Andreas Maier: Wäldchestag (Roman) |
Andreas Maier: Wäldchestag |
Inhaltsangabe: Und sie, das Tante Lenchen, habe das Tante Lenchen gesagt, werde sowieso nur mitgenommen, um diesem Beutezug den Anstrich einer Trauerfahrt zu geben.
Die in Würzburg studierende Tochter Katja Mohr nahm den Zug. Herr Schossau sei Heimatforscher. Aha, habe Rudolf gesagt, sehr interessant. Was sei denn das, ein Heimatforscher? Schossau: Er sei eigentlich Historiker. Er arbeite für die Wetterauer Geschichtsblätter. Rudolf: Jaja, in der Tat, die Geschichte. Geschichte müsse täglich gemacht werden. Dann kommen andere und schreiben sie nieder. Was machen Sie denn dann so, wenn Sie für die Geschichtsblätter arbeiten? Sie sitzen in Archiven, vermute ich? Oder graben Sie auch? Nein, habe Schossau gesagt (er habe überlegt, ob er dieses Gespräch tatsächlich führen soll), er grabe nicht. Im Augenblick forsche er für einen Beitrag zur Reihe Napoleonische Truppen in der Wetterau, diese Reihe erscheine in den Wetterauer Geschichtsblättern. Rudolf: Aha, und wer zahlt das? Er meine, das sei doch eine Arbeit, die, er möge ihn recht verstehen, also zumindest nur eine sehr geringe Minderheit interessieren dürfte, obgleich es an sich ja hochinteressant sei, Napoleonische Truppen in der Wetterau, so, seien die also bis in die Wetterau gekommen. ... Und da werde diese Schriftenreihe wahrscheinlich aus den Mitteln des Kreises finanziert? Schossau: Zum einen aus diesen, zum anderen auch vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Rudolf: Das ist ja sehr interessant. Sie sehen, es ist schlichtweg übertrieben, wenn hier jemand behaupten wolle, wir lebten nicht im totalen Wohlstand. Über die Wetterauer im Allgemeinen sagt Schossau: Aber der Wetterauer brauche Beschäftigung und denke daher, er brauche neue Butzenscheiben. ... Alle zehn Jahre sei die gelobte neue Küche plötzlich zu einer alten, deren man sich schäme, geworden, also werde der Sperrmüll bestellt, werde ein Küchengeschäft aufgesucht, werde dort eine Beratung eingeholt, anschließend werde die Küche installiert, anschließend wird dasselbe gekocht in ihr wie in der vorherigen. Leberknödel, Schnitzel. Dieses Bedürfnis nach Veränderungen in der Wohnung soll auch Sebastian Adomeit amüsiert haben: Pass auf, Schossau, habe er gesagt, in der Kirchgasse zwanzig war es nun schon ein halbes Jahr ruhig, die Kirchgasse zwanzig ist überfällig, sie ist so reif wie ein Apfel im Herbst, ich sehe dem Herrn Geibel schon richtiggehend an, wie sich alles in ihm danach drängt, etwas auszuhecken, ich tippe auf die Sanierung der Nasszellen. Tatsächlich seien zwei Wochen später die Spenglerei Klump aus Friedberg und der Malermeister Olschewski aus Schwalheim gekommen und hätten die Nasszellen saniert. Aber Herr Geibel, habe Adomeit den Mann auf der Straße angesprochen, das ist ja interessant, Sie sanieren Ihre Nasszellen! Ja, habe Geibel gesagt, in der Tat, das sei dringend notwendig gewesen, er habe sich schon die ganze Zeit mit diesem Entschluss getragen, seine Nasszellen zu sanieren, er habe nur die ganze Zeit nicht gewusst, durch wen. Wenn er, Adomeit, wüsste, was das für eine Arbeit sei, Kostenvoranschläge einholen, Angebote durchrechnen, sich auf die richtige Weise beraten lassen. Jetzt kommen endlich die rosa Kacheln aus dem Badezimmer heraus, habe Geibel gesagt, ich kann gar nicht verstehen, wie ich vor fünfzehn Jahren diese Kacheln dort habe hineinmachen lassen können. Rosa, wie unzeitgemäß. Er hätte schon damals weiße hineinmachen sollen. Er wolle ein helles Bad haben, seine Frau übrigens sei die treibende Kraft gewesen. Das Zeug sei ja schließlich auch so lange benutzt, habe Geibel gesagt, währenddessen die Arbeiter der Firma Klump eine Badewanne an den beiden Unterrednern vorbeigetragen hätten. Das dort sei die neue Wanne, habe Adomeit gefragt. Ja, habe Geibel gesagt, das sei die neue Wanne. Das ist aber eine schöne Wanne, eine große Wanne, habe Adomeit gesagt, Geibel habe ihm zugestimmt, seine Frau, die doch etwas füllig sei, habe sich eine große Wanne gewünscht.
