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Essay
Heinrich Heine - Erfinder der modernen Liebe
Der erotische Erfahrungsschatz des Dichters Heine ist schwer zu schätzen. Wahr aber ist, dass Heine all den Spielarten der Liebe Ausdruck gab in seiner Poesie, die bis dahin (und nach ihm sehr lange Zeit wieder) nicht literaturfähig waren: das Erkennen der Anziehung in einem Augenblick, das Suchen nach der Gelegenheit, das Warten aufeinander und die erfüllte Seligkeit. Aber eben auch die trübe Seite des Mondes, die Vergänglichkeit der Liebe, die Langeweile und die abgestandene Rührung, das müde Erinnern, sogar der kleinliche Profit, den das frivole Gedächtnis aus seiner Vergangenheit zieht. Und Heine gönnt die Erfahrung Mann und Frau. Es sind in seinem Werk nicht nur die Marketenderinnen, die erotische Anziehung fühlen, Avancen machen, sich mit Selbstbewusstsein präsentieren: Es sind die Frauen und Damen seiner Gesellschaft, die Briefe schreiben, Liebhaber empfangen - und ihnen den Abschied geben. Er ist meines Wissens der Erste, der einer Geliebten das lyrische Recht gibt, Schluss zu machen mit einem Mann: aus eben dem Überdruss aneinander, der sonst nur dem Liebhaber zugeschrieben wird: Schaff mich nicht ab, wenn auch den Durst / Gelöscht der holde Trunk; / Behalt mich noch ein Vierteljahr, / Dann hab auch ich genug. // Kannst du nicht mehr Geliebte sein, / Sei Freundin mir sodann; / Hat man die Liebe durchgeliebt, / Fängt man die Freundschaft an.
Das allgemeine Übelnehmen, das Heine zeitlebens ertragen musste und das bis heute seinen Rang herabsetzt, war vermutlich ein Dreifaches. Einerseits bezog es sich auf seine - vermeintlichen, vermuteten - erotischen Erfahrungen; zum zweiten auf den lyrischen Gewinn, den er daraus beständig zog (unter unnachgiebiger Betonung der trivialen Aspekte der Liebe); drittens kommt jene saure Empörung hinzu, die sich einstellt, wenn einer seine Strafe nicht demütig trägt, sondern ihr trotzt. Und nur mit dem Schöpfer, so unter Kollegen, die wichtigen Dinge bespricht.
Das Hohelied
Des Weibes Leib ist ein Gedicht,
Das Gott der Herr geschriebenI
ns große Stammbuch der Natur,
Als ihn der Geist getrieben.
(...)
O welche göttliche Idee
Ist dieser Hals, der blanke,
Worauf sich wiegt der kleine Kopf,
Der lockige Hauptgedanke!
Der Brüstchen Rosenknopsen sind
Epigrammatisch gefeilet;
Unsäglich entzückend ist die Zäsur,
Die streng den Busen teilet.
Den plastischen Schöpfer offenbart
Der Hüften Parallele;
Der Zwischensatz mit dem Feigenblatt
Ist auch eine schöne Stelle.
(...)
Versenken will ich mich, o Herr,
In deines Liedes Prächten;
Ich widme seinem Studium
Den Tag mitsamt den Nächten.
Ja, Tag und Nacht studier ich dran,
Will keine Zeit verlieren;
Die Beine werden mir so dünn -
Das kommt vom vielen Studieren.
Das kam schon aus der Matratzengruft, wo aus dem Materialisten des Lebens einer des Sterbens wurde: ein Krüppel, dazu verurteilt, neben der blühenden Mathilde, seiner letzten Geliebten und Frau, zu siechen. Trotzdem bestand er darauf, dass Gott "in unseren Küssen ist" - die christliche Fleischesverdammung machte der jüdische Dichter nicht mit.
Die getreuliche, genaue Beschreibung eines ganzen Kosmos macht Heines Liebeslyrik einzigartig. Er hat nicht nur die Raserei der Liebe, die stille Sehnsucht und die Fleischeslust, ihre Vergesslichkeit und ihre Zähigkeit beschrieben. Er hat, nicht ohne Trotz, auch die Gemütlichkeit verteidigt. Gesundheit nur und Geldzulage / Verlang' ich, Herr! O laß mich froh / Hinleben noch viel schöne Tage / Bei meiner Frau in statu quo. Fester als seine Zeitgenossen hat er darauf bestanden, dass die Liebe, nach allen Projektionen, ein sinnliches Vergnügen ist, ein Alltagsrausch und ein irdisches Paradies. Keine Spur von Selbstverachtung ist da zu lesen, wenn Küsse statt Worte die Lippen beschäftigen, und keine Spur von jener Weibsverachtung, die das bürgerliche Hohelied so oft durchzieht.
