„Archäografisches Schreiben“
Felix Philipp Ingold © Matthes & Seitz
Michael Braun bespricht heute in der NZZ Felix Philipp Ingolds „Leben & Werk“:
„Auf den 1020 Seiten seines im besten Sinne kompromisslosen Werks verbindet Ingold Fragmente einer «Selbstlebensbeschreibung» mit leidenschaftlichen Reflexionen zur Literatur und mit opak schimmernden Erfahrungsberichten aus seiner Schreibklause im waadtländischen Romainmôtier. Welcher Gattung könnte man nun dieses zwischen autobiografischen, literaturkritischen und lyrischen Impulsen changierende Buch zuordnen? Zum ersten Mal in seinem umfangreichen Werk versucht Ingold, die Ich-Perspektive nicht nur als Rollenmaske, sondern in all ihren Registern zu erproben und dabei auch eine «epische Allüre» zu bewahren.
Dabei will er dem Selbstentblössungs-Gestus des Tagebuchs entkommen, indem er seine Aufzeichnungen aus den Jahren 2008 bis 2013 jeweils asynchron unter einem einzigen Kalendertag einträgt, also die Erfahrungen von jeweils fünf Jahrestagen unter einem einzigen Tagesdatum zusammenführt. Die Ersetzung der chronologischen Ordnung durch eine «transversale Zeiterfahrung» führt zu einer Kombinatorik des Disparaten. Die «rekurrente zeitliche Schichtung» der Lektüreberichte, Traumprotokolle, Gedicht-Splitter und Naturbeobachtungen zielt auf ein «archäografisches Schreiben», das sich – durchaus zum Vorteil des Buches – keinerlei diplomatische Zurückhaltung auferlegt.“
Felix Philipp Ingold: Leben & Werk. Tagesberichte zur Jetztzeit. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 201
Neuen Kommentar schreiben