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# 007
IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 007). Zu Gast: Sabina Lorenz
Apokalypse, Nordzucker, neidlose Schafe
vor dürren Weißdornhecken,
wie mit Sütterlinschrift hingekrakelt
auf die abgefressene Schautafel Natur.
Und ein Lächeln, das mir die Worte stiehlt
vor Hamburg. Die Herkunft verschwimmt
in den vergangenen Katastrophen,
die angeblich kostengünstiger waren
als das andauernde Elend. Kaffee,
Bockwurst mit Brötchen, ein Seminar
über die schiefe Ebene für Schlauberger
und andere Optimisten, Schulstoff für Attentäter.
Und endlich das Wasser, die See,
geteert und gefedert, die bucklige Krümmung,
wie eine Klammer um all das Gesagte,
um die unangemessenen Wörter für Glück.
Krass. Schön. Ich weiß nicht genau, was ankommt, aber es kommt an. Gleich der Einstieg mit „Apokalypse“, das ist schon heftig, ein harter Schnitt. Das Gedicht fällt mit dem Ende der Dinge ins Haus. Da muss irgendetwas ganz Fürchterliches passiert sein, und plötzlich kommen dann diese „neidlosen Schafe“, Schafe, die keine Eifersucht kennen. Das Gedicht setzt in meinen Augen immer wieder sehr schwere Akzente: nach den „Apokalypsen“ dann die „Katastrophen“, der „Schulstoff für Attentäter“. Es entsteht eine eigentümliche Balance zwischen diesen schweren Gewichten und den relativ beiläufigen Beobachtungen, „Weißdornhecken“ und „Bockwurst“ etwa. Stilistisch ist das eine Aufzählung. Es entsteht der Eindruck eines Spaziergängers im Hamburger Hinterland, irgendwo. Sehr unaufgeregt, sehr prosaisch. Auch die Zeilenbrüche sind für mich Atempausen in der Aufzählung. Die „Sütterlinschrift“ passt da irgendwie überhaupt nicht hinein – wieso denkt jemand an Sütterlin? Das erscheint mir als ein Fremdkörper, vor allem da es als Vergleich erscheint und nicht als Beobachtung etwa eines alten Schildes.
Die Gegenwart scheint unaufgeregt, die Bedrohung kommt aus der Vergangenheit?
Das lyrische Ich läuft herum – und entweder die Katastrophe ist vergangen oder, und das scheint mir dem Wortlaut entgegen wahrscheinlicher, die Katastrophe dauert noch an und das Ich muss mit ihr fertig werden. Vor allem das Wort „neidlos“ bringt Unruhe hinein, das ist ein Stil der Negation. Denn ich vermute nicht, dass sich das Ich selbst als Schaf begreift, und also schwingen da Verlust oder Mangel mit, Eifersucht vielleicht. Und da ist das „Elend“. „ein Seminar / über die schiefe Ebene für Schlauberger / und andere Optimisten“, ich glaube, das Elend ist noch nicht vorbei. (lacht) Je länger ich das ansehe, desto mehr denke ich bei der „Apokalypse“ an eine Kommunikationsapokalypse. Was aber kann es heißen, dass die Wörter für Glück nicht angemessen sind? Das Umschreiben funktioniert nicht mehr. Wie kommt das Gedicht bei mir an? Was kommt an? Inhaltlich bekomme ich ein Gefühl von Beziehungskrieg. Etwas hat den Boden unter den Füßen weggezogen, aber es dauert noch an: die Apokalypse steht am Beginn und die Ebenen sind schief. Die anderen sind Optimisten, aber das stimmt alles nicht. Ich denke, dass das Gedicht für mich so gut funktioniert, hat mit dieser Beiläufigkeit bei aller Schwere zu tun. Die Landschaft liegt ruhig da, aber gleichzeitig ist da diese irrsinnige Bedrohung. Das wird alles sehr lapidar festgestellt, „hingekrakelt“. Zugleich geht es sehr viel um Worte selbst.
In dem Sinne, dass auch dieses innere Monologisieren plötzlich unangemessen geworden ist?
Ja, es könnte ja auch der innere Monolog sein, der gestohlen worden ist, der nicht mehr stattfinden kann. Aber die Gewalttätigkeit ist auch in der äußeren Welt, in der See, die geteert und gefedert wurde. Das ist ein sehr starkes Bild! Diese Gewalttätigkeit wird auch über die wohlkalkulierten Stilbrüche zwischen Apokalypse und Bockwurst hinweg durchgehalten. Da geht es überall, knapp unterhalb der Worte, um Bestrafung, Amok, Richtungslosigkeit. Das scheint auch durch die Gleichklänge hindurch: Katastrophen, kostengünstig, Krümmung, Klammer. Scharfe Laute überall.
Dagegen kommt die weiche Bockwurst nicht an.
Nein, nicht wirklich. Die Katastrophe ist vorbei, aber es kann nicht mehr gut werden. Als würde man auf eine Bestrafung warten, als Einzelner. Vielleicht fühlen die Schafe auch nur deshalb keinen Neid, weil sie Herdentiere sind.