Bei Heine sind die Frauen erstmals selbstbestimmte Wesen, die nicht nur Ja sagen oder in Ohnmacht sinken, sich träumend und sehnend verzehren oder kaltlächelnd den Abschied geben: Sie spenden und empfinden Lust, verfügen über Gefühle und werden von diesen verfügt, sie stürzen sich in ihre Abenteuer, wählen mit Selbstbewusstsein ihre Liebespartner, sie haben Magen und Herz, sind aus Fleisch und Blut und durchaus dem Manne ebenbürtig. Aus Puppen sind Menschen geworden, aus stummen Projektionen unberechenbar Handelnde. Heine hat außerdem das Glück geschätzt, das seine Ehefrau ihm gab, und keinerlei Hinweis ist zu finden, dass er sein Selbstgefühl auf ihrem rund werdenden Rücken jemals erhöhen musste. Er hat, im Gegenteil, die konventionelle, verächtliche Scheidung zwischen der holden Gattin, deren Selbstopferung mit Respekt und gelangweilter sexueller Verachtung honoriert wird, und der Geliebten, die Fleisch ohne Würde ist, nicht mitvollzogen: In dieser Hinsicht war er eben nicht frivol. Weil er sein eigenes Begehren nicht geringschätzte, musste er seine Objekte der Begierde nicht verachten, und weil sein Selbstgefühl die Unterstützung einer Gemahlin nicht brauchte, konnte er sich einen Bettschatz leisten, ohne ihn dafür zu demütigen.
Das allgemeine Übelnehmen, das Heine zeitlebens ertragen musste und das bis heute seinen Rang herabsetzt, war vermutlich ein Dreifaches. Einerseits bezog es sich auf seine - vermeintlichen, vermuteten - erotischen Erfahrungen; zum zweiten auf den lyrischen Gewinn, den er daraus beständig zog (unter unnachgiebiger Betonung der trivialen Aspekte der Liebe); drittens kommt jene saure Empörung hinzu, die sich einstellt, wenn einer seine Strafe nicht demütig trägt, sondern ihr trotzt. Und nur mit dem Schöpfer, so unter Kollegen, die wichtigen Dinge bespricht.
Das Hohelied
Des Weibes Leib ist ein Gedicht,
Das Gott der Herr geschriebenI
ns große Stammbuch der Natur,
Als ihn der Geist getrieben.
(...)
O welche göttliche Idee
Ist dieser Hals, der blanke,
Worauf sich wiegt der kleine Kopf,
Der lockige Hauptgedanke!
Der Brüstchen Rosenknopsen sind
Epigrammatisch gefeilet;
Unsäglich entzückend ist die Zäsur,
Die streng den Busen teilet.
Den plastischen Schöpfer offenbart
Der Hüften Parallele;
Der Zwischensatz mit dem Feigenblatt
Ist auch eine schöne Stelle.
(...)
Versenken will ich mich, o Herr,
In deines Liedes Prächten;
Ich widme seinem Studium
Den Tag mitsamt den Nächten.
Ja, Tag und Nacht studier ich dran,
Will keine Zeit verlieren;
Die Beine werden mir so dünn -
Das kommt vom vielen Studieren.
Das kam schon aus der Matratzengruft, wo aus dem Materialisten des Lebens einer des Sterbens wurde: ein Krüppel, dazu verurteilt, neben der blühenden Mathilde, seiner letzten Geliebten und Frau, zu siechen. Trotzdem bestand er darauf, dass Gott "in unseren Küssen ist" - die christliche Fleischesverdammung machte der jüdische Dichter nicht mit.
Die getreuliche, genaue Beschreibung eines ganzen Kosmos macht Heines Liebeslyrik einzigartig. Er hat nicht nur die Raserei der Liebe, die stille Sehnsucht und die Fleischeslust, ihre Vergesslichkeit und ihre Zähigkeit beschrieben. Er hat, nicht ohne Trotz, auch die Gemütlichkeit verteidigt. Gesundheit nur und Geldzulage / Verlang' ich, Herr! O laß mich froh / Hinleben noch viel schöne Tage / Bei meiner Frau in statu quo. Fester als seine Zeitgenossen hat er darauf bestanden, dass die Liebe, nach allen Projektionen, ein sinnliches Vergnügen ist, ein Alltagsrausch und ein irdisches Paradies. Keine Spur von Selbstverachtung ist da zu lesen, wenn Küsse statt Worte die Lippen beschäftigen, und keine Spur von jener Weibsverachtung, die das bürgerliche Hohelied so oft durchzieht.
Bei Heine sind die Frauen erstmals selbstbestimmte Wesen, die nicht nur Ja sagen oder in Ohnmacht sinken, sich träumend und sehnend verzehren oder kaltlächelnd den Abschied geben: Sie spenden und empfinden Lust, verfügen über Gefühle und werden von diesen verfügt, sie stürzen sich in ihre Abenteuer, wählen mit Selbstbewusstsein ihre Liebespartner, sie haben Magen und Herz, sind aus Fleisch und Blut und durchaus dem Manne ebenbürtig. Aus Puppen sind Menschen geworden, aus stummen Projektionen unberechenbar Handelnde. Heine hat außerdem das Glück geschätzt, das seine Ehefrau ihm gab, und keinerlei Hinweis ist zu finden, dass er sein Selbstgefühl auf ihrem rund werdenden Rücken jemals erhöhen musste. Er hat, im Gegenteil, die konventionelle, verächtliche Scheidung zwischen der holden Gattin, deren Selbstopferung mit Respekt und gelangweilter sexueller Verachtung honoriert wird, und der Geliebten, die Fleisch ohne Würde ist, nicht mitvollzogen: In dieser Hinsicht war er eben nicht frivol. Weil er sein eigenes Begehren nicht geringschätzte, musste er seine Objekte der Begierde nicht verachten, und weil sein Selbstgefühl die Unterstützung einer Gemahlin nicht brauchte, konnte er sich einen Bettschatz leisten, ohne ihn dafür zu demütigen.