weitere Infos zum Beitrag
Essay
Die Hausaussuchung in Lenggries – ein Volkslied aus Bayern und: wo der Staat nichts zu suchen hat
Daraus folgt die Zufälligkeit des Fundes (V), die die weitere Suche zudem auf unsichere Prämissen stellt. Wird dann weiter gesucht, verdreht der Jäger, um seinen Eigennutz durchzusetzen und sein Gesicht nicht vollständig und schlagartig zu verlieren, das Recht, stempelt seinen Irrtum, bzw. seinen Diebstahl zu einem kriminalistischen Befund, und verfällt in unerträgliche Selbstherrlichkeit. Auf das Eigentum der Einwohner wird keine Rücksicht genommen (VI) und der Verdacht auf das eine wird zum beweisführenden Indiz für etwas ganz anderes (VII). Nun zeigt sich die andere Seite der Medaille: wie die Razzia von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, ist sie auch von Anfang an erfolgreich. Alles, was gefunden wird, ist ein Indiz für die Vermutung, die sich nicht bestätigen lässt, schon gar nicht in flagranti. Cum grano salis ist Lenggries ex definitionem ein Räubernest. Diese Information war gleichsam im Befehl zur Razzia schon inbegriffen. Wenn sich dann nichts finden lässt: umso schlimmer für die Wirklichkeit. So werden die Jäger im Dorf zu Wilderern, sie stehlen Lebens- und Genussmittel (XII, XIII) und zerstören (bewusst oder unbewusst) die Hühnernester (VI); wie es bei Mos Def heißt: „You can’t tell between the cops and the robbers.“(12)
Ein zweites Informationsgefälle nach dem des Ortes ist das der Gegebenheiten, der Situation vorort. Die Jäger scheinen gar nicht zu wissen, was für Gewehre die Wilderer haben, bzw. sie vergessen es gerne, und gehen so auf die veralteten Büchsen los, die durch ihr Alter Schmuck- und Memorialwert besitzen; das Gewehr aus dem Tirolerkrieg (VI) muss vom Beginn des 19. Jahrhunderts stammen. Was das Gewehr als Erbstück für den Besitzer bedeutet, ist kaum zu ermessen und kaum zu überschätzen. Man könnte sagen, dass, wenn solche Gegenstände nach Gutdünken (13) beschlagnahmt werden, eine psychologische Kriegsführung nicht aus Kalkül, sondern aus schierer Unwissenheit beginnt. Aus einer Unwissenheit resultiert auch, dass die Unschuldigen und Unbeteiligten auf eine Stufe mit den eigentlich Gesuchten gestellt werden, und ihre Häuser mit ebender Schärfe, bzw. überhaupt durchsucht werden. Dass sich so der heute oft genannte „Rückhalt in der Bevölkerung“ nicht herstellen lässt, leuchtet ein, und dass es nicht anders geht, ebenso. Das Gedicht lässt nicht aus, darzustellen, dass dieses Vorgehen besonders die Frauen trifft (VIII, IX).
Die eigentlich Gesuchten, die Männer und Wilderer, sind ja längst nicht mehr im Dorf: das ist die überwältigend offensichtliche und spottreiche Pointe der Schlussstrophe vor dem Abgesang. Die Jäger kommen ins Dorf, um die Wilderer samt ihrer Ausrüstung festzunehmen, aber diese gehen an jenem längst vorausgewussten Tag mit aller Selbstverständlichkeit zum Wildern auf die Gipfel. „Es will ja grod so sei.“ Auch der Abzug der Jäger wird sich, wie der Einzug, unter den Augen der Wilderer vollziehen, die selbst nicht sichtbar sind. Gebirge und Wald sind nur in eine Richtung übersichtlich (wie heutzutage eine Stadt, das versteht sich von selbst).
