Mario Vargas Llosa: Lob der Stiefmutter (Roman) |
Kritik: "Lob der Stiefmutter" ist ein elegant komponierter, ausgesprochen witziger und unterhaltsamer Roman von Mario Vargas Llosa, der sich dafür zwei unerwartete perfide Schlusspointen ausgedacht hat. ![]() |
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Mario Vargas Llosa: |
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Inhalt: Doña Lukrezia, die seit vier Monaten mit dem Witwer Don Rigoberto verheiratet ist, erhält von ihrem zehnjährigen Stiefsohn Alfonsito einen liebevollen Brief zu ihrem 40. Geburtstag. Irritierend findet sie, wie häufig und wie stürmisch Alfonsito sie umhalst. Als sie erfährt, dass der Junge sie heimlich beim Baden beobachtet, sagt sie zwar nichts, geht aber auf Distanz zu ihm. Alfonsito reagiert darauf mit einer Selbstmord-Drohung ... ![]() |
Originalausgabe: |
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Mario Vargas Llosa: Lob der Stiefmutter |
Inhaltsangabe:
Doña Lukrezia, deren erste Ehe geschieden wurde, ist seit vier Monaten in Lima mit Don Rigoberto verheiratet, dem verwitweten Geschäftsführer der Versicherungsgesellschaft "La Perricholi". Zu ihrem vierzigsten Geburtstag erhält sie von ihrem zehnjährigen Stiefsohn Alfonso einen liebevollen Brief.
"Ich hab dich sehr lieb, Stiefmutter", flüsterte die kleine Stimme an ihrem Ohr. Doña Lukrezia fühlte schmale Lippen, die vor ihrem Ohrläppchen innehielten, es mit ihrem Atem wärmten, es küssten und spielerisch an ihm knabberten [...] Das Herz ging ihr über vor Rührung. Und dabei hatten ihr die Freundinnen prophezeit, dass dieser Stiefsohn das größte Hindernis sein würde, dass sie seinethalben mit Rigoberto niemals glücklich werden könnte. Bewegt küsste auch sie ihn, auf die Wangen, auf die Stirn, auf das zerwühlte Haar [...] "Hast du mich wirklich sehr lieb?", fragte sie [...] Doña Lukrezia spürte kleine rasche Küsse auf der Stirn, auf den Augen, auf den Augenbrauen, auf der Wange, auf dem Kinn ... Als die schmalen Lippen die ihren streiften, presste sie verwirrt die Zähne aufeinander. Wusste Fonchito, was er da tat? (Seite 13f)
Als Doña Lukrezia ins Schlafzimmer zurückgeht, spürt sie, dass sie feucht geworden ist. Wie konnte die unschuldige Zärtlichkeit des Kindes sie erregen? Sie schämt sich. Als Alfonsito an diesem Nachmittag von der Schule nach Hause kam und auf sie zuging, um ihr einen Kuss zu geben, wandte sie sogleich das Gesicht von ihm ab und vertiefte sich wieder in die Zeitschrift, die sie gerade durchblätterte. (Seite 51) Am Abend nimmt sie ein Bad. Justiniana bringt ihr ein Handtuch und warnt sie unauffällig vor dem Jungen, der wieder auf dem Dach sei. Lukrezia überlegt, ob sie schreien soll, aber sie will nicht, dass Alfonsito erschrickt und vom Dach fällt. Plötzlich erhob sie sich. Ohne sich mit dem Handtuch zu verhüllen, ohne sich zusammenzuducken, damit diese kleinen unsichtbaren Augen ihren Körper nur unvollständig und flüchtig zu Gesicht bekämen [...] Und als sie aus der Badewanne gestiegen war, zog sie sich nicht sogleich den Morgenmantel an, sondern verharrte nackt, den Körper mit glänzenden Wassertröpfchen bedeckt, gespannt, kühn, zornig. Sie trocknete sich ganz langsam ab, Glied für Glied, ließ das Handtuch wieder und wieder über ihre Haut gleiten [...] Und mit der gleichen manischen Umständlichkeit rieb sie danach ihren Körper mit feuchtigkeitsspendenden Cremes ein. Und während sie sich in dieser Weise vor dem unsichtbaren Beobachter produzierte, bebte ihr Herz vor Zorn. Was tust du, Lukrezia? [...] Aber sie fuhr fort, sich zur Schau zu stellen, wie sie es noch niemals für jemanden getan hatte. (Seite 52f)
