ein bild

Totenmaske


Plötzlich hatte ich eine Ahnung,
was Sehen bedeutet,
ein Wald ohne Bäume, die Vorzugsausgabe eines Nachmittags

Wind im Zickzack durch die Biographien, Waffenstillstand
der Logik, wenn Argumente ein Stück
Morgenfarbe annehmen

Was soll ich noch alles fingieren?
Sehen ist der Nachgeschmack eines Lächelns auf den Lippen.

16.09.2004 10:25:07 

Jungbrunnen


Gedanken, als Münzen in die Gebrechlichkeit geworfen, versprechen Glück. Die gebrochenen Glieder heilen auf Kosten derer, die ihre Aufgabe übernehmen. Schonhaltung heißt, die Macht des Körpers hinzunehmen, eine Form aus Zufall. Jede Geburt ist relativ. Zu Herzen genommen ist Gesundheit ein Mechanismus kurz vor dem Ausfall, ein bedächtiger Zweck. Du bist krank, sagt die Vernunft; aber niemand weiß es, solange ich Vorzüge lecke wie Wunden.

07.09.2004 09:53:14 

Drei Arten


von Traumaopfer gibt es, las ich neulich, die sogenannten Selbstheiler, dann die Wechsler und schließlich die Risikopersonen. In welche Kategorie man gegebenenfalls gehört, läßt sich nicht voraussehen. Die mental Stärksten sind oft gar nicht die, die den Schlag gut wegstecken. Vieles hängt davon ab, ob man das Unglück wie einen Film erlebt, halluzinatorisch; das sei schlecht. Schlimmer noch, danach nicht gut versorgt zu werden, von Ärzten, Helfern Familie. Wechsler fallen erst nach einem neuerlichen Erlebnis ins Trauma, weil es nun zuviel des Guten ist. Sie werden dann Risikopersonen, deren Verarbeitungsfähigkeit gar nicht oder kaum vorhanden ist. Sie wandeln oft jahrelang zombieartig durch die Gegend, im Dauerschock. Warum wirkt sich das Visuelle so doll aus? Ein chemischer Vorgang im Hirn? Möglich, Traumata nur durch Bilder auszulösen ohne Erlebnis? Ich stieß das Tor zur Hölle auf

20.08.2004 14:26:19 


Der Text wurde autorisiert gelöscht am 16.06.2005 11:00:17.

22.07.2004 17:46:00 

Beginn und Ende einer Schreibkrise


Der vom Tisch
gefegte
Stapel, aufgeschlagene

Bücher mit
sirrenden
Seiten, K.o.-

libri.

14.07.2004 08:40:32 

Modellathlet


Mein Tribut an diesen Herbstsommer ist etwas Unerwartetes. Ich denke an den Tod meines Vaters. Nicht überrascht zu wissen, daß er stirbt, muß ich ihm die Zeit lassen, die er braucht. 20 Jahre sind nicht einmal viel. Wer weiß. Seit kurzem werde ich selbst älter; als habe ein Schalter sich umgelegt, rotiere ich jetzt langsamer. Das sind Nuancen, und darum geht es. Das Bild, das ich abgebe, sehe ich in einem Spiegelkabinett, mal breiter, dann gestaucht, schmal wie ein Strich, bloß mit Kopf und Füßen, als malte ein Zweijähriger, Zerrspiegel. Starke Mutter, schwacher Vater, heißt es, sei der Komplex der jüngerer Männer in dieser Gegenwart. Konflikte müßten nicht ausgestanden, sondern künstlich gesucht werden. Niemand habe noch den Vater zu morden, weil er naturgemäß bereits überwunden sei. Ich glaube das nicht. Vielleicht muß man, um ein Mensch zu werden, das Alte aufnehmen, auswerten, dann abwerfen und als Ego weitermachen. Vielleicht ist es aber genauso A. schlau, B. interessant, C. unerhört, dem Spiegel Modell zu stehen, notieren zu lassen, was er fähig oder bereit ist aufzuzeichnen und zurückzugeben. Väter zeigen selten Größe auf der Bildfläche Sohn.

