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# 007
IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 007). Zu Gast: Sabina Lorenz
Juli 2013
Der Fülle des lyrischen Textes steht die besonders hingegebene Lektüre gegenüber. Wie es den Text zu neuen, erleuchtenden Wortverbindungen treiben kann, wenn er sich den Spielen, Zwängen und Anforderungen eines lyrischen Einfalls hingibt, so kann auch die Lektüre durch Beschränkung in neue Richtungen wachsen: und an Aufmerksamkeit gewinnen, wenn die Sicherheit gewohnter Fangnetze fehlt. In dieses Wagnis will sich die Reihe Augenschein begeben, indem sie im Gespräch mit Lyrikern über Lyrik Namen und Titel verdeckt. Der blinde Fleck über dem Namenszug der Autoren soll einen freieren Blick auf das erlauben, was die Signatur ihrer Texte ausmacht. Da geht es um Stile, mehr als um Inhalte; gerade deshalb geht es um Beobachtungen und nicht um Wertungen. Kein Quiz, sondern ein Spiel, dessen Regeln sich im Moment erst formen. Nur das Material ist gegeben und älter als wir. Wir bleiben familiär, wir wollen spazieren, die Augen, Ohren und Hirne weit aufsperren. Deutlichkeit und Lösung können dabei selbstverständlich nicht in unserem Interesse liegen.
Sabina Lorenz, 1967 in München geboren, studierte Sozialpädagogik in London und in ihrer Heimatstadt, wo sie heute als Autorin lebt. Nach ihren beiden Lyrikbänden "Echos für eine Nacht" (2010) und "Die Fremde ist ein Ort" (2007), beide in der Lyrikedition 2000 erschienen, legte sie 2011 den Roman „Aufhellungen“ im Verlag P. Kirchheim vor. Im selben Jahr erhielt sie den Förderpreis des Stuttgarter Schriftstellerhauses. Sie zählte bis 2009 zu den Herausgebern der „außer.dem“, die zu den besten und wagemutigsten Literaturzeitschriften im Süden Deutschlands zählt.
In wiefern spielt Sammeln und Beobachten eines Rolle für die Lyrik? Könnte man sagen, dass sich etwa in verschiedenen Jahreszeiten verschiedene Schreibweisen einstellen, ein anderer Ton ergibt?
Ganz bestimmt spielt die Außenwelt eine große Rolle für meine Texte, für die meisten zumindest. Andere Beobachtungen erzeugen andere Bilder und dadurch auch andere Stimmungen. Die Art und Weise, wie ich schreibe, bleibt davon aber unabhängig. Es ist ja schwer zu sagen, ob sich ein Stil mit dem Inhalt entwickelt oder umgekehrt, ob ein bestimmter Sound, der mir im Kopf herumspukt, den Inhalt festlegt oder umgekehrt. Zudem würde ich behaupten, dass ich unterschiedliche Herangehensweisen oder Stile zur Verfügung habe, die sich mit dem entwickeln, was ich sagen möchte. Auch wenn es mir natürlich oft genug passiert, dass ich erst am Ende selbst erkenne, was mir das Gedicht überhaupt sagen will. Mit dieser Erfahrung bin ich, denke ich, nicht allein. Dazu kommt dann noch das Moment der Auswahl dessen, was in der Schublade verschwinden soll. Ich habe sehr viele Schubladen (lacht). Die füllen sich mit Texten, die nirgends hinzugehören scheinen, die nicht zu dem passen, was man davor oder danach geschrieben hat. Das hat dann meist mit dem Sound zu tun.
Ist also die Selbstüberraschung im Schreiben eher eine Sache des Stils als des Inhalts?
Naja, Inhalte – es gibt ja diesen Satz, dass man immer da gleiche Gedicht schreibt. (lacht) Ich für meinen Teil habe immer das Bedürfnis, noch etwas Neues auszuprobieren, noch eine neue Schreibweise, um näher an etwas heranzukommen. Das ist das Spielfeld der Versuche. Mit verschiedenen Stilen umkreise ich dann – etwas Nebulöses, Atmosphärisches. In verschiedenen Stilen schlägt sich dann der Versuch nieder, dem noch näher zu kommen, es noch besser greifen zu können, verschiedene Facetten davon ausdrücken zu können. Wer hat denn das noch mal gesagt, dass man sein Leben lang das gleiche Gedicht schreibt? Ich weiß es nicht mehr, aber den Satz finde ich ziemlich treffend.
Und wenn dieses eine Gedicht tatsächlich einmal geschrieben ist?
Dann fängt man natürlich wieder von vorne an und schreibt es noch mal oder bemerkt, dass es doch nicht so gut war. (lacht) In dieser Richtung gibt es ja viele Maximen, manche davon recht pathetisch. Ob mit dieser Rede vom einzigen Gedicht aber behauptet wird, dass es wichtiger ist, was gesagt wird, als wie es gesagt wird? Am Ende geht es doch darum, dass beides zusammenstimmt. Denn beides bestimmt ja, wie das Gedicht beim Leser ankommt, beide bestimmen, was es auslöst. Letztendlich zählt das. Ich denke, dass alle Dichter das Bedürfnis haben, andere zu berühren. Das ist die ganze Kunst, andere Menschen zu erreichen. Und da geht es dann schon hauptsächlich um das Wie, um den Stil.
Rein inhaltlich kommt ein Kunstwerk ja selten an das tatsächliche Leben heran. Aber ich glaube trotzdem, dass es möglich ist. Sie?
Ich frage mich in diesem Zusammenhang manchmal Folgendes: Es gibt Gedichte, die zum völligen Kitsch verkommen sind, weil jeder Depp sie in den furchtbarsten Lebenslagen tausendmal zitiert. „Der Panther“ von Rilke zum Beispiel. Warum ist das so, warum kann man es nicht mehr hören? Denn im Grunde ist das ein verdammt gutes Gedicht. Zu gut vielleicht, in diesem Sinne – dann ist es zum Blockbuster geworden. Wie all diese Kalenderzitate. Vielleicht wird da genau eine existenzielle Erfahrung in völlig durchschlagender, eingängiger Weise ausgedrückt. Das sind auch die Texte, an denen schon in der Schule die Korrespondenz von Stil und Inhalt gelehrt wird. Mit dem Ergebnis, dass man diese Texte gar nicht mehr richtig liest, weil man sie schon davor so satt hatte.