Edith Templeton: Gordon (Roman) |
Edith Templeton: Gordon |
Inhaltsangabe: Ich bin eine Extremistin. Wenn ich nicht alles haben kann, will ich nichts. (Seite 41) Am zweiten Tag ihres erneuten Aufenthalts in London sitzt sie in einem Pub, beobachtet die anwesenden Männer und überlegt, welcher von ihnen wohl versuchen wird, sie abzuschleppen. Da hört sie von hinten die leise Stimme eines Mannes: "Wir genehmigen uns woanders noch einen Drink." (Seite 11) Louisa verlässt mit dem Fremden das überfüllte Pub und folgt ihm zu einem billigen Club. Weil er ihr weder Komplimente macht noch versucht, sie zu berühren, hat sie den Eindruck, dass sie ihn als Frau nicht reizt und er nur etwas Zeit mit ihr totschlagen möchte. Schließlich hat sie genug von ihm.
"Ich will gehen. Ich habe keine Lust, mit Ihnen zusammen zu sein. Ich weiß, dass es nicht sehr nett ist, das zu sagen, aber mir ist überhaupt nicht danach, nett zu Ihnen zu sein." Unvermittelt sagt er:
"Jetzt werde ich Ihnen meinen Garten zeigen [...]" Offenbar liegt ihm nicht viel an ihr, denn statt ein Taxi heranzuwinken, wartet er mit ihr auf einen Linienbus. Nach einem kurzen Fußweg in South Kensington öffnet er das hohe gusseiserne Tor zu einem alten Garten, der ihr auf Anhieb gefällt. Sie gehen hinein.
Er fasste mich um die Taille und bog mich zurück. Ich hatte eine schreckliche Angst zu fallen, aber als ich eine kalte steinerne Oberfläche unter mir spürte, verscheuchte die überraschende Begegnung mit dem Stein meine Angst. Er legte mich hin; eine harte Kante schnitt mir in die Kniekehlen, während meine Füße noch immer den Boden berührten, und sobald ich vollkommen ausgestreckt lag, war er in mir. [...] Ich war weder einverstanden noch abgeneigt. Ich war überhaupt nichts. Man hatte mir nicht die Wahl gelassen, eines von beiden zu sein. [...] Anschließend fordert er sie ohne die geringste Freundlichkeit auf, sich zu erheben.
"Jetzt kommen Sie. Ich begleite sie nach Hause", sagte er und fasste mich am Handgelenk.
Sie verabreden sich für den übernächsten Tag in dem Pub, in dem sie sich kennen lernten. Diesmal nimmt er mit ihr den Bus zum Portman Square und bringt sie in ein altes mehrgeschossiges Haus, in dem er ein möbliertes Zimmer hat. "Ziehen Sie sich aus, und gehen Sie ins Bett." (Seite 42) Ohne sie zu liebkosen oder sich um ihre Gefühle zu kümmern, dringt er in sie ein. Ähnliches wiederholt sich bei den nächsten Treffen. Weder küsst er sie, noch nimmt er sie in den Arm. Wenn sie sich nach dem Geschlechtsverkehr und vor dem Einschlafen an ihn zu kuscheln versucht, bleibt er "mit parallel zu seinem Rumpf ausgestreckten Armen regungslos" auf dem Rücken liegen. Die Versagung jeglicher Zärtlichkeit steigert Louisas Demütigung.
[...] jedes Mal, wenn er mich gegen meinen Willen in seine Gewalt brachte und mich zwang, den Schmerz, den er mir zufügte, ohne Gegenwehr und Widerstand anzunehmen, machte er mich wütend und beschämt.
