Thomas Steinfeld: Der Sprachverführer Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann |
Thomas Steinfeld: Der SprachverführerDie deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann |
Inhaltsangabe:
Thomas Steinfeld hebt die kaum zu überschätzende Leistung hervor, die Martin Luther in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 16. Jahrhunderts mit seiner Bibelübersetzung für die deutsche Sprache vollbrachte. Der Reformator schaute dem Volk aufs Maul und schuf mit dem Lutherdeutsch "eine Hochsprache, für alle Teile der Gesellschaft und über die Dialekte hinweg". Die Lutherbibel sei der einzige Klassiker in der deutschen Literaturgeschichte, meint Thomas Steinfeld (aber dabei übertreibt er ein wenig). Nur die Katholiken, allen voran die Jesuiten, seien der Sprache des Kirchenspalters gegenüber skeptisch geblieben, und deshalb habe es in den katholischen Gebieten Bayern und Österreich vor Ferdinand Raimund und Franz Grillparzer, Karl Valentin und Bertolt Brecht keine überregionalen Dichter gegeben.
Das Deutsche hingegen, als es denn eine Sprache für alle Stände, alle Regionen, alle Gegenstände und Ereignisse geben sollte, musste ohne Kaiser und König zurechtkommen. Zwar hatte die Reform eine Grundlage in der protestantischen Predigt-, Lese-, Sing- und Streitkultur (was man auch daran bemerkt, wie eng sich die deutsche Literatur des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts mit dem hohen Ton der Predigten verbindet). Aber es herrschte kein zentralisierendes Prinzip, stattdessen allerhand Di- und Triglossie. Regional und mündlich: die Dialekte, verwaltungstechnisch: die Kanzleisprache, die grammatisch am Lateinischen gebildete deutsche Formelsprache der Händler und Verwalter mit ihren tief ineinander verschachtelten Sätzen; kaufmännisch (plus Gaukler, Schauspieler, Quacksalber): Mischformen aus Dialekten, ständisch: das Französische, die Sprache des Adels, die dem Latein im siebzehnten Jahrhundert als Verkehrssprache der Gebildeten und der Herrschenden gefolgt war und noch bis ins neunzehnte hinein an den großen, vor allem aber an den vielen kleinen deutschen Höfen gesprochen wurde.
Zur Zeit Lessings verstand man das Hochdeutsche fast überall zwischen Hamburg und Wien, Zürich und Königsberg. Die größte Ausdehnung der Ökumene der deutschen Sprache macht Thomas Steinfeld Mitte des 19. Jahrhunderts aus.
Nicht erst im Umgang mit elektronischen Medien hat sich das Bewusstsein durchgesetzt, es sei nicht mehr so wichtig, wie man etwas sage oder schreibe, Hauptsache, man werde verstanden. Immer wieder beklagt Thomas Steinfeld, dass die Literatur ihre sprachliche Vorbildfunktion verloren habe.
Seitdem es eine Schriftkultur gibt, hatte jede Zeit ihre klassischen Schriftsteller, und sie waren Vorbilder des Schreibens. Unsere Zeit hat keine. Das sollte sich ändern. Günter Grass und Elfriede Jelinek hält Thomas Steinfeld nicht für Vorbilder. Über den Autor der "Blechtrommel" heißt es in "Der Sprachverführer": [Günter Grass] neigt sehr zur bürokratischen Sprache, eben zum Passiv zum Beispiel, aber auch zu einer Konstruktion, die man manchmal "Vorreiter" nennt. Sie ist das gebräuchlichste Mittel, um etwas zu sagen, sich dann aber der Verantwortung für das Gesagte zu entschlagen: "Fest steht, dass …" ist eine solche Formulierung [...] Dieser Schriftsteller relativiert den Sicherheitsgrad einer Aussage in seinen literarischen Arbeiten oft wie ein Politiker. Und über Elfriede Jeleneks Nobelpreis-Vorlesung "Im Abseits" meint er: Und so wird man den Verdacht nicht los, dass diese sogenannte Sprachkritik im Wesentlichen aus einem sehr gut geölten perpetuum mobile zur Verfertigung nicht von Reden, Dramen oder Romanen, sondern von Textflächen besteht. Im Inneren dieser Maschine, die Elfriede Jelinek mit offenkundig großer Souveränität und Virtuosität bedient, arbeiten lauter kleine Rädchen, die nach dem Prinzip des Kalauers funktionieren [...] Es ist, als triebe eine fatale Witzelsucht diese Maschine an, ein manischer Zwang, keine Silbe stehenzulassen, ohne zugleich nach ihrer Verwertbarkeit für einen fremden Sinn zu suchen. Bei Elfriede Jelinek generieren die Kalauer sich selbst, sie werden benutzt, um den letzten Rest von Wirklichkeit, von Erfahrung und mit ihr die Phantasie aus jedem beliebigen Text zu entfernen. "Im Abseits", so der Titel des Vortrags, also grundsätzlich jenseits aller Zeitgenossenschaft, hätte sich Elfriede Jelinek sowieso befunden, und so addiert sich die schiere Masse der Kalauer in all ihrer Kurzatmigkeit zu einer ebenso gigantischen wie theatralischen und offenbar grundlosen Klage. Thomas Steinfeld weist auf gedankenlose Formulierungen wie "gewünschtes Zielstockwerk" hin. Seitenlang beschäftigt er sich mit einem Satz, den Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, im Sommer 2008 gesagt haben soll: "Wir werden unseren Kurs der zeitnahen Transparenz fortsetzen und uns unvermindert für zielführende Reformen des Finanzsystems insgesamt einsetzen." Dazu schreibt Steinfeld: Es gibt viele Arten, schlechtes Deutsch zu reden oder zu schreiben. Dieser Satz steht für die gewöhnlichste. Sie entwickelt sich mitten in der modernen Öffentlichkeit, und zwar gegen sie, aus dem Bedürfnis, sich diese Öffentlichkeit so weit wie möglich vom Leib zu halten [...] Was dabei aber herauskommt, ist hässlicher und leider auch folgenreicher als alle Anglizismen, die so oft für das Ende des schönen Deutsch gehalten werden. Die weit verbreitete Abneigung gegen Fremdwörter teilt Thomas Steinfeld nicht. Aber anstatt die Stärke zu erkennen, die eine Sprache besitzen muss, die das Fremde aufnimmt, ohne es zu unterwerfen, den Enthusiasmus des Lernens, der in jeder dieser Aneignungen steckt, scheint es unter den Sprachverwaltern heute ausgemachte Sache zu sein, die Reinheit der deutschen Sprache bewahren zu wollen, das Ausländische für einen Irrtum und den Respekt vor der fremden Schreibweise, vor der fremden Flexion für Beflissenheit, ja für Unterwürfigkeit zu halten. Rein jedoch ist nur, was sich nicht mehr verändert und also nicht mehr wirkt. Erst durch die Weigerung, Anglizismen einzudeutschen, kommt es zu "bizarren Mischgewächsen" wie "Er hat das Programm gedownloadet."