Momentaufnahme von etwas in heftiger Bewegung

03.07.2004 20:21:35 

XI


Die Sache wird kritisch,
nichts zu tun, ohne es zu machen.
Schauen als Beschäftigung
trägt weiter, als ich glaube.
Der Blick prägt das Ding,
nie umgekehrt. Noch skeptisch?
Letzter Dienst an Augenmenschen:
Lächeln (wenn ich mal sterbe).

26.06.2004 08:23:12 

X


Bild, Körper, Sprache –
wird da was verwechselt?
Was mich wach hält,
ist nicht nur meine Sache.
Sehen ist höchste Instanz
der Sinne. Auf der Rückseite
von Fotos steht leere Weite;
als Ausblick oder Bilanz.

(Bonus und Schluß folgen)

25.06.2004 10:32:33 

IX


Sagte ich da was von
Liebe? Ich meinte Synkopen.
Alle Nichtereignisse, Garçon,
sind rhetorisch, Tropen
oder schicke Metaphern,
die um Zuwendung buhlen.
Herzrasen ist Zeitraffer,
um Bildungslücken zu überspielen.

24.06.2004 09:10:10 

VIII


Höchste Zeit für das Wort
Herz. Sommeranfang.
Ich bin Chronist, Sport
hält mich wach. Trotzdem
entging mir das Gehen.
Beweggrund ist Bewegungsdrang.
Ich kann´s nicht einsehen:
Brust als geschlossenes System.

23.06.2004 08:43:07 

VII


Schafskälte – man friert
vor allem so innerlich.
Eine Dienerstimme offeriert
Demütigung und Verschleiß:
„Denken ist jämmerlich;
geh mal aus dir heraus“.
Sinn von Sätzen, die blöken,
ist, na ja, sich abzutöten.

22.06.2004 08:47:46 

VI


Beim Scannen der Zeitungs-
seiten fiel mir auf:
Sinn ist nie ausschließlich,
sondern aufgepfropft: Meinung
setzt Nachrichten eins drauf.
Von mir selbst weiß ich
vieles wie von anderen Wesen.
Ich bin bloß angelesen.


(Noch vier (Tage))

21.06.2004 09:40:31 

V


Einsicht kommt selten
allein: „ich war gerade
in der Nähe“. Muß
nicht auch der Schluß
in Umkehrung gelten?
Dazusein – dein Schaden.
Das Gedicht, ein Werbespot,
unterbricht den Plot.

20.06.2004 08:57:22 

IV


Statt Fotos von Geliebten:
Orte auf den paar Euro-
Scheinen im Portemonnaie.
Keine bebilderten
Menschen, sondern teure
Erinnerung, wechselndes Personal.
Tut es so weniger weh?
Man liebt und bezahlt.

19.06.2004 10:46:08 

III


Jede Aufnahme entlarvt
den Betrachter. Kopf oder Fuß
abgeschnitten, unscharf,
inszeniert oder Schnappschuß -
mit geteiltem Interesse
hocken wir überm Album.
An Erinnerung das beste:
Sie weiß, aber stellt sich dumm.

18.06.2004 08:37:59 

II


Fotos sind alle gleich
groß - egal wie das Motiv.
Ob der Blick weit reicht,
etwas verkennt, schief
ist oder am Ding hängt: Ein Verdacht
liegt nahe; nach Norm,
9 mal 13, ist Ansicht
eine Verkleinerungsform.

17.06.2004 09:19:41 

Laufpaßfotos


I

Wenn ich sage, ich liebe,
dann meine ich doch
nicht: weil nichts übrigbliebe,
das zwei Körper noch
mit sich zu besprechen
hätten. Erst die Fakten,
dann, abends, streichen
wir Verspannung aus dem Nacken.