Sie wagt es nicht, ihn um Verhütung zu bitten und verlässt sich darauf, dass er ihr notfalls helfen wird. Zwei Abtreibungen hat sie bereits hinter sich. Doch trotz ihres beinahe täglichen Verkehrs wird sie nicht schwanger. Selbst wenn ich grob zu ihm war und ihm Beleidigungen an den Kopf warf, tat ich es nie von Gleich zu Gleich. Ich war frech und dreist wie ein Dienstmädchen gegenübers einem Herrn. (Seite 95)
Einmal freut sie sich den ganzen Abend darauf, ihm vor dem Betreten seines Zimmers mitzuteilen, ihre Periode zu haben. Von ihrer Mutter und ihren Freundinnen hat sie immer wieder gehört, dass eine Frau in diesen Tagen unberührbar sei, aber zu ihrer Verblüffung lässt Gordon sich davon nicht abschrecken, sie auch an diesem Abend zu nehmen. "Es bereitet mir ein unvorstellbares Vergnügen, mich mit Ihnen zu befassen", sagte er, "Dinge gegen Ihren Willen aus Ihnen herauszuholen. Ich mag es, Sie zu durchbohren und unangenehm in Sie einzudringen." (Seite 83) Einmal erzählt sie ihm von Derek O'Teague, einem über fünfzig Jahre alten irischen Schauspieler, in den sie sich verliebte, als sie gerade dabei war, ihren Ehemann zu verlassen. Sie sprachen miteinander und verloren sich dann aus den Augen. Erst drei Jahre später fand sie ihn wieder. Diesmal nahm sie ihn mit in die Wohnung ihres gerade abwesenden Lebensgefährten Reggie Starr und ging mit ihm ins Bett.
Gordon sagte: "O'Teague taucht auf und verschwindet nach zwei Tagen wieder. Danach drei Jahre lang nichts. Wir haben also auf der einen Seite Ihren Vater – alt, exzentrisch, sonderbar, bemerkenswert und unbekannt. Sie wollten ihn und konnten ihn nicht bekommen. Er ist irgendwo, aber man kommt nicht an ihn heran [...] Auf der anderen Seite haben wir O'Teague. Alt, vielleicht als Schauspieler bemerkenswert, sonderbar, exzentrisch, unbekannt. Sie wollen ihn, und Sie können ihn nicht haben. Sie wissen nichts über ihn. Er ist irgendwo, aber man kommt nicht an ihn heran [...] Eines Abends zieht sie sich zwar auf seine Anordnung hin aus, bleibt dann aber vor dem Bett stehen, statt sich – wie gewohnt – flach auf den Rücken zu legen:
"Ihre Art, mich zu beschlafen, hängt mir zum Hals heraus. Immer das Gleiche, immer auf das Notwendigse beschränkt, und nie fällt Ihnen etwas anderes ein." Anschließend fragt sie ihn, warum er ihr das angetan habe. "Weil ich mich über Sie geärgert habe", sagte er, "als Sie diese Bemerkung machten, im Bett mit mir sei es immer das Gleiche. (Seite 128ff) Einige Monate nach dem Beginn ihrer Beziehung meint Gordon, er müsse sich erneut einer Analyse unterziehen. Dann redet er davon, sich eine richtige Wohnung in London zu nehmen, in der er auch ein Sprechzimmer einrichten könne. "Und dann ziehen Sie zu mir, mein armes Kind. Sie putzen dann für mich und sind mein Mädchen für alles." (Seite 195) Das erschreckt sie. Nicht die Hausarbeit stößt sie ab, sondern die Furcht vor der Häuslichkeit. Unsere ganze Beziehung war ein Abenteuer, und wie alle Abenteuer spielte sie sich außerhalb des Alltags ab. (Seite 195) Auf dem Weg zu einer Party bei Leonie Beck, einer mit Gordon befreundeten Psychoanalytikerin Ende dreißig, drängt Gordon sie in einen schmutzigen Hinterhof und bringt sie dazu, sich in einer dunklen Ecke hinzuhocken und zu urinieren. Dann drückt er sie brutal gegen die Wand und fickt sie. Einige Minuten später stehen sie bei Leonie Beck in der Tür.