Eine grundsätzliche Pointe des Gedichtes, die als der reine Spott und als das Karikaturistische der Darstellung den Text durchzieht, möchte ich betonen und ernst nehmen: dass die Jäger grundsätzlich dumm, unwissend sind. Das heißt, dass einige der Ungerechtigkeiten, bzw. der Vorgänge, die den Bergbauern mit vollem Recht als Ungerechtigkeiten erscheinen, nur wenig und vielleicht sogar überhaupt nicht an die Einstellung, Integrität oder Gerechtigkeitsempfindung der Jäger gekoppelt sind. Sie resultieren meist aus dem Informationsgefälle, der Stresssituation, und der Ahnungslosigkeit, wie sie der Abgesang (XV) konzentriert. In einem solchen Gebirge, in einer solchen Konstellation lässt sich nicht sinnvoll staatliche Kontrolle etablieren. Wie gut der Wille ist, tut dann nichts zur Sache. Das ist auch im Afghanistankonflikt der Fall, die Gebirgsjäger sind eine im Feld stehende Einheit. Selbst die gutwilligste Interpretation dieses Krieges als humanitärer Einsatz vergeht hier. Gewiss mag es als eine bittere Pille erscheinen, in diese Situation, die aus unsrer soziokulturellen Warte untragbar aus den verschiedensten Gründen erscheint, nicht einzugreifen, mehr noch: unsere Unfähigkeit zum sinnvollen Eingriff einzugestehen. Aber dieser Krieg zeigt nicht den gewollten Effekt, und verbessert die Situation nicht. Kürzt man die Gleichung, könnte man sagen, dass die einzige Entwicklung, die dieser Krieg hervorbringt, die Perpetuierung dieses Krieges selbst ist. Die bittere Pille ist also zu schlucken, denn was ansonsten der betroffenen Zivilbevölkerung zu schlucken gegeben wird, ist mehr als jene Metapher und jene Ausformung der Psyche.
Was ist das Ende vom Lied, was das Ergebnis der Hausaussuchung in Lenggries? Der trockene Realismus des Gedichts erlaubt ein recht klares Fazit: Die Jäger sind ihrem offiziellen, aufgeblendeten Ziel nicht bedeutend näher gekommen, und wenn sie die eine gefundene Flinte versilbern wollen, wie es ihre inoffizielle Zielsetzung erfordern würde, müssen sie in der Dienstelle sogar angeben: gar nicht. Und das Gedicht zeigt im Abgesang, dass sich die Bevölkerung von Lenggries noch duldsam, nur spöttisch verhalten hat, und nicht zur Gegenwehr übergegangen ist, was ja ein relativ Leichtes wäre(14). „De ham se draud“ : Wie dünn die Schicht dieser Duldung ist, könnte nicht besser ausgedrückt werden. Für die Bergbauern ist die Lage nur schlimmer geworden, mit völliger Ausschließlichkeit. Das gestohlene Essen werden sie ersetzen müssen – indem sie weiter wildern. Eine gestohlene Bruthenne und zertretene Nester: ich kann mir keine kräftigeren Bilder denken für die Tatsache, dass die Staatsgewalt, die Wilderei unterbinden will, durch den Akt der Unterbindung zur Wilderei zwingt.
Ein zweites Informationsgefälle nach dem des Ortes ist das der Gegebenheiten, der Situation vorort. Die Jäger scheinen gar nicht zu wissen, was für Gewehre die Wilderer haben, bzw. sie vergessen es gerne, und gehen so auf die veralteten Büchsen los, die durch ihr Alter Schmuck- und Memorialwert besitzen; das Gewehr aus dem Tirolerkrieg (VI) muss vom Beginn des 19. Jahrhunderts stammen. Was das Gewehr als Erbstück für den Besitzer bedeutet, ist kaum zu ermessen und kaum zu überschätzen. Man könnte sagen, dass, wenn solche Gegenstände nach Gutdünken (13) beschlagnahmt werden, eine psychologische Kriegsführung nicht aus Kalkül, sondern aus schierer Unwissenheit beginnt. Aus einer Unwissenheit resultiert auch, dass die Unschuldigen und Unbeteiligten auf eine Stufe mit den eigentlich Gesuchten gestellt werden, und ihre Häuser mit ebender Schärfe, bzw. überhaupt durchsucht werden. Dass sich so der heute oft genannte „Rückhalt in der Bevölkerung“ nicht herstellen lässt, leuchtet ein, und dass es nicht anders geht, ebenso. Das Gedicht lässt nicht aus, darzustellen, dass dieses Vorgehen besonders die Frauen trifft (VIII, IX).
