Adolf Muschg: Der 13. Mai (Erzählung) |
Adolf Muschg: Der 13. Maiin: Leib und Leben. Erzählungen |
Inhaltsangabe:
Ein Angeklagter schreibt an den Staatsanwalt. Der bürgerliche Verstand müsste Ihnen eigentlich sagen, dass ich meinen Größenwahn nicht besser hätte befriedigen können als durch meine unmittelbar bevorstehende Erhebung zum Ehrendoktor. Noch dreißig Sekunden, und ich wäre am Ziel aller Wünsche gewesen – Ihrer Wünsche, Herr Kollege; denn Sie haben sich nicht nur für meinen Ehrendoktor stark gemacht, sondern hofften auch mich für den Ihren stark zu machen; nach einer Anstandsfrist, versteht sich, deren ein solches Geschäft unter Professoren bedarf. (Seite 116) Der Angeklagte, der sich im Vergleich mit dem Staatsanwalt als den besseren Juristen betrachtet und zugibt, "nie an die Gerechtigkeit von Strafe geglaubt" zu haben (Seite 123), bittet darum, dass seine Zurechnungsfähigkeit nicht in Frage gestellt wird, denn er sei von der "Gnade des Wahnsinns" ebenso wenig überzeugt wie von der "Wohltat des Rechts" (Seite 127).
Lieber Herr Kollege [...] ich fürchte, dass mein Fall, wenn Sie ihn als den eines Wahnsinnigen darstellen, Ihren Witz reizt, Ihrer wohlbekannten Dialektik zupass kommt. Diese Deutung hält für Sie Versuchungen bereit, denen Sie nicht widerstehen werden. Indem ich Ihnen diese Deutung in den Mund lege,
Der des Mordes Beschuldigte war in einfachen Verhältnissen als ältestes Kind eines Küsters und einer Hysterikerin aufgewachsen. Weil die streng gläubigen Eltern den Zeugungsakt wegen der damit verbundenen Lust für eine Sünde hielten, mussten die Kinder besonders gut werden. Nur so konnten sie das Zweideutige ihrer Existenz rechtfertigen. Unter diesem Zwang litt der Briefeschreiber sehr – bis er sich durch die Tat am 13. Mai davon befreite.
Ich bin zwar der Mann, aber nicht der Freund meiner Frau gewesen; zwar der Vater, aber nicht der Bekannte meiner Kinder; ich habe meinen Körper eingesetzt, oft bis zur Erschöpfung, aber bewohnt habe ich ihn nicht [...] |
Buchbesprechung:
Die Erzählung "Der 13. Mai" von Adolf Muschg besticht durch die rabulistische Gedankenführung, aber auch als Porträt eines psychisch gestörten Mannes – ausgerechnet eines erfolgreichen Strafrechtlers –, der sich durch eine Bluttat aus seinen verinnerlichten Zwängen zu befreien versucht. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Adolf Muschg (kurze Biografie / Bibliografie) |