John Williams: Augustus (Roman) |
John Williams: Augustus |
Inhaltsangabe:Augustus (kurze Biografie) PrologCaesar schreibt 45 v. Chr. vor der Abreise aus Spanien seiner Nichte Atia in Rom. Er fordert sie auf, Gaius Octavius, ihren bald 18-jährigen Sohn aus erster Ehe, nach Apollonia in Kleinasien zu schicken. Sein Griechisch ist erbärmlich; in Rhetorik ist er schwach, seine Fähigkeiten in Philosophie sind passabel, seine Kenntnisse der Literatur aber exzentrisch, um es milde auszudrücken. Sind die Lehrer in Rom so träge und sorglos wie die Bürger der Stadt? In Apollonia wird er jedenfalls mit Athenodorus Philosophie studieren sowie sein Griechisch verbessern, mit Apollodorus seine Literaturkenntnisse vertiefen und an seiner Rhetorik feilen. Die nötigen Vorkehrungen habe ich bereits getroffen. In seinem Alter muss er zudem fort aus Rom; er ist ein junger, wohlhabender Mann aus gutem Haus und von beträchtlicher Attraktivität. Wenn ihn die Bewunderung der Jungen und Mädchen nicht verdirbt, wird es dem Ehrgeiz der Schmeichler gelingen. [...] In einer so disziplinierten wie spartanischen Umgebung wird er die Vormittage mit den klügsten Gelehrten unserer Zeit verbringen und seine Verstandeskünste schärfen; an den Nachmittagen vervollkommnet er dann mit den Offizieren meiner Legionen jene andere Kunst, ohne die kein Mann vollständig ist. Caesars Versuch, seinen Großneffen Gaius Octavius zu adoptieren, scheiterte zwar am Widerstand von Marcus Antonius, aber der Diktator hält an dem jungen Mann als Nachfolger fest und hat beschlossen, ihn nach den Studien in Apollonia als Reiterführer im geplanten Feldzug gegen die Parther einzusetzen. Erstes BuchNach der Ermordung Caesars am 15. März 44 v. Chr. (Iden des März) kehrt Gaius Octavius mit seinen Freunden Marcus Vipsanius Agrippa, Gaius Cilnius Maecenas und Salvidienus Rufus aus Apollonia nach Rom zurück. Caesar hat ihn als Erben und Nachfolger eingesetzt, aber Atia drängt ihren Sohn in einem Brief, das Testament nicht anzunehmen. Es ist, wie ich es befürchtet hatte: Das Testament wurde öffentlich gemacht, und es ernennt Dich zu Cäsars Sohn und Erben. Ich weiß, Dein erster Impuls wird sein, beides anzunehmen, den Namen und das Vermögen, aber Deine Mutter fleht Dich an zu warten, zu überlegen und abzuschätzen, in welche Welt Dich das Testament Deines Onkels einlädt. Es ist nicht die schlichte Welt von Velletri, diesem Ort auf dem Land, in dem Du Deine Kindheit verbracht hast, auch nicht die Welt der Tutoren und Ammen, die Dich als Jungen umsorgt haben, auch nicht die Welt der Bücher und der Philosophie, die Welt Deiner Jugend also, nicht einmal die primitive Welt des Schlachtfeldes, mit der Cäsar Dich (gegen meinen Willen) bekannt gemacht hat. Dies ist die Welt Roms, in der niemand Feind noch Freund kennt, in der Freizügigkeit stärker als Tugend bewundert wird und Prinzipien nur dem Eigennutz dienen. Deine Mutter bittet Dich, die Bedingungen des Testaments nicht anzuerkennen [...]. Denn wenn Du Namen und Vermögen annimmst, akzeptierst Du die Feindschaft beider Parteien, also jener, die Cäsar ermordet haben und jener, die jetzt seinem Andenken frönen. Statt auf seine Mutter und seinen Stiefvater Lucius Marcius Philippus zu hören, akzeptiert Octavius das Testament und die damit verbundenen Folgen, aber die Mächtigen in Rom nehmen den neurasthenischen 19-Jährigen nicht ernst. Der einflussreiche Senator Marcus Tullius Cicero schreibt dem Cäsarmörder Marcus Junius Brutus: Der Junge ist ganz ohne Bedeutung, ihn brauchen wir nicht zu fürchten. [...] Er ist noch ein Junge und ein ziemlich dummer dazu; er hat keine Ahnung von Politik, und das wird sich gewiss auch niemals ändern. Als Octavius in Begleitung seiner Freunde dem Imperator Marcus Antonius seine Aufwartung machen möchte, lässt dieser ihn stundenlang warten und berichtet dann Gaius Sentius Tavus, dem Militärbefehlshaber in Makedonien: Octavius, dieses Milchgesicht, ist gestern Vormittag zu mir gekommen. Er ist seit etwa einer Woche in Rom und führt sich auf wie eine trauernde Witwe, nennt sich Cäsar und gibt auch sonst allen möglichen Unsinn von sich. [...] Ohne Termin kam er spät am Vormittag in mein Haus, in dem bereits ein halbes Dutzend Leute wartete, und er hatte drei Kerle aus seinem Gefolge dabei, als wäre er ein verfluchter Magistrat und sie seine Liktoren. Ich nehme an, er erwartete, ich würde alles stehen und liegen lassen und zu ihm herausgestürzt kommen, was ich natürlich nicht tat. Ich befahl meinem Sekretär, ihm zu sagen, dass er genau wie alle anderen warten müsse, und rechnete halb damit, halb wünschte ich mir, dass er verschwinden würde, aber das tat er nicht. Also ließ ich ihn bis fast zum Ende des Vormittags warten, und dann durfte er zu mir herein.
