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Essay
Heinrich Heine - Erfinder der modernen Liebe
Den anderen ist die Natur Kulisse; der tatsächlich Liebende kann sie nicht mehr ertragen, sie weckt nur die Erinnerung an eine Empfindungsfähigkeit, die vergessen werden soll. (Diese lyrische Einsicht trennt das aufrichtige Stadtkind Heine von seinen unselbständigen Kollegen, die ihre Liebesgefühle in bukolische Bilder kleiden, selbst wenn sie privat auf der Recamiere leiden.) Denn deren Existenz bedeutete Schmerz; nun aber ist das Subjekt durch seine Leiden mit dem Schmerz schon so verbunden, dass dessen Aufhören nur als Absterben vorstellbar ist - als Absterben nicht nur der Empfindung und der Empfindungsfähigkeit, sondern als Absterben der Person. Die erste große Liebe ist ja auch deshalb dem Unglücklichen so gefährlich, weil sie mit der Entdeckung der Persönlichkeit einhergeht: Man will kein anderer mehr werden, nicht einmal ein Ärmerer an Schmerz. "Ich sehe jetzt ein", schrieb Heine in einem Brief aus dieser Zeit, "daß die Menschen Narren sind, wenn sie über große Schmerzen klagen. Der Schmerz ist nicht so groß, aber die Brust, die ihn beherbergen soll, ist gewöhnlich zu eng."
Viel später, als "alles vorbei war", schrieb der Dichter ein Gedicht auf jene Art von Liebe, die meist eine Krankheit der Jugend ist: die Entdeckung eines Gefühls, das sich souverän zu seinem Objekt verhält wie zu seinem Subjekt - eine Empfindung, die herrscherlich und zufällig, absolutistisch und zerstörend ist, ein rein narzisstisches Unglück. Er schrieb diese vierstrophige kleine Ballade in jener perfekten Metrik, die er sich als Student bei seinem berühmten Lehrer August Wilhelm Schlegel angeeignet hatte: Die Philologie, eine im deutschen Sprachraum tote Wissenschaft, war von den Romantikern wieder entdeckt worden und zu einer einmaligen Höhe getrieben. Heine hat die Motive der Romantik mit Skepsis zitiert, manchmal verballhornt; seine subtile Sprachtechnik aber verdankt er der Textarbeit dieser Epoche. Deren Ergebnisse lassen alle Ansprüche des Reimens hinter sich; Rhythmus und Klang allein erzeugen die Schönheit eines vollkommenen Gedichts, die Dynamik in den Zeilen lässt den arglosen Leser einen Reim annehmen wie in den besten Gedichten der Anakreontik. Das Thema der Liebe findet seine formale Entsprechung in einem totalen Gedicht.
Der Asra
Täglich ging die wunderschöne
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.
Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Waser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.
Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimat, deine Sippschaft!
Und der Sklave sprach: Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.
Heine als Dichter der Liebe - das umfasst die Innigkeit und auch ihr Gegenteil. Er kann Gedichte schreiben, die in ihrer Schlichtheit zu Herzen gehen und so unmittelbar wirken, dass man sie nicht vergisst. Er kann, naiv und treu, den Bänkelsänger seines Gemüts und seiner Sprache geben, natürlich, unverbildet, ein Hirte tiefer, singender Gefühle. Aber er kann auch mit Ironie sich selbst zitieren, die Fertigsprache seiner Zeit, die abgelebten Bilder, die er soeben noch selbst gebrauchte und noch einmal zu beglaubigen schien: Das Fräulein stand am Meere / Und seufzte lang und bang. / Es rührte sie so sehre / Der Sonnenuntergang. // Mein Fräulein! sein Sie munter, / Das ist ein altes Stück; / Hier vorne geht sie unter / Und kehrt von hinten zurück.
