Im Zimmer der Großmutter roch es nach Erinnerung
gegen Ende. Gesammelt, gestapelt und faulend.
Ich schob die Greisin öfter im Rollstuhl spazieren.
Dabei erzählte sie, Fahrradfahren verlernt man nie.
Was blieb, war Fernsehen. Sie war dem Sender treu,
den sie beim Anschalten zufällig auslöste, viel zu laut.
Selbst wenn die Kiste ausgeschaltet war, blickte sie
stur und stumm auf den Schirm. Einmal beim Kaffee
drehte sie sich plötzlich zu mir, strahlte übers ganze
Gesicht und raunte: „Ich werd nie vergessen, wie“.
Dann stockte sie, gestand: „Ich hab’s vergessen“.
Wir sahen uns an, dann lachten wir. Wir lachten.
Es gibt also Vergeben. Ich kann es noch riechen.
13.01.2008 21:11:38
Hamburg, 22.12.2007
Ein Tag, um geboren zu werden
23.12.2007 17:10:26
Dieses Foto wurde der Welt entnommen
16.12.2007 09:45:07
Lyrik von jetzt
11.12.2007 14:36:37
In Schwarz
16.11.2007 11:03:47
A-m-o
Termino, kiun vi evitas,
supre en la hakordo de la sentoj;
pliigita pulsbatado, tunelrigardo,
nomo, telefone kontestata,
rideti ĝis la eskalado, la arto
varmigi sin en frida vivo,
amfibia instinkto, tute laŭ amfibio:
“Kapo, la korpo estas vosto.“
Frazaĵo por sufero libera de doloroj,
ekde ĉiu fojo preskaŭ tutan vivon for,
dume neniu tago deruliĝas laŭdezire.
Kun iom da aktoreco oni akceptas
viajn elturnmanovrojn,
preskaŭ vi povus kredi ilin,
pro ĉiuj tiaj kantoj solveblaj en tempo.
Tiu donas al la korpo la benon,
dum la sencela migrado de vortoj al la afero.
El "Spirvojo de la pasaĝero". Poemoj.
Welche Sprache das wohl sein mag?
09.11.2007 15:43:46
Unruhe
Beim Aufschlagen eines beliebigen Buches:
„Mein Denken enthält keine Gedanken“.
Jetzt enthalte ich diesen Satz.
Ich denke an dich die ganze Zeit.
Mein Glück. Es dauert drei Tage,
ihn wieder loszuwerden.
So geht es wahrscheinlich
allen Büchern, allen Kreaturen.
Sie enthalten, was an Wissen
nicht genau zu wissen ist.
So entgeht man Leid, heißt es:
Wirke auf das, was noch nicht
(oder nicht mehr) da ist. Früher
wies ich solche Gedanken von mir
als von anderen schon gedacht.
Heute reicht es zu wissen,
wer festhält, verliert.
06.11.2007 10:28:33
Recycling
Während ich Zeitungen vom Wochenende
aussortiere, noch mal die Schlagzeilen:
Russland rüstet atomar nach,
in Amerika spricht man vom dritten Weltkrieg
und die Kanzlerin eröffnet eine Brücke
über den Strelasund:
„Sie erlaubt spannende Blicke.“
Die Fernsehkritik einer Show für Talente:
Begabung der meisten
ist es, keine zu haben.
Und noch was über den US-Präsidenten,
der sich von Gott gewählt fühlt,
mit dem Dalai Lama, Gott zum Anfassen,
auf Besuch im Weißen Haus.
Worüber reden die beiden Männer?
Über die nächste Invasion, über Reinkarnation?
Der eine kehrt bestenfalls wieder als Variation
auf ein Thema von Dr. Benn.
Der andere hat den Kreislauf fast durchlitten.
Ein Sonntagsartikel zu Urvertrauen:
Leben lohnt sich.
Talente, Kriege, Blicke.
23.10.2007 14:06:55
Zeitgeist
Die Mülltonne auf rissigem Pflaster
im Hof,
die nach oben offene Mülltonne
auf Rädern,
fast ein Anblick, den ich mögen könnte,
wäre da nicht
der Müll.
21.10.2007 07:33:57
1% Praxis schlägt 99% Theorie
Neulich am Meer gab es keine großen Wellen, ich habe es
dann mit einer kleinen versucht.
15.10.2007 14:41:25
Vor einer Woche ...
13.10.2007 14:36:58
Deutschlandradio
Steig aus, wenn der Wagen liegen geblieben ist.
Es gibt kaum etwas auf der Welt,
was jemand nicht noch billiger machen könnte.
Es gibt uns.
Einer ist immer noch schlechter.
Es gibt zu viele Gedanken.
Es gibt zu viele ähnliche Gedanken,
die ähnlichen Mitarbeitern gleichen.
Alle machen dasselbe.
Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es,
für wenig Geld viel Wert zu erhalten.