Die Männer, die Octavius zunächst verlacht haben, werden bald eines Besseren belehrt, denn er entwickelt sich zu einem ebenbürtigen Gegner für Antonius, verbündet sich dann mit ihm gegen die Caesarmörder und besiegt 31 v. Chr. in der Schlacht bei Actium Kleopatra und Marcus Antonius. Mit dem Suizid der beiden endet im Jahr darauf endet die Epoche der römischen Bürgerkriege. Zweites BuchGaius Cilnius Maecenas berichtet Titus Livius 13 v. Chr. in einem Brief über Augustus: Langsam und mit häufiger Rast entlang des Wegs kehrte er nach der Schlacht bei Philippi mehr tot als lebendig nach Rom zurück. Er hatte Italien vor seinen Feinden im Ausland gerettet; nun blieb die Aufgabe, die zuinnerst zerrüttete Nation wiederaufzubauen. Maecenas schildert, wie krank sein Freund damals war und kommt dann auf die Ehen des Augustus zu sprechen: Die erste Ehe arrangierte ich für ihn schon sehr früh, noch vor dem Triumvirat. Das Mädchen hieß Servilia, Tochter von P. Servilius Isauricus, der damals, als Cicero nach Mutina gegen Octavius opponierte, bereit war, sich als Seniorkonsul mit Octavius gegen Cicero aufstellen zu lassen – [...] die Heirat kam nie zustande. Die zweite war noch lächerlicher als die erste. Sie betraf Clodia, Tochter von Fulvia und Stieftochter von Marcus Antonius, und sie war Teil jener Vereinbarungen, die dem Triumvirat zugrunde lagen [...]. Das Mädchen war dreizehn Jahre alt und so hässlich wie seine Mutter. Octavius hat sie meines Wissens nur zweimal gesehen, und sie hat nie auch nur einen Fuß in sein Haus gesetzt. Wie Du weißt, konnte die Ehe weder Fulvia noch Antonius beschwichtigen, die beide ihre verräterischen Verschwörungen fortsetzten, weshalb wir nach Philippi, als sich Antonius im Osten aufhielt und Fulvia offen mit einem weiteren Bürgerkrieg gegen Octavius drohte, unsere Position deutlich machen und die Scheidung durchsetzen mussten. Es war jedoch meine Verantwortung für den dritten Ehevertrag, die Octavius mir beinahe übel genommen hätte; es ging um Scribonia; und der Vertrag wurde in dem Jahr nach seiner Scheidung von Clodia geschlossen, also in jenen Monaten, in denen wir ziemlich mutlos waren, weil es schien, als würden wir entweder von Antonius’ Aufständen in Italien oder den Übergriffen des Sextus Pompeius erdrückt. [...] Jedenfalls habe ich mit Pompeius geredet und etwas ausgehandelt, was ich für eine Vereinbarung hielt, besiegelt durch einen Ehevertrag mit besagter Scribonia, der jüngeren Schwester von Pompeius’ Schwiegervater. Scribonia, Scribonia … Sie kam mir stets wie der Inbegriff der Weiblichkeit vor: misstrauisch, eiskalt, höflich, aber übellaunig und höchst egoistisch. Es ist wirklich erstaunlich, dass mir mein Freund dieses Ehearrangement je verziehen hat. Vielleicht nur, weil sie ihm schenkte, was er ebenso liebt wie Rom – seine Tochter, seine Julia. Noch am Tag ihrer Geburt ließ er sich von Scribonia scheiden; und es ist ein Wunder, dass er wieder geheiratet hat, doch das tat er, und bei dieser Ehe hatte ich keinen Anteil …
Bei der nicht von Gaius Cilnius Maecenas arrangierten Ehe handelte es sich um eine Liebesheirat. Augustus – damals noch ohne den Ehrentitel – veranlasste Tiberius Claudius Nero, sich 39 v. Chr. scheiden zu lassen, damit er dessen Frau Livia Drusilla heiraten konnte. Livia hat die Söhne Tiberius und Drusus mit in die Ehe gebracht, kann jedoch aufgrund von Komplikationen bei Drusus' Geburt keine weiteren Kinder bekommen. Scribonias Tochter Julia, die dem Vater zugesprochen worden ist, bleibt das einzige leibliche Kind des Augustus.
