Amos Oz: Dem Tod entgegen (Erzählung) |
Amos Oz: Dem Tod entgegen |
Inhaltsangabe:
1095 ruft Papst Urban II. zum Kreuzzug auf. Guillaume de Touron folgt dem Ruf und verlässt im Herbst des folgenden Jahres seinen Landsitz in der Region Avignon. Lehnsmänner, Knechte und Vogelfreie ziehen mit ihm. Auch Claude "Schiefschulter" ist dabei, dessen Vater in erster Ehe mit einer inzwischen verstorbenen Schwester Guillaumes verheiratet war. Er wird zum Chronisten des Kreuzzugs. Das Schauspiel der Verbrennung des Juden hätte geeignet sein können, die Trostlosigkeit und Bedrückung, die seit dem Frühling über uns gekommen waren, ein wenig zu lindern, doch es wendete sich so, dass der brennende Jude alles verderben und zunichte machen konnte, da er dem Herrn Guillaume aus dem Feuer heraus einen kraftvollen jüdischen Fluch entgegenschleuderte. Diese Schandtat erfolgte in Gegenwart des gesamten Hausstands, von der kranken hohen Frau bis zur unwissendsten Magd. Selbstverständlich konnte man den Elenden nicht für seinen Schimpf bestrafen, denn es liegt in der Natur dieser Juden, nur einmal im Feuer zu brennen. (Seite 105)
Louise de Beaumont starb, und Guillaume de Touron beschloss, dem Aufruf des Papstes zu folgen. Auch die Dörfer zeigten finstere Gesichter. Gewaltsam mussten die Reisenden sich Nahrung, Weiber und Trank von den widerspenstigen Bauern nehmen. (Seite 122)
Einmal erkranken Menschen und Tiere, nachdem sie aus einem offenbar verseuchten Brunnen getrunken haben. Keiner der Kreuzfahrer zweifelt mehr daran, dass sich unter ihnen ein Jude befindet, der sich nicht zu erkennen gibt.
Den Juden begannen sie mittags zu peitschen. Gegen Abend brandmarkten sie ihn mit rotglühenden Eisen. Danach badeten sie ihn in Salzwasser und befragten ihn über Judas, Pontius Pilatus und Kaiphas, zogen ihn aus dem Salzwasser und zerquetschten ihm die Hoden [...] Bei Einsetzen der Dunkelheit drückten sie ihm beide Augen aus, und da tat er endlich den Mund auf und fragte, ob sie, so er ihnen das Versteck preisgäbe, versprächen, ihn augenblicklich zu töten, und Claude Schiefschulter gab ihm sein Wort. (Seite 154f) An der angegebenen Stelle finden die Kreuzfahrer tatsächlich einen ansehnlichen Goldschatz. Einer von ihnen durchbohrt den Juden mit einer Lanze. Aber der Jude kroch weiterhin blind umher, blutüberströmt, murmelte auch etwas. Also schlugen sie ihm mit dem Beilschaft auf den Kopf und erklärten ihn für tot. Der Jude war jedoch nicht tot, sondern schnaufte heftig durch das Loch in seiner Lunge, sodass große rosa Blasen daraus hervortraten und platzten. (Seite 156)
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Als die Wege wegen des Winterwetters unpassierbar werden, wählen die Kreuzfahrer die Ruine eines verlassenen Klosters als Unterschlupf. Um Feuer machen zu können, verbrennen sie Türen und Fensterrahmen. Die Pferde werden von Wölfen gerissen. Der Proviant geht zur Neige. Auch die Weiber reichen nicht aus. Darüber kommt es zu blutigen Streitigkeiten. Und der Herr stand auf, nahm die Lanze und stellte sich neben Andreas, auf die Lanze gelehnt, die Augen geschlossen, nachdenklich oder zögernd, lehnte sich noch stärker auf die Lanze, ein Seufzen entfuhr seiner Kehle, mit Macht lehnte er sich nieder, die Lanze durchdrang sein Fleisch, und wie in unsichtbare Arme aufgenommen, brach der Mann zusammen und lag still. (Seite 171f) Am Ende ziehen neun Überlebende wie wankende Schemen weiter. Nicht heimwärts zu gehen, die menschlichen Gefilde waren längst ihrem Gedächtnis entschwunden. Auch nicht nach Jerusalem, das kein Ort ist, sondern im Feuer geläuterte Liebe. Alles Leibliche ablegend zogen sie dahin, wurden lauterer und lauterer, hinein ins Herz des Glockenklangs und weiter zum Engelsgesang und noch immer weiter, ließen ihr verhasstes Fleisch zurück und strömten hinein, ein weißer Strom auf weißer Fläche, abstrakte Absicht, verwehender Dunst, vielleicht Frieden. (Seite 173) |
Buchbesprechung:
Wer in anderen Menschen Böses zu sehen glaubt, läuft Gefahr, daran zu zerbrechen. Das demonstriert Amos Oz mit seiner Erzählung "Dem Tod entgegen". Die Kreuzfahrer, um die es hier geht, wirken eher wie skrupellose Raubritter, die sich gewaltsam nehmen, was sie begehren und jeden Juden ermorden, dem sie auf ihrem Weg ins Heilige Land begegnen. Kameradschaft kennen sie nicht, sondern sie belauern sich argwöhnisch. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Kreuzzüge |