Doris Lessing: Das goldene Notizbuch (Roman) |
Doris Lessing: Das goldene Notizbuch |
Inhaltsangabe:Die beiden Frauen waren allein in der Londoner Wohnung. (Seite 79)
Mit diesem Satz beginnt Doris Lessing ihren Roman "Das goldene Notizbuch". Die beiden Frauen heißen Molly Jacobs und Anna Wulf. Dennoch bin ich unfähig, den für mich einzig interessanten Roman zu schreiben: ein Buch, das von einer intellektuellen oder moralischen Leidenschaft durchdrungen ist, die stark genug ist, um Ordnung zu schaffen, um eine neue Art der Lebensbetrachtung zu schaffen. Der Grund dafür ist, dass ich zu zersplittert bin. (Seite 143)
Ursache der Schreibblockade ist nicht nur ein künstlerisches Problem, sondern auch eine psychische Krise.
"Warum hast du vier Notizbücher?"
Tommy lehnte das Angebot seines Vaters ab, ihm eine Arbeitsstelle in seinem Unternehmen zu geben; er zieht es vor, noch eine Weile nichts zu tun. Anna meint, sein Problem sei, dass er dank seines Vaters zu viele Wahlmöglichkeiten habe und obendrein noch fünf weitere Jahre lang auf Kosten seiner Mutter verbummeln könnte. Tommy erklärt, dass er Reggie Gates beneide, den Sohn des Milchmanns, der keine Wahl habe. Reggie bekam ein Stipendium. Besteht er das Examen, steigt er in den Mittelstand auf, fällt er durch, wird er wie sein Vater lebenslang Milch austragen. Richard sagt wütend: "Ich bin ihr gleichgültig. Sie hat keine Zeit für mich. Ich könnte ebensogut überhaupt nicht da sein." Das klang nach verletzter Eitelkeit. Anna war erstaunt, dass er ernstlich verletzt war. Marions Flucht aus ihrer alten Rolle als Gefangene oder Leidensgenossin hatte ihn allein und verletzt zurückgelassen. (Seite 487)
Der Neunundvierzigjährige bezahlt Marion und Tommy eine gemeinsame Sizilienreise. Nachdem Marion einer Scheidung zugestimmt hat, fliegt er mit Jean – seiner Sekretärin und Geliebten – nach Kanada. Dort führt er Geschäftsverhandlungen, aber er fühlt sich wie in Flitterwochen.
"Da sind die beiden Frauen, die du bist, Anna. Schreibe: Die beiden Frauen waren allein in der Londoner Wohnung." Anna formuliert ihrerseits den Anfang einer Novelle, die Saul schreiben soll: Auf einem karstigen Berghang in Algerien betrachtete ein Soldat das Mondlicht, das auf seinem Gewehr glänzte. (Seite 762) Nach diesem Satz wechselt die Handschrift im goldenen Notizbuch. Der Rest stammt von Saul Green. Die von ihm im goldenen Notizbuch niedergeschriebene Novelle wird erfolgreich veröffentlicht. |
Buchbesprechung:Der Roman "Das goldene Notizbuch" handelt von einer etwa vierzig Jahre alten Schriftstellerin, die sich in einer Krise befindet und unter einer Schreibblockade leidet. Die Biografie der Protagonistin Anna Wulf weist Übereinstimmungen mit der von Doris Lessing auf, aber "Das goldene Notizbuch" ist keine Autobiografie. Der Autorin geht es zum einen um die Auseinandersetzung mit der Form des Romans, zum anderen um die Darstellung klassischer Abhängigkeitsverhältnisse in der englischen Gesellschaft der Fünfzigerjahre. Es ist keine Frage, dass Das goldene Notizbuch einen Meilenstein des Schreibens von Frauen und über Frauen darstellt. (Barbara Christ: "Never Let The Printed Page Be Your Master". Einführung in Leben und Werk Doris Lessings, Seite 48) Anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises an Doris Lessing sagte Per Wästberg am 10. Dezember 2007 über "Das goldene Notizbuch": In diesem experimentellsten ihrer Romane stoßen schöpferischer Wille und die Sehnsucht nach Liebe aufeinander. Er bildet die Schwierigkeiten ab, mit denen eine Frau zu kämpfen hat, wenn sie sich sowohl Unabhängigkeit als auch Intimität wünscht, denn ihre Freiheit ist paradoxerweise unvollkommen ohne die Liebe, welche jene wiederum untergräbt. Lessing zeigt, wie Konventionen und andere Fallstricke empfindsame, leidenschaftliche Frauen daran hindern, wahrhaftig und erfüllt zu leben. (Seite 20) Doris Lessing schreibt zwar dediziert aus der Perspektive einer intellektuellen Frau und schildert "viele weibliche Gefühle der Aggression, der Feindseligkeit, des Grolls" (Doris Lessing 1971 im Vorwort zu "Das goldene Notizbuch", Seite 61), aber sie wehrt sich gegen die versuchte Vereinnahmung durch die Frauenbewegung: Aber dieser Roman war keine Posaune für Woman's Liberation. (Vorwort, Seite 61) "Das goldene Notizbuch" ist ein vielschichtiger, anspruchsvoller Roman voller Dialoge und Reflexionen. Anna lachte: "Männer, Frauen. Gebunden. Frei. Gut. Schlecht. Ja. Nein. Kapitalismus. Sozialismus. Sex. Liebe ..." (Seite 124) Doris Lessing entschied sich bewusst gegen eine lineare Darstellung; die verschachtelte, fragmentierte Form ist ihr Kommentar zum traditionellen Roman.
Eine andere Vorstellung war die, dass das Buch, wenn es nur die richtige Form bekäme, seinen eigenen Kommentar über den traditionellen Roman abgeben würde [...] mein Hauptziel war, ein Buch zu gestalten, das seinen eigenen Kommentar abgeben würde, eine wortlose Aussage: Es sollte durch die Art, wie es gestaltet war, sprechen. (Vorwort, Seite 67f) Inhaltsverzeichnis:
Die Rahmenhandlung trägt in der englischen Originalfassung den Titel "Free Women". Die deutsche Version – "Ungebundene Frauen" – gibt nur einen Aspekt davon wieder. Man könnte "Free Women" auch mit dem Imperativ "befreit Frauen" übersetzen. |
Inhaltsangabe und Buchkritik: © Dieter Wunderlich 2009
Doris Lessing: Das fünfte Kind |