Mein Vater hatte gehofft, Marcellus, der Sohn seiner Schwester, würde sein Nachfolger werden, also verheiratete er mich mit ihm. Marcellus starb. Dann hatte er gehofft, Agrippa würde sein Nachfolger, oder es würde doch zumindest einer meiner Söhne (die von meinem Vater adoptiert wurden) soweit heranreifen, dass er seine Pflichten übernehmen könne. Agrippa starb, und meine Söhne waren noch Kinder. Weitere männliche Nachkommen der octavianischen Linie gab es nicht, und es gab auch niemanden, dem er vertrauen konnte oder über den er ausreichend Macht besaß. Also blieb nur Tiberius, den er verabscheute [...]. Während Tiberius Rom meidet, tröstet sich Julia mit Liebhabern und sexuellen Ausschweifungen über ihre unglückliche Ehe bzw. die Abwesenheit des Ehemanns hinweg. Der beauftragt Spitzel, die ihm über Julia und vor allem deren Männer berichten, denn er argwöhnt, dass ein Anschlag gegen ihn geplant ist, um ihn als Nachfolger des Augustus zu verhindern. Livia schreibt deshalb ihrem Sohn im Jahr 9 v. Chr. nach Pannonien: Du wirst mir in dieser Angelegenheit gehorchen und zwar unverzüglich. Du vernichtest sämtliche "Beweise", die Du so gewissenhaft gesammelt hast; und Du gibst Deinem Freund Calpurnius Bescheid, dass er künftig unterlassen soll, irgendetwas für Dich in dieser Hinsicht zu unternehmen. Was, wenn ich fragen darf, willst Du mit diesen "Beweisen" anfangen? Willst Du sie für eine Scheidung verwenden? [...] Hinsichtlich all dieser Phantastereien befindest Du Dich jedenfalls im Irrtum, und zwar gründlich. [...] Falls Du aber glaubst, eine Scheidung wäre für Dich von Vorteil, irrst Du aufs Neue. Ist ein solcher Schritt einmal gemacht, hast Du keinerlei Verbindung mehr zur Macht, von der wir beide träumen; Deine Frau mag "Schande" über sich gebracht haben, Du aber wirst nichts dadurch gewinnen [...]. Ich weiß, dass Deine Frau Ehebruch begeht; wahrscheinlich weiß es auch mein Mann. Falls Du aber die Gesetze gegen sie bemühen willst, die er erließ, und ihn so zwingst, seine Tochter zu strafen, wird er Dir das nie verzeihen. Dann hättest Du Dein privates Glück ebenso gut nie zu opfern brauchen. Wir müssen abwarten. Sollte Julia Schande über sich bringen, dann muss dies allein von ihr ausgehen; Du darfst in keiner Weise darin verwickelt sein, und Du wirst nur dann nicht darin verwickelt werden, wenn Du im Ausland bleibst. Ich rate Dir daher dringend, Deine Angelegenheit in Pannonien möglichst in die Länge zu ziehen. Solange Du von ihrem Haus und von Rom fortbleibst, solange hat unsere Sache eine Chance. Augustus verbannt seine ehebrecherische Tochter 2 v. Chr. auf die Insel Pandateria, und Scribonia begleitet ihre Tochter dorthin. In ihrem auf Pandateria verfassten Tagebuch schreibt Julia: Mein Vater wusste über meine Affären Bescheid. Sie mochten ihm Kummer bereitet haben, aber er wusste Bescheid, er verstand meine Gründe und tadelte mich deswegen nicht allzu sehr. Er wusste auch von meiner Liebe zu Jullus Antonius, und ich glaube fast, er hat sich für mich gefreut. Julias Tagebuch zufolge verhinderte ihr Vater mit der Verbannung ihre Hinrichtung als Hochverräterin. Sie schildert, wie Augustus sie rufen ließ:
"Hättest du diese Papiere aufmerksam gelesen", sagte mein Vater, "wüsstest du, dass es eine Verschwörung gegen die Regierung in Rom gibt und dass man als Erstes deinen Mann Tiberius Claudius Nero ermorden will." Ich brachte kein Wort heraus. Julias Tagebuch endet mit den Worten:
Die heute Morgen aus Rom erhaltenen Neuigkeiten besagen, dass Tiberius nach all den Jahren nun aus Rhodos zurückgekehrt ist und in Rom weilt. Er wurde von meinem Vater adoptiert. Falls er nicht stirbt, wird er meinem Vater nachfolgen und Kaiser werden. Drittes BuchVom 9. bis 11. August 14 n. Chr. schreibt Augustus abschnittweise einen langen Brief an den griechischen Philosophen Nikolaos von Damaskus, der die Kinder von Kleopatra und Marcus Antonius erzogen hatte. Der 76-jährige Herrscher befindet sich auf dem Weg von Rom über Capri nach Benevent, wo er sich auf Druck seiner Frau Livia demonstrativ mit seinem designierten Nachfolger Tiberius treffen will, um dessen Position zu stärken, obwohl er ihn insgeheim verachtet. Augustus ahnt, dass sein Lebensende gekommen ist, und er zieht Bilanz.