Selbstverständlich kann man die deutsche Sprache lieben. Aber man sollte sie nicht auf die unfruchtbare Weise lieben, die auf einen bestimmten Zustand insistiert und ihn gegenüber aller Veränderung behaupten will – nicht pedantisch, sondern leicht und mit einem Blick fürs Komische. – – – Anhand von konkreten Beispielen erläutert Thomas Steinfeld zwischendurch stilistische Fragen und streift Grammatikregeln, wie etwa den Gebrauch der Wörter ist und war, sei und wäre oder die verschiedenen Vergangenheitsformen. Die Regel lautet: Das Imperfekt ist die Erzählform der Vergangenheit. Sie wird immer dann benutzt, wo ein vergangenes Geschehen oder Verstehen in seinem Entstehen und Vergehen ausgedrückt wird. Daher ihre – und nur ihre – Eignung für das Erzählen. Das Perfekt ist dagegen sozusagen das Präsens der Vergangenheit, die Form, mit welcher der Sprecher das Vergangene in seine eigene Zeit holt. Unklar ist die Unterscheidung also nur, wenn man die Handlungen voneinander trennen will, klar ist sie, wenn man den Aspekt unterscheidet: Die Wahl des Präteritums signalisiert einen Bericht mit einer möglicherweise zeitlichen Distanz des Erzählers, das Perfekt eine Vergangenheit, die in eine präsentische Aussage übernommen wird. Er erwähnt auch eine für die deutsche Sprache charakteristische Satzbildung, die sogenannte Satzklammer:
So kommt es, dass man erst dann sicher sein kann, deutsche Sätze – darunter alle, in denen ein Hilfsverb benutzt wird, und alle Nebensätze – verstanden zu haben, wenn sie zu Ende sind.
Unter den Stilschwächen, auf die Thomas Steinfeld hinweist, sind die Neigung zur Substantivierung bzw. Nominalisierung, die er auf Powerpoint-Präsentationen zurückführt, und der Gebrauch standardisierter Adjektiv-Substantiv-Verbindungen wie feiger Anschlag, tragischer Unfall, fieberhafte Suche.
Die "Holztür" ist aus Holz, der "Holzbohrer" ist es nicht, und "Holzschutz" ist schon gleich gar eine ganz andere Sache [...] Ein "Ledermantel" ist ein Mantel aus Leder, aber ein "Regenmantel" ist kein Mantel aus Regen, die "Rinderwurst" ist vom Rind, die "Kinderwurst" nicht vom Kind. Beim Schreiben eines Romans kommt es nicht nur auf eine geschliffene Sprache an, sondern auch auf die Inszenierung des Plots. Es genügt deshalb nicht, dem Leser mitzuteilen, dass etwas wunderbar, ekelhaft, hinreißend oder anrüchig ist; der Autor muss es stattdessen anschaulich darstellen.
Es ist [...] falsch, an dieser Stelle einen Gegensatz zu eröffnen: Es kommt nicht darauf an, ob Sätze kurz oder lang sind, gebildet oder scheinbar einfach, ob Adjektive in ihnen vorkommen oder nicht, sondern allein darauf, dass einer die Mittel der Sprache beherrscht, dass er etwas zu sagen hat und dass er dies mit seinen Mitteln tut. |
Buchbesprechung:
In seinem Buch "Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann" beleuchtet Thomas Steinfeld die historische Entwicklung und aktuelle Situation unserer Sprache. Anhand von konkreten Beispielen erläutert er die vielfältigen Möglichkeiten des Deutschen – im Guten wie im Schlechten. Dabei kann seine geschliffene Sprache nicht darüber hinwegtäuschen, dass er zumeist an der Oberfläche bleibt. Zur Rechtschreibreform von 1996 fallen ihm nur ein paar Plattitüden ein, und seine Kritik an der Sprache in den neuen Medien beschränkt sich auf das Klischee von "sinnlos dahingestammelten E-Mails". Wenn Thomas Steinfeld zwischendurch die eine oder andere Grammatikregel erläutert, achtet er mehr auf elegante Formulierungen als auf Verständlichkeit. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Thomas Steinfeld (Hg.): Hundert große Romane des 20. Jahrhunderts |