"Aber Sie sind ja in einem schrecklichen Zustand!", rief sie aus, indem sie meinen Mantel nahm. Ungerührt nimmt Gordon abseits von den anderen Gästen auf einer niedrigen breiten Fensterbank Platz, fordert Louisa auf, sich zu seinen Füßen auf den Boden zu setzen und erzählt ihr, dass Leonie ihn einmal verführen wollte, er aber zu keiner Erektion fähig gewesen sei. Belustigt konstatiert er: "Für Sie bin ich ein Sexmonster, und für Leonie Beck bin ich impotent." (Seite 205) Mit ihren Freunden kann Louisa nicht über ihre Obsession sprechen. [...] wusste ich, dass sie ihrerseits völlig verständnislos reagiert hätten, wenn sie erfahren hätten, dass ich meine Zufriedenheit einem Mann verdankte, der imstande war, zu sagen: "Ich werde Sie für immer festhalten, weil ich immer neue Wege finden werde, Sie zu quälen", und dass mein persönliches Paradies mit dem grünen Teppichboden, den hellen, maschinell verzierten Möbeln und Pressglasvasen nur deswegen das Paradies war, weil ich mich nicht aus eigener freier Entscheidung dort aufhielt, sondern als Sklavin festgehalten wurde. (Seite 230)
Knapp ein Jahr nach dem Beginn ihrer Beziehung fällt ihr auf dem Weg zu seinem Zimmer die Handtasche zu Boden, und nach ihrer Ankunft will sie erst einmal die Sachen ordnen. Sie folgt zwar seiner Aufforderung, sich auszuziehen, kramt dann aber weiter in ihrer Handtasche, statt sich hinzulegen. Da geht er nackt zum Schrank und holt etwas heraus. Sie fürchtet sich und hofft, dass es nicht wieder die Schere ist, mit der er ihr kürzlich einen Schreck einjagte. Er packt sie und wirft sie aufs Bett, diesmal mit dem Gesicht nach unten. Dann hockt er sich auf sie, klemmt ihre Beine zwischen seinen Knien ein und beginnt, mit dem medizinischen Hammer, der zur Prüfung der Reflexe benutzt wird, auf sie einzuschlagen. Um ihre Schreie zu ersticken, drückt er ihr mit der anderen Hand den Kopf auf die Matratze. Erst als der Hammer zerbricht, lässt er von ihr ab. "Es muss Schluss sein. [...] Es kann so nicht weitergehen. Sie sind vollkommen von mir abhängig geworden. Sie können keinen Schritt mehr ohne mich tun. [...] Ich will Sie nicht loswerden, ich muss. Es hat einen Punkt erreicht, an dem Schluss sein muss. Außerdem gehe ich jetzt wieder in die Analyse. Da kann ich Sie nicht gebrauchen. Sie wären mir nur im Weg." (Seite 243f) Als sie zaghaft protestiert, fährt er fort: "Und überhaupt, worüber beklagen Sie sich eigentlich? Sie haben auf diesem Weg eine Therapie im Wert von dreihundert Guineen erhalten." (Seite 246)
Vier Jahre später heiratet Louisa einen Antiquitätenhändler und zieht mit ihm nach Madrid. An der Seite ihres Mannes, der für Sotheby's arbeitet, kommt sie im vierten Jahr ihrer Ehe erstmals wieder nach London. Zur Verwunderung ihres Mannes will sie einige Monate nach dieser Reise erneut für sechs Wochen nach London, diesmal allein, angeblich, um Freunde zu besuchen. Tatsächlich geht es ihr darum, herauszufinden, warum Gordon sich vor acht Jahren das Leben nahm.
"Aber was glauben Sie, was passiert wäre, wenn Gordon Sie nicht rausgeworfen hätte? Glauben sie, Sie hätten es geschafft, ihn umzuerziehen?"
In der letzten Sitzung vor ihrer geplanten Abreise aus London rät der Psychiater ihr, ihrem Herzen zu folgen, "ohne sich um die Konsequenzen zu scheren". Da geht sie auf ihn zu, schlingt die Arme um seinen Nacken, legt den Kopf an seine Brust – und Crombie küsst sie. |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Edith Templeton: Die Stunde des Cupido |