Lukrezia stellt sich vor, die griechische Jagdgöttin Diana zu sein und nach dem Bad beim Liebesspiel mit ihrer lesbischen Favoritin Justiniana von dem kindlichen Ziegenhirten Foncín aus einem Versteck belauert zu werden. Als der Mund des Kindes den ihren suchte, verweigerte sie ihn nicht. Sie schloss halb die Augen, ließ sich küssen und erwiderte seinen Kuss. (Seite 97) Doña Lukrezia lässt es geschehen, dass Alfonsitos Zunge ihren Mund erkundet, und sie schiebt auch die Hand nicht weg, die sie auf einer ihrer Brüste spürt. Bedeutete Kindheit dieses Gemisch aus Tugend und Laster, Sünde und Heiligkeit? (Seite 126) Während Don Rigoberto, der Geschäftsführer einer Versicherungsgesellschaft ist, eine mehrtägige Geschäftsreise unternimmt, schläft Lukrezia mit dem Zehnjährigen. Seitdem sie und das Kind sich zum ersten Mal geliebt hatten, waren ihre Skrupel und Schuldgefühle verschwunden. (Seite 123) Verwundert beobachtet Lukrezia, dass Alfonso seinem Vater trotzdem ohne die geringste Verlegenheit begegnet und offenbar keine Schuldgefühle verspürt. Don Rigoberto nimmt keinen Schaden, denn sein Sohn liebt ihn nicht weniger als bisher, und Lukrezia fühlt sich durch die inzestuöse Beziehung verjüngt und wird durch die Liebkosungen ihres Ehemanns noch intensiver erregt als zuvor.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Eines Tages, als Lukrezia bei einer Freundin ist, betrachtet Don Rigoberto seinen Sohn wieder einmal voller Stolz: Es ist ein guter Junge, höflich, gehorsam und mit hervorragenden schulischen Leistungen. Ein Cherub, ein süßer Fratz, ein Erzengel wie auf den Heiligenbildchen zur Erstkommunion. (Seite 143) Unvermittelt fragt Alfonsito: "Papa, was heißt eigentlich Orgasmus?" (Seite 143) Don Rigoberto täuscht zunächst einen Hustenanfall vor, dann fragt er, woher Alfonso das Wort kenne.
"Ich hab es von meiner Stiefmutter gehört [...] Weiht Lukrezia ihrem Stiefsohn in Intimitäten aus ihrem Schlafzimmer ein? Don Rigoberto kann es sich nicht vorstellen. Vermutlich handelt es sich um die Hirngespinste eines Kindes, das bald in die Pubertät kommt. Da ist es besser, das Thema zu wechseln. Also fragt Don Rigoberto nach den Hausaufgaben. Er habe nur einen Aufsatz schreiben müssen, antwortet Alfonso, und das habe er bereits getan. "Lob der Stiefmutter" heißt der von ihm gewählte Titel, und er holt eifrig das Schulheft, damit sein Vater lesen kann, was er geschrieben hat. Don Rigoberto ist seltsam zumute. Warum erfasste ihn jetzt die angstvolle Ahnung, dass ein Abgrund sich vor seinen Füßen auftat? (Seite 147) Als er den Aufsatz gelesen hat, ruft er empört: "Bist du verrückt geworden, mein Kleiner? Wie konntest du solche unanständigen Ferkeleien erfinden?" (Seite 149)
Das Kind beteuert jedoch, nichts als die Wahrheit geschrieben zu haben.
"Gewissensbisse?", sagte die kristallklare Stimme erstaunt. "Weswegen?" Ob Alfonso alles von Anfang an geplant habe, möchte Justiniana wissen, und insgeheim denkt sie, es sei nicht ratsam, sich den Jungen zum Feind zu machen oder ihn auch nur zu provozieren.
"Hast du das alles für Doña Eloisa getan? Weil du nicht wolltest, dass jemand deine Mutter ersetzt? Weil du es nicht ertragen konntest, dass Doña Lukrezia ihren Platz hier im Haus eingenommen hatte?" [...] |
Buchbesprechung:
"Lob der Stiefmutter" ist ein elegant komponierter, ausgesprochen witziger und unterhaltsamer Roman von Mario Vargas Llosa. Die rasant erzählte Handlung ist zwar nicht unbedingt realistisch, aber sie fesselt von der ersten bis zur letzten Seite, zunächst durch Erotik, Komik, Ironie und am Ende durch zwei unerwartete perfide Volten, die Mario Vargas Llosa von Anfang an sorgfältig vorbereitet hat. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Mario Vargas Llosa (Kurzbiografie) |