Fix Zone

Kiloware im Vorraum

Redaktion: 

Christoph Meckel - Liebe Krohns (Brief mit Zeichnung 1964) (Quelle: Kunstraum Alexander Bürkle)

Auf literaturkritik.de nachzulesen Wulf Segebrechts  Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Die Bilder, die Bücher, die Bilderbücher“ (im Kunstraum Alexander Bürkle) zum 80. Geburtstag des Dichters und Graphikers Christoph Meckel:

„Dennoch kommt Meckel unbegreiflicherweise in der professionellen Kunstwissenschaft kaum vor. „In der Bildenden Kunst war für mich kein Stehplatz frei“, schreibt er, „mein Bild existierte nicht in diesem Haus. Der Kunsthandel gähnte, der Kritiker war nicht da. Ich begriff mein Nichtvorhandensein als Chance – der Weiße Rabe bewegt sich vogelfrei. Ich ahnte, dass hier ein Glück zu gestalten war, denn ich kannte die Öffentlichkeit aus der Literatur“. Ein tiefes Misstrauen gegenüber dem kommerziellen Kunst- und Literaturbetrieb, gegen Gruppeninteressen und Beziehungskartelle drückt sich da aus. In seinem Gedicht Zur Geschichte der Kunst stellt Meckel einer nur noch marktorientierten Kunst eine verheerende Prognose. Und trotzdem hat die Klage nicht das letzte Wort. Am Ende bekennt sich Meckel trotzig zu dem eigenen, unabhängigen Kunstwerk, dessen Schärfe zugleich seine Seele ist. Ich lese Ihnen das Gedicht Zur Geschichte der Kunst vor, dem als Motto eine Inschrift des Malers Lucas Moser auf dem Magdalenenaltar in der Magdalenenkirche in Tiefenbronn aus dem Jahre 1431 vorangestellt ist. Die Inschrift lautet „schri, kunst, schri und klag dich ser. / dein begert itzt niemen mer“, das heißt: „Schreie, Kunst, schreie und beklage dich sehr. Nach dir verlangt heutzutage niemand mehr!“ Hier das Gedicht:

Zur Geschichte der Kunst

Die Kunstgeschichte der Zukunft wird
ein Geschäftsbericht sein.
Klassiker vieler Zeiten, gesicherte Werte
Goya, Daumier, George Grosz
Hommes singuliers (Baudelaire)
werden gehandelt zu steigendem Preis.
Kleine Meister bleiben im Depot,
Daten und Titel im Katalog.

Das Grundverzeichnis ist außer Kraft,
doch geht kein Werk & Stil ad acta
solang es zu Geld gemacht werden kann.
In übergreifenden Verfahren
außer Konkurrenz von Vision und Wahrheit
wird ein neuer Name von Rekorden erhellt,
durch Umsatz unschlagbar.

Drucke und Fotos sind Kiloware im Vorraum,
Portobello, Boulevard.
Die Zinkplatte hat noch Metallwert, Handgeld
für