Er ist, als Dichter, auf vitale Weise unzuverlässig: Aus einer Stimmung aufgewacht, kann er ihrer sofort überdrüssig werden; vor fünf Minuten vielleicht war es noch der rote Sonnenuntergang, der ihn in der Seele berührte, jetzt ödet ihn die Sache an, und er schreibt über diese Empfindsamkeit einen zynischen Achtzeiler. Der so durchdringend und nachhaltig im Gedächtnis ist, dass er von nun an jeden lyrischen Sonnenuntergang kommentiert. Doch "trotz meiner exterminatorischen Feldzüge gegen die Romantik", wendete er gegen die Vorwürfe ein, er sei ein Held der Pose, "blieb ich doch immer ein Romantiker (...). Mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik, von mir eröffnet ward."
Viel später, als "alles vorbei war", schrieb der Dichter ein Gedicht auf jene Art von Liebe, die meist eine Krankheit der Jugend ist: die Entdeckung eines Gefühls, das sich souverän zu seinem Objekt verhält wie zu seinem Subjekt - eine Empfindung, die herrscherlich und zufällig, absolutistisch und zerstörend ist, ein rein narzisstisches Unglück. Er schrieb diese vierstrophige kleine Ballade in jener perfekten Metrik, die er sich als Student bei seinem berühmten Lehrer August Wilhelm Schlegel angeeignet hatte: Die Philologie, eine im deutschen Sprachraum tote Wissenschaft, war von den Romantikern wieder entdeckt worden und zu einer einmaligen Höhe getrieben. Heine hat die Motive der Romantik mit Skepsis zitiert, manchmal verballhornt; seine subtile Sprachtechnik aber verdankt er der Textarbeit dieser Epoche. Deren Ergebnisse lassen alle Ansprüche des Reimens hinter sich; Rhythmus und Klang allein erzeugen die Schönheit eines vollkommenen Gedichts, die Dynamik in den Zeilen lässt den arglosen Leser einen Reim annehmen wie in den besten Gedichten der Anakreontik. Das Thema der Liebe findet seine formale Entsprechung in einem totalen Gedicht.
Der Asra
Täglich ging die wunderschöne
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.
Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Waser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.
Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimat, deine Sippschaft!
Und der Sklave sprach: Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.
Heine als Dichter der Liebe - das umfasst die Innigkeit und auch ihr Gegenteil. Er kann Gedichte schreiben, die in ihrer Schlichtheit zu Herzen gehen und so unmittelbar wirken, dass man sie nicht vergisst. Er kann, naiv und treu, den Bänkelsänger seines Gemüts und seiner Sprache geben, natürlich, unverbildet, ein Hirte tiefer, singender Gefühle. Aber er kann auch mit Ironie sich selbst zitieren, die Fertigsprache seiner Zeit, die abgelebten Bilder, die er soeben noch selbst gebrauchte und noch einmal zu beglaubigen schien: Das Fräulein stand am Meere / Und seufzte lang und bang. / Es rührte sie so sehre / Der Sonnenuntergang. // Mein Fräulein! sein Sie munter, / Das ist ein altes Stück; / Hier vorne geht sie unter / Und kehrt von hinten zurück.
Er ist, als Dichter, auf vitale Weise unzuverlässig: Aus einer Stimmung aufgewacht, kann er ihrer sofort überdrüssig werden; vor fünf Minuten vielleicht war es noch der rote Sonnenuntergang, der ihn in der Seele berührte, jetzt ödet ihn die Sache an, und er schreibt über diese Empfindsamkeit einen zynischen Achtzeiler. Der so durchdringend und nachhaltig im Gedächtnis ist, dass er von nun an jeden lyrischen Sonnenuntergang kommentiert. Doch "trotz meiner exterminatorischen Feldzüge gegen die Romantik", wendete er gegen die Vorwürfe ein, er sei ein Held der Pose, "blieb ich doch immer ein Romantiker (...). Mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik, von mir eröffnet ward."