Selma Mahlknecht: Helena (Roman) |
Selma Mahlknecht: Helena |
Inhaltsangabe:
Prinzessin Helena wächst mit ihren Geschwistern Klytaimnestra, Kastor und Polydeukes am Hof des spartanischen Königs Tyndareos auf. Als sie noch Kinder sind, versprechen die Zwillinge Kastor und Polydeukes, Helena später zu heiraten, denn sie sind verliebt in sie. Sie behaupten, dass sie und Helena verschiedene Eltern hätten. Klytaimnestra bestätigt es und bezeichnet Helena als Kuckuckskind. Sie hasst ihre bildhübsche Stiefschwester, denn sie steht in deren Schatten. Was immer sie tut, niemand beachtet es. Helena wird dagegen wegen ihrer außergewöhnlichen Schönheit von allen geliebt. Keine Bediensteten, keine Köche, keine Stallknechte oder Gärtner, nur eine kleine alte Frau, die mit krummem Rücken den Hof fegte, das war das attische Aphidnai für mich. Aithra verrichtete alles allein, kochte, wusch, versorgte das wenige Vieh. Am Abend webte sie oder flickte an zerschlissenen Kleidern herum. Ich fühlte mich wohl bei ihr und bedauerte es nicht, als Theseus und Peirithoos schon nach wenigen Tagen wieder zu neuen Fahrten aufbrachen, übermütig und lärmend wie Kinder. Während sich die Helden Theseus und Peirithoos von ihrer Abenteuerlust treiben lassen, bleibt Helena in Aphidnai. Obwohl Aithra schroff ist, fühlt Helena sich wohl bei der Frau, die sie nicht wie all die anderen Menschen wegen ihrer Schönheit anhimmelt. Unzärtlich war sie, hart und kantig in ihren Gesten und Worten, spröde wie die Landschaft, und zugleich voller Wärme wie ein sonnendurchtränkter Stein am Abend, wenn die kühlen Brisen wehen. Aithra war mein Sonnenstein und ich die Eidechse, die sich an ihr wärmte und in ihrem Schatten verschwinden durfte, unsichtbar werden konnte vor den Blicken der Welt.
Kastor und Polydeukes suchen jedoch nach ihrer Schwester und kommen nach Aphidnai. Königin Aithra nehmen sie als Gefangene mit. In Sparta freuen sich alle bis auf Klytaimnestra über Helenas Rückkehr. Wie Theseus und Peirithoos bleiben auch die Dioskuren nicht lange in ihrer Heimat, sondern ziehen bald wieder los, um neue Heldentaten zu vollbringen.
"Ich bin ein Suchender." Helena wäre bereit, Odysseus zu folgen, aber er weigert sich, sie mitzunehmen: "Du bist eine schöne Frau, heißt es. Der Ruf deiner Schönheit klebt an dir wie Honig. Da bleibt das Ungeziefer nicht aus."
Auf seinen Rat hin wählt Helena den Schwächsten der Freier als Bräutigam. Er heißt Menelaos. Rasch arrangiert Tyndareos eine Doppelhochzeit, bei der Klytaimnestra mit Menelaos' älterem Bruder Agamemnon verheiratet wird. Während Helena und Menelaos in Sparta bleiben, nimmt Agamemnon seine Frau mit nach Mykene, wo er als König herrscht.
"Aber Hermione und Nikostratos …"
Helena weiß, dass Agamemnon aus Gier, Ruhmsucht und Größenwahn darauf aus ist, Ilion zu erobern und nur auf einen Vorwand wartet, die Stadt anzugreifen. Den Kriegsgrund haben ihm nun Paris und Hektor geliefert. Ich war ganz zum Tier geworden. Wenn man mir Essen zuwarf, nahm ich es, schlug rücksichtslos und mit stets gleichbleibender Gier die Zähne hinein. Legte Aithra mir mein Kind an die Brust, ließ ich sie gewähren, trug sie es wieder fort, wandte ich nicht den Kopf nach ihm. Kam einer der Männer, öffnete ich die Beine [...]