So entschied ich, die Welt nicht aus naivem Idealismus oder egoistischer Rechtschaffenheit zu ändern, diesen Vorboten unweigerlichen Scheiterns, noch entschied ich, die Welt zu ändern, um meinen Reichtum, meine Macht zu mehren, denn mehr Reichtum als man für die eigene Bequemlichkeit braucht, schien mir schon immer der langweiligste Besitz, und nichts finde ich so verachtenswert wie überschüssige Macht. Es war das Schicksal, das an jenem Nachmittag vor beinahe sechzig Jahren nach mir griff, und ich beschloss, mich seiner Umarmung nicht zu entziehen. Augustus kommt in seinem letzten Brief auch auf Julia zu sprechen: Meine Tochter gehörte einer Verschwörung an, die einen Anschlag auf ihren Mann und meine Ermordung plante. Ich wandte die so lang unbeachtet gebliebenen Ehegesetze an, um Julia zu einem Leben im Exil zu verdammen; ansonsten wäre sie zum Tode verurteilt worden, da ihr Mann, Tiberius, insgeheim vorhatte, sie wegen Hochverrats anzuklagen. Epilog55 n. Chr. schreibt Philippus von Athen, der letzte Leibarzt des Augustus, an Lucius Annaeus Seneca in Neapel und schildert ihm die letzten Tage und Stunden des Herrschers.
Eines muss ich Dir noch zu dem langen Brief sagen, den Octavius seinem Freund Nikolaos in Damaskus schrieb. Er wurde mir anvertraut, damit ich ihn zustellen lasse, doch erfuhr ich in Neapel, dass Nikolaos zwei Wochen zuvor gestorben war. Ich habe dem Kaiser nichts davon gesagt, da mir damals schien, dass ihn der Gedanke freute, sein alter Freund habe seine letzten Worte gelesen. |
Buchbesprechung:Der Roman "Augustus" dreht sich um den Lebensweg eines Mannes, der Verantwortung für den Staat übernimmt und seine persönlichen Wünsche dem Gemeinwohl unterordnet. John Williams veranschaulicht nicht nur den Konflikt zwischen Privatperson und öffentlicher Rolle, sondern auch zwischen der Fassade (Republik) und der Wirklichkeit dahinter (Alleinherrschaft). Es geht in dem Roman um eine entscheidende Phase der römischen Geschichte und zugleich um Menschen wie Augustus und seine Tochter Julia. Im Nachwort zitiert Daniel Mendelsohn den Autor, der 1985 in einem Interview sagte: In beiden Fällen ["Stoner" und "Augustus"] geht es um Führung und individuelle Verantwortung, um Feindschaften und Freundschaft [...] Die Größenordnung ist eine andere, aber die Machtmechanismen in einer Universität sind die gleichen wie im Römischen Reich.
"Augustus" ist keine Biografie, sondern ein ungewöhnlicher Briefroman, zusammengestellt aus größtenteils fiktiven Schriftstücken. "Echt" sind wohl nur Auszüge aus Titus Livius' Geschichtswerk "Ab urbe condita libri CXLII" (Von der Gründung der Stadt an. 142 Bücher). Dennoch handelt es sich auch bei den anderen Autoren fast ausschließlich um historische Personen. Einigen von ihnen, zum Beispiel dem eitlen Cicero, hat John Williams eine charakteristische Sprache verliehen.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Augustus (kurze Biografie) |