Bei einem Spaziergang im Fichtenwald beobachtet Schossau einen jungen Mann – später stellt sich heraus, dass es sich um Katja Mohrs festen Freund Benno Götz handelt –, der unter der Galgeneiche eine in ein Tuch eingeschlagene Pistole vergräbt. Mohr: Ausländischer Gasthof, wie klinge das denn! Sie: Aber es seien doch Ausländer. Dürfe man denn nicht einmal mehr das Wort Ausländer in den Mund nehmen? Das Wort Juden dürfe man ja auch nicht in den Mund nehmen. Die Familie Mohr und Jeannette Adomeit hätten sich bestürzt umgeschaut und sogleich alle Mühe darauf verwendet, das Tante Lenchen zum Schweigen zu bringen. Sie aber habe beharrt: Also dürfe man das Wort Ausländer in den Mund nehmen oder nicht? Das wolle sie jetzt wissen. ... Jeannette Adomeit: Nein, sie dürfe das Wort nicht benutzen. Es heiße ausländischer Mitbürger, und nicht Ausländer. ... Es sei völlig gleichgültig, wo jemand herkomme. So ein Blödsinn, habe die Tante gesagt. Es sei doch nicht einmal gleichgültig, ob ich von der Weinstraße oder aus der Wetterau komme. Die Adomeit: Ja, aber es änderte doch nichts am Wert der Menschen. Lenchen: Wert, wie komme sie denn auf Wert? Sie habe doch überhaupt nichts von Wert gesagt. Was denn für ein Wert? Sie habe doch nur das Wort Ausländer gesagt. ... Sie lasse sich doch nicht für dumm verkaufen. Diese widerwärtige Gleichmacherei! Am Dienstag (am Dienstagnachmittag nach Pfingsten feiert man in Frankfurt und Umgebung den Wäldchestag) um 7 Uhr morgens, finden sich die Verwandten und eine Anzahl Neugieriger aus dem Ort bei Notar Weihnöter ein. (Trotz der frühen Stunde sind einige schon wieder betrunken.) Auch Klaus Adomeit, der Sohn des Verstorbenen, kommt mit seiner Frau. Nur die Haushälterin Else Strobel fehlt. Die Versammelten wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie in der Nacht einen Schlaganfall erlitten hatte und ins Friedberger Kreiskrankenhaus eingeliefert wurde. Und außerdem: "Was soll sie auch hier?", fragen die Leute. "Die soll bleiben, wo der Pfeffer wächst." Jemand gibt zu bedenken: "Am Ende erbt die was und ist gar nicht hier. Das wär doch kurios." Nach vielem Hin und Her greift Notar Weihnöter gegen 8 Uhr endlich nach dem Brieföffner, schlitzt das Kuvert auf und entfaltet den Papierbogen. Ich vermache im Falle meines Todes das Haus Untere Kirchgasse 15 mitsamt meinem vorhandenen Vermögen meinem Sohn. Ausnahme: Die sich aus dem Vertrag X (hier sei eine bestimmte Notarsrolle genannt worden) ergebenen Zahlungen, die ich noch nicht in Anspruch genommen habe, vermache ich mit allen Zinsen und Zinseszinsen meiner Haushälterin Frau Else Strobel, wohnhaft Fauerbacher Straße zweihundertzwanzig, Niederflorstadt.
Kreidebleich steht Jeannette Adoneit auf. "Das sei infam, habe sie gestammelt, das sei ... infam! Das könne er ihr nicht antun." |
Buchbesprechung:
Dass das Dasein sein ideales Abbild in einem Fluss habe ... 280 Seiten mit wenigen Ausnahmen in indirekter Rede. Zwischendurch – und dann auch noch mitten im Satz – wechselt Andreas Maier in die direkte Rede (ohne Anführungszeichen): Wieser ... habe von diesem Augenblick an aber auch eine fast ehrfürchtige Abscheu vor dem Südhessen gehabt und endgültig beschlossen, sich mit dieser Person freundlich zu stellen, da er sich gesagt habe, dieser Südhesse ist dir in jeder Hinsicht überlegen. Und mit einem, der einem überlegen ist, stelle man sich tunlichst nicht schlecht.
Einfache Wörter, machen und haben statt treffsicherer Verben, Grammatikfehler, vermeintliche Stilschwächen – daran muss man sich erst gewöhnen, aber nach ein paar Seiten merkt man, wie geschickt und unterhaltsam Andreas Maier damit dieses unaufhörliche Gebabbel nachahmt. In drei absatzlosen Kapiteln – je eines für Pfingstsonntag, Pfingstmontag und den Wäldchestag – komponiert er eine Suada, in der ein Haufen zum Teil betrunkener Leute übereinander reden und darüber, was sie von anderen über wieder andere gehört haben. Innere Monologe bezieht er mit ein. Gerade die Banalität, die Gewöhnlichkeit der Gespräche ist erschreckend, weil sich dahinter der Wahnsinn des Alltäglichen zeigt. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Andreas Maier: Usingen |