Monate später erreichen sie das Schwarze Land. Die Haut der Bewohner ist dunkler als die der Griechen. Eine Abordnung kommt aufs Schiff und sieht sich dort um. Die Männer bleiben vor Helena stehen, die gerade Aganos stillt. Im Austausch gegen die "Milchkuh" – wie sie Helena nennen – bieten sie Paris und Hektor die gewünschten Vorräte für die Schiffsbesatzung an. Paris übergibt dem Unterhändler Helena und Aithra als Sklavinnen. Aganos behält er auf dem Schiff. Wieder hat Helena ein Kind verloren. Als wir das Heiligtum erreichten, fühlte ich mich geradezu erdrückt von der Last seiner Pracht, und es gelang mir kaum, meinen Kopf gerade zu halten. Gedemütigt, winzig ging ich zwischen den wuchtigen Monumenten, den hochragenden Säulen, und ich fühlte meine Wangen vor Scham brennen. Wie war es möglich, dass ich in meinen fernen Tagen in Sparta nie etwas von der Herrlichkeit, von der erhabenen Größe des Schwarzen Landes gehört hatte? Mein Reich war ein kleines, herbes Stück Erde, auf dem die Schafe weideten und die Herrscher von der Unterwerfung der Welt träumten. Bettlerkönige waren wir gewesen und hatten es nicht gewusst. Nofret verliert ihr erstes Kind während der Schwangerschaft. Weil Seti ihrer allmählich überdrüssig wird, fühlt Nofret sich einsam, und das verbittert sie. Der Neid, der ihre Konkurrentinnen zerfraß, war stärker als sie. Die Intrige hatte längst ihre Schlingen nach Nofret ausgeworfen. Noch bewegte sie sich ahnungslos in den Mauern, die sie bald erdrücken würden. Ich warnte sie nicht und gab ihr keine Ratschläge. Wenn sie mich angstvoll ansah, lächelte ich, doch mein Lächeln war kalt. Sie ging mich nichts an, meine Herrin, so wenig, wie mein eigenes Leben mich etwas anging. Es stand uns nicht an, gegen das Schicksal zu kämpfen. Mochte uns alle die Zeit zerreiben. Eines Tages findet Helena Nofret nackt in den Armen eines jungen Hathor-Priesters und fordert sie auf, mit ihr zurück in den Palast zu kommen.
"Was ich tue, geht dich nichts an, Amme." Helena rät Nofret, sich von einem Lehrer aus Assur unterrichten zu lassen. Als Erstes lernt Nofret Akkadisch, die Sprache der Händler und Reisenden. Sie begreift schnell, was der Lehrer ihr beizubringen versucht und entwickelt einen starken Wissensdrang. Helena freut sich darüber, macht sich jedoch bald Sorgen, weil Nofret sich nicht mehr für die reale Welt des Palastes interessiert. "Euer Wissen entfernt Euch von Eurem Leben, statt Euch ihm anzunähern." Die Intrigen gegen Nofret und Helena werden weitergesponnen. Schließlich schickt Seti nach Nofret und meint: "Man sagt, sie sei eine Zauberin. Wer sich dem Blick aus ihren Wasseraugen nicht rechtzeitig entziehe, sei des Todes. Man sagt, sie habe deinen Körper vergiftet und unfruchtbar gemacht. Sie habe deinen Verstand umnebelt und dich ihr unterworfen. Man sagt, ich solle sie verjagen, ehe sie Tod und Verderben über mein Haus bringt." Seti gibt den beiden Frauen drei Tage Zeit, den Palast zu verlassen. Helena schickt Nofret zu Ramose. Der älteste Sohn Setis setzt sich dafür ein, dass sie und ihre Sklavin im Palast bleiben dürfen. Allerdings müssen sie zum Gesinde ziehen. Von nun an lebten wir Seite an Seite, ohne einander das Gesicht zuzuwenden, beschämt von unserer weiblichen Ohnmacht.