16.06.2004 09:15:07 

Fluchtwege


Was ist die Form, die man hat? Ich stand an der Startlinie und kannte sie nicht. Mein letztes Rennen lag bis Februar zurück. Ich versuchte damals meinen Bruder abzuhängen, zog am Hang an, verlor ihn auch, er rollte am folgenden Abstieg wieder heran, obwohl ich das Tempo noch einmal angezogen hatte. Sein, ein, Atem ging keuchend hinter mir, ich sah mich nicht um, wußte aber, daß er es war. Der klare Nordwinter hatte seinen schönsten Tag, Frost und stillstehende Luft. Ein graugrünes Land, über das die Sonne mit flachen Strahlen hinwegstrich. Danke. Jetzt dies. Ich rechnete die zwei Runden zusammen und kam auf zehn Kilometer. Zehn, das heißt ... und ich spielte an meiner Techno-Uhr, um eine Durchschnittszeit auszurechen, die mich auf ein unberechenbares Ende bringen sollte. Der Startschuß ließ mein Herz einen Sprung machen, dann hasteten wir los, langsam, aber wahrscheinlich sicher. Kennen die anderen ihre Form, dachte ich und lief neben dem Ersten als Anderthalbster über die Aschebahn, dann aus dem Stadion, aus dem Ort in die Umgebung. Die Gerste schimmert jetzt gelblich. Die Grannen sind steil aufgerichtet. Es gibt so viele Hasen wie lange nicht, da meckert ein Eichelhäher, oder war´s das Lachen vom Grünspecht. Die bleiben langsam, dachte ich und zog etwas an. Was sie vorhätten, fragte ich. Nur durchkommen, antwortete der Schlacks neben mir – morgen stünde eine Meisterschaft an, er schone sich heute. Danke. Nach fünf Kilometern passierten wir das Stadion, rannten weiter, noch mal an der Gerste vorbei, diesmal war´s Weizen, eine Hase faltete sich auf dem Feld zusammen; Meckern, Lachen lag im Atem der Truppe hinter uns. Die Ersten schwitzten und schimpften. Noch zwei Kilometer, ich zog ab und nahm den Meister von morgen mit, wir redeten ein bißchen, und sonst, muß ja, solche Sachen. Auf der Zielgeraden überholte er mich und sprintete die letzten zehn Meter ins Ziel, sechs Minuten über seiner üblichen Zeit. Was schrieb die Zeitung danach: HR, ein lupenreiner Außenseiter. Das gefiel mir. Die Form ist makellos trotz der Schwächen.

09.06.2004 08:35:19 

Anathematisch


Wachte heute auf und wußte ganz genau, wo ich war.

Im Traum stand ich vor einer Auslage, in der Unterwäsche blühte.

Die Blumen im Ort sahen aus, als seien sie in ihre Kübel genagelt worden.

Nach dem Regen fiel das Efeu von der Wand; als eine dicke verfilzte Matratze lehnte es am Haus. In den Büschen ringsum lärmten die Jungvögel, die es aus den Nestern geschleudert hat.

Ein horizontales Gedicht.

Gut zu wissen?

01.06.2004 08:06:43 

Schnappschuß


Der Himmel ist bedeckt, was atmet,
leidet, sagte wer? Im Radio
kam später die Warnung vor dem Stau
an dieser Stelle. Du sagst, schau
nicht hin, aber ich sehe an dir vorbei. Video
heißt, was denkbar ist, wird nachgeahmt
von Körpern im Raum. Am Steuer
sitzt noch einer, jetzt auf der Gegenbahn –
den Blick zurück auf weitere Gaffer,
die schleppend am Motiv vorüberfahren.
Ich sehe bloß und spüre Reue,
wenn das geht, für den medialen Zeitraffer,
von Ding zu Bild und zu Gefühlen
in nur Sekunden. Ich muß Luft holen.

Pfingstverkehr

29.05.2004 16:09:31 

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