Die eigentlich Gesuchten, die Männer und Wilderer, sind ja längst nicht mehr im Dorf: das ist die überwältigend offensichtliche und spottreiche Pointe der Schlussstrophe vor dem Abgesang. Die Jäger kommen ins Dorf, um die Wilderer samt ihrer Ausrüstung festzunehmen, aber diese gehen an jenem längst vorausgewussten Tag mit aller Selbstverständlichkeit zum Wildern auf die Gipfel. „Es will ja grod so sei.“ Auch der Abzug der Jäger wird sich, wie der Einzug, unter den Augen der Wilderer vollziehen, die selbst nicht sichtbar sind. Gebirge und Wald sind nur in eine Richtung übersichtlich (wie heutzutage eine Stadt, das versteht sich von selbst).
Eine grundsätzliche Pointe des Gedichtes, die als der reine Spott und als das Karikaturistische der Darstellung den Text durchzieht, möchte ich betonen und ernst nehmen: dass die Jäger grundsätzlich dumm, unwissend sind. Das heißt, dass einige der Ungerechtigkeiten, bzw. der Vorgänge, die den Bergbauern mit vollem Recht als Ungerechtigkeiten erscheinen, nur wenig und vielleicht sogar überhaupt nicht an die Einstellung, Integrität oder Gerechtigkeitsempfindung der Jäger gekoppelt sind. Sie resultieren meist aus dem Informationsgefälle, der Stresssituation, und der Ahnungslosigkeit, wie sie der Abgesang (XV) konzentriert. In einem solchen Gebirge, in einer solchen Konstellation lässt sich nicht sinnvoll staatliche Kontrolle etablieren. Wie gut der Wille ist, tut dann nichts zur Sache. Das ist auch im Afghanistankonflikt der Fall, die Gebirgsjäger sind eine im Feld stehende Einheit. Selbst die gutwilligste Interpretation dieses Krieges als humanitärer Einsatz vergeht hier. Gewiss mag es als eine bittere Pille erscheinen, in diese Situation, die aus unsrer soziokulturellen Warte untragbar aus den verschiedensten Gründen erscheint, nicht einzugreifen, mehr noch: unsere Unfähigkeit zum sinnvollen Eingriff einzugestehen. Aber dieser Krieg zeigt nicht den gewollten Effekt, und verbessert die Situation nicht. Kürzt man die Gleichung, könnte man sagen, dass die einzige Entwicklung, die dieser Krieg hervorbringt, die Perpetuierung dieses Krieges selbst ist. Die bittere Pille ist also zu schlucken, denn was ansonsten der betroffenen Zivilbevölkerung zu schlucken gegeben wird, ist mehr als jene Metapher und jene Ausformung der Psyche.
Was ist das Ende vom Lied, was das Ergebnis der Hausaussuchung in Lenggries? Der trockene Realismus des Gedichts erlaubt ein recht klares Fazit: Die Jäger sind ihrem offiziellen, aufgeblendeten Ziel nicht bedeutend näher gekommen, und wenn sie die eine gefundene Flinte versilbern wollen, wie es ihre inoffizielle Zielsetzung erfordern würde, müssen sie in der Dienstelle sogar angeben: gar nicht. Und das Gedicht zeigt im Abgesang, dass sich die Bevölkerung von Lenggries noch duldsam, nur spöttisch verhalten hat, und nicht zur Gegenwehr übergegangen ist, was ja ein relativ Leichtes wäre(14). „De ham se draud“ : Wie dünn die Schicht dieser Duldung ist, könnte nicht besser ausgedrückt werden. Für die Bergbauern ist die Lage nur schlimmer geworden, mit völliger Ausschließlichkeit. Das gestohlene Essen werden sie ersetzen müssen – indem sie weiter wildern. Eine gestohlene Bruthenne und zertretene Nester: ich kann mir keine kräftigeren Bilder denken für die Tatsache, dass die Staatsgewalt, die Wilderei unterbinden will, durch den Akt der Unterbindung zur Wilderei zwingt.