Kaum ein Jahr, nachdem Seti erneut geheiratet hat, stirbt er beim Liebesspiel. Nofret folgt Helenas Rat und macht sich an Ramose heran. Die junge Frau beeinflusst den als zerstreut und vergnügungssüchtig geltenden Sohn des Verstorbenen und bringt ihn dazu, sich im Machtkampf um die Nachfolge Setis gegen seine Konkurrenten durchzusetzen. Sie ist für ihn Geliebte und Mutter zugleich. Nofret berät ihn so geschickt, dass er glaubt, nur seinen eigenen Ideen zu folgen.
So waren sie in Palästen zu Gast gewesen, hatten mit mächtigen Männern gespeist. Ramose gibt einen neuen Palast in Auftrag, geht jedoch lieber auf die Jagd, als sich um den Bau zu kümmern. Das überlässt er Nofret. Sie bespricht mit dem Architekten die Pläne und bestellt die Künstler. Unter ihnen ist der Maler Proteus aus Mykene. Von ihm erfährt Helena, dass Agamemnon, wie befürchtet, ihre Entführung durch Paris und Hektor vor gut sechs Jahren zum Vorwand nahm, um mit seinem Bruder zusammen gegen Ilion in den Krieg zu ziehen. Die stark befestigte Stadt hält der Belagerung jedoch noch immer stand. In Sparta sind inzwischen die Felder vertrocknet. Die Not leidenden Bewohner verfluchen Helena, weil sie Agamemnons wahre Motive nicht kennen und annehmen, der Krieg werde wegen Helena geführt. Außerdem vermuten sie, dass Helena ihr Leben im kühlen Schatten der Festung Ilion genießt. Und Menelaos, wie mochte es ihm ergehen? Wusste er, dass ich nicht dort war, in Ilion? Hatte er es womöglich schon gewusst, als er seine Schiffe ausrüsten ließ, dass er nur der Gier seines Bruders, des Fettsacks, folgte? Oder hatte am Ende auch er sich wie alle vom Krieg Schätze, Ruhm und Blutrausch versprochen?
Als Ramose das Gerücht vernimmt, Nofret sei schwanger, stellt er erfreut eine Eheschließung in Aussicht. Helena fragt bei Nofret nach. Ramoses Mätresse sagt, sie blute zwar seit einem halben Jahr nicht mehr, bemerke jedoch kein Wachstum, sondern nur eine große Leere in sich. Helena äußert daraufhin die Befürchtung, dass Nofret noch nicht stark genug für zwei Leben sei. Das ärgert Nofret, und sie verstößt ihre Sklavin. Ich hatte gehofft, Nofret könne sich nun endlich ganz von mir lösen. Ich hatte gehofft, ihre Stärke würde sie heilen. Ich hatte gehofft, in meiner Bedeutungslosigkeit Ruhe zu finden. Als Ramose nach mir schickte, wusste ich, dass ich mich betrogen hatte. Nofret isst kaum noch, und es geht ihr schlecht. Helena sucht nach Aithra und drängt sie, Nofret zu helfen, aber die alte Frau sträubt sich zunächst:
"Und nun bist du zu mir gekommen, damit ich dir sage, was sie will? Du läufst weg von ihr, du drückst dich vor deiner Verpflichtung und willst sie mir übergeben?" Am Ende kann Helena Aithra doch noch überreden, mit ihr zusammen Nofret aufzusuchen. Bei dieser Gelegenheit fordert Helena Nofret auf, sie nicht länger als Amme zu bezeichnen. Das sei sie längst nicht mehr, sagt sie.
"Wie soll ich dich dann nennen?" |
Buchbesprechung:
Helena wird wegen ihrer Schönheit angehimmelt. Das erlebt sie als Fluch, denn sie möchte nicht auf ihr Aussehen reduziert, sondern als Mensch wahrgenommen werden. Die Schönheit macht sie außerdem zum begehrten Objekt, und als Paris sie raubt, nimmt ihr Schwager Agamemnon dies als Vorwand, den längst aus Gier und Ruhmsucht angestrebten Krieg gegen Ilion (Troja) zu beginnen. Aber die stark befestigte Stadt hält der Belagerung jahrelang statt. Während die Not leidenden Spartaner Helena hinter den Festungsmauern vermuten, fristet sie ihr Dasein als Sklavin in einer von Männern beherrschten Welt. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Trojanischer Krieg |