Die Hausaussuchung in Lenggries

Essay

Autor:
Tobias Roth
 

Essay

Die Hausaussuchung in Lenggries – ein Volkslied aus Bayern und: wo der Staat nichts zu suchen hat

Eine sinnlosere Demonstration von Staatsgewalt lässt sich nicht denken: alles, was einen Schritt weiter geht, ist offener Krieg von Uniformierten gegen Zivilisten. Tritt dieser Fall ein und setzen sich die Zivilisten zur Wehr, werden sie heute unter den leicht handhabbaren Sammelbegriff „Terroristen“ gefasst, ohne dass das Motiv ihrer Gewaltausübung näher in Betracht gezogen wird, das gerade beim Terminus „Terrorismus“ ein entscheidendes Gewicht erhalten sollte. Daran scheint sich der militärstrategische Wortschatz noch nicht gewohnt zu haben. Schon die Konsequenz der im Gedicht beschriebenen Konstellation, dass es nämlich regulären Polizei- oder Militärkräften schier unmöglich ist, in einem echten Gebirge Staatsgewalt zu etablieren und sich die Lage der Bevölkerung verschlechtert, ganz gleichgültig unter welcher Zielsetzung der Einmarsch steht, schon das alleine sollte als moussierende Lesefrucht den Gedanken anregen, dass die Bundeswehr schnellst möglich aus Afghanistan abgezogen werden sollte. Diese Argumentation kann man nicht von der bayrischen Politik erwarten, aber in der bayrischen Volkskunst hören und lesen, mutatis mutandis. Ist diese Veränderung des zu Verändernden geschehen, kann man Geschichten wie die „Hausaussuchung in Lenggries“ fast jeden Tag in der Zeitung lesen. „De Zeid, de ma ezzt ham, de hods no nia gem“ (15), das stimmt so gut wie nie.

1) Dass diese Kopplung nicht erst Symptom der heutigen Zeit ist, zeigt etwa ein Blick auf Haydns Oratorium „Die Schöpfung“.
2) Krieg im Sinne von: Krieg.
3) http://www.volksmusik-archiv.de/vma/de/node/131
4) Ebd.
5) man vgl. den Band med ana schwoazzn dintn. gedichta r aus bradnsee aus dem Jahr1958.
6) Personennamen werden nicht übersetzt. Das ganze kann nicht ohne eine gewisse Ironie übersetzt werden; der Leser mag urteilen, wie sehr das meine Schuld sein kann.
7) Bürgerlich Josef Bauer, 1896-1977, Sänger aus Greiling bei Bad Tölz. Beim erwähnten Preissingen von 1930 gewann der Kraudn Sepp mit seinem Gaißacher Sänger- und Zitherquartett die Silbermedaille. Die Version auf der Webpräsenz des Volksliedarchivs ist um weitere fünf Strophen länger, in denen die Pointen des Lieds teils noch drastischer und klarer zum Ausdruck kommen.
8) Ich wähle das etwas unschöne, umgangssprachliche Wort „Razzia“, um hier die Fußnote anzubringen, dass sich das Wort „Razzia“ vom arabischen Wort für „Angriffsschlacht“ ableitet.
9) Eine weitere geographische Gegebenheit, die man aber sicherlich nicht überstrapazieren sollte, ist, dass das Gebirgsmassiv östlich von Lenggries den sprechenden Namen Hirschberg trägt.
10) Dass sie nur eine Phantasie ist, bezeugen Lieder wie das vorliegende, die früher oder später auch ins Flachland gelangen.
11) Zur Razzia also ist die Bahn nicht zu gebrauchen. Ab 1937 waren die Jäger schließlich in der Prinz-Heinrich-Kaserne vorort.
12) Respiration, erste Strophe (auf dem Album Mos Def & Talib Kweli are Black Star, 1998).
13) „se moan glei wos da ham“
14) Man kennt die Situation aus der Wildschützenliteratur. Im Gebirge muss man den Feind gar nicht erschießen, man muss ihn nur stoßen, oder, noch weniger, geschickter und ortskundiger sein, dann hat man den gewaltigen Berg und das Gelände, die das ihre tun, auf seiner Seite; diese tun auch das ihre, wenn es doch zu eine Gefecht kommt, man vergleiche die drei am 23. Juni 2009 in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten.
15) So die erste Zeile eines gleichnamigen Liedes, das der Kraudn Sepp auf der genannten CD aufgenommen hat.
 

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