Es gibt viel Riesling
und zu wenige Spitzenlagen.
Es gibt uns.
Mach dir den kleinsten Gedanken
und rechne dem Risiko, das du damit eingehst,
noch etwas hinzu, um den Verlust aufzufangen.
Wenn du soweit bist,
kannst du dir gleich die Mühe machen
und etwas Besseres denken.
Einer ist immer noch besser.
Ansonsten versuch es mit Dummheit.
Die Meisten werden es in Zukunft schwer haben.
Es gibt uns.
Steig aus, wenn der Wagen liegen geblieben ist.
11.10.2007 15:54:41
Im Park Fiction
"Jeder Mensch ist ein Künstler"
J. Beuys
Ein Vater erklärt drei Kindern die Welt im Café
auf drei Weisen, Fläschchen, Saft, Cola.
Ein Obdachloser bettet sein Haupt
so gemütlich auf einen Karton, ich muss sofort gähnen.
In den Rabatten wachsen Tomaten.
Soviel zur Realität.
Statistisch war der August wärmer und feuchter
als die meisten das Wort Sommer aussprechen.
Ein Kreuzfahrtschiff läuft aus, Leute an der Reling winken.
Früher dachte ich, ich wäre glücklich, wenn allein.
Fast hätte ich zurückgewinkt.
Soviel zur Realität.
13.09.2007 11:23:32
Vademecum
Die Frau mit rotgefärbtem Haar
und einer Torte in der Hand,
schlingernd bei Rot quert sie
auf dem Klapprad die Kreuzung,
Autos halten, keiner hupt. Viel Glück!
Alles hängt ab von Akrobatik.
08.09.2007 10:03:24
Prompt
Bingo, Mirko!
07.09.2007 16:40:43
Was Freud sagt
Alles, was man braucht,
ist Arbeit und Liebe.
Arbeiten – das ist wie die Katze,
die im Keller einer Jugendfreundin
im Karton geworfen hatte.
Mutter geworden, beäugte sie
uns streng, fasziniert
oder abgestoßen war ich
von dem Gewimmel.
Bis auf ein Junges besetzten alle
eine Zitze mit ihren Milchtritten.
Ich rückte das schwache
Tierchen an den Bauch
und fing mir einen scharfen
mütterlichen Schlag ein.
Erst dann ließ sie das blinde,
nackte Etwas sich anlegen.
Der Kratzer entzündete sich.
Siehst du, Liebste, hier,
die Narbe, nie verblasst.
04.09.2007 11:41:59
Kollektive Psychose
"Hallelujah The Hills" haben auf myspace viele tausend Freunde.
Unter anderem ist ein gewisser John Ashbery dabei.
John Ashbery hat massenweise Freunde auf myspace.
Unter anderem Frank O'Hara.
Frank O'Hara hat auf myspace 27 Freunde.
Unter anderem John Ashbery.
John Ashbery hat ein Gedicht auf myspace.
Es endet so: "You are not even here."
14.08.2007 21:27:34
Vergleiche erhellen das Leben
Vergiss die Kamera. Stell dir
das Leben vor als koreanischer
Missionar oder mit Examen
in Astrophysik. Erkläre in eigenen
Worten die Wölbung des
Regenbogens. Schreibe eine
Presseerklärung über opponierende
Daumen. Verbinde die Pickel
in jemands Gesicht zu einer
Konstellation. Verlass den Club
der namentlich bekannten
Einzelgänger. Sag, nein danke,
Mimikry. Gründe Überzeugung.
13.08.2007 08:24:00
Die Underdog-Ideologie
Was einmal eintritt, ist noch nicht passiert.
Was einmal eintritt, ist passiert.
Zum Beispiel deine Angst
vor Außenseitern.
Darum wirst du nicht überleben.
Probleme lassen sich nicht aus der Welt schaffen.
Diese Welt erschafft die Probleme.
Zum Beispiel deine Angst
vor Angepassten.
Darum wirst du überleben.
10.08.2007 07:55:35
Nach Visby im Winter
Ostsee besteht hier aus den Buchstaben M-E-E-R.
Die Überfahrt ist so kalt, dass ich mich in den Körper zurückziehen muss.
Alles ist reduziert auf vier oder fünf Elemente.
Später ist Frieren keine Option, weil im Dezember noch Rosen blühen.
Ich finde lange Schatten im Osten der Fossilien am Strand.
Erinnerung ist eine Küste.
Wellen tanzen ist so eine versteinerte Metapher.
Überall Militär auf der Insel, aber Krieg ist keine Option.
Nicht wegen der Rosen, das wäre peinlich, sondern der Elemente wegen.
Heutiges Vorhaben: Was ist Insel, wenn darüber nachgedacht. Vorhaben.
M-E-E-R ist mit bloßem Auge zu sehen in seiner ganzen trockenen Magie.