das sie mit Alkohol und Drogen bekannt macht. Elke geht zugrunde. Im Sommer 1953 stirbt sie. Niemand hatte ihn gesehen, niemand hatte ihn sehen können, denn leider hatte er die Tat nicht getan, er hatte wieder nur geträumt, am hellen Tage geträumt und sich nicht aufgerafft, er hatte gedacht, statt zu handeln, es war ewig, ewig das alte Lied. Er hatte versagt. Vor jeder Lebensaufgabe versagte er. Keetenheuve fährt mit dem Nibelungenexpress nach Bonn. In dem Talkessel herrscht ein Treibhausklima. Nach seiner Ankunft geht er ins Bahnhofsrestaurant. Schulkinder hockten am runden Tisch, reizlos angezogene Mädchen, Jungen, die schon Beamtengesichter hatten, verstohlen rauchten, auch sie waren fleißig, wie der Kanzler, hatten Bücher aufgeschlagen, lernten, strebten (wie der Kanzler?), eine Jugend verbissenen Gesichts, was für vernünftig galt, was dem Vorankommen diente, steuerte ihr Herz, sie dachten an den Stundenplan und nicht an die Sterne. Vor dem Bundestag stößt er auf eine Touristengruppe und schließt sich der Führung an. Einer der Männer fällt ihm besonders unangenehm auf: Der Besucher war der üble Typ des Biernbanknationalisten, der sich mit Wollust von einem Diktator knechten ließ, wenn er nur selbst ein paar Stiefel bekam, um nach unten zu treten. Wie ein Schlafwandler läuft Keetenheuve durch Bonn. Auf dem Münsterplatz begegnet er dem CDU-Abgeordneten Korodin. Der besitzt zwei Autos, aber er fährt demonstrativ mit öffentlichen Verkehrsmitteln, "während der Chauffeur, bequem und morgenmunter, Korodins Kinder im Wagen zur Schule brachte". Er kam an Baustellen vorüber. Man werkte über den Feierabend. Die Regierung baute, die Ämter bauten, die Bauaufsichtsbehörde baute, der Bund und die Länder errichteten Repräsentationshäuser, fremde Gesandtschaften mauerten sich hoch, Kartelle, Industrieverbände, Bankvereine, Ölgesellschaften, Stahlgewerke, Kohlenkontore, Elektrizitätswerke stellten hier ihre Verwaltungsgebäude hin, als brauchten sie in der Regierungssonne keine Steuern zu zahlen, Versicherungsgesellschaften stockten auf und bauten vor, und Versicherungsgesellschaften, bei denen sich Versicherer für den Versicherungsfall versicherten, konnten nicht Räume genug finden, ihre Policen zu verwahren, ihre Anwälte unterzubringen, ihre Lebenserwartungsstatistiker zu beherbergen, ihre Gewinne zu verputzen, ihren Reichtum zu zeigen.
Keetenheuve trifft Philip Dana, den Nestor der Korrespondenten, und er besucht Mergentheim, seinen früheren Kollegen beim "Volksblatt", der 1933 geblieben war, zum Hauptschriftleiter avancierte und jetzt als einer der einflussreichsten Journalisten gilt. Die Verhältnisse hatten ihn besiegt, nicht die Gegner. Die Gegner hatten ihn kaum beachtet.
Keetenheuve irrt erneut durch Bonn. Er trifft zwei Heilsarmeemädchen wieder, denen er kürzlich in einer Gaststätte statt der üblichen 50 Pfennige 5 Mark in die Sammelbüchse gesteckt hatte.
Es war ein Akt vollkommener Beziehungslosigkeit, den er vollzog, und er starrte fremd in ein fremdes, den Täuschungen der Lust überantwortetes Gesicht. Nur Trauer blieb. Danach läuft Keetenheuve zur Rheinbrücke.
Der Abgeordnete war gänzlich unnütz, er war sich selbst eine Last, und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei. |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Die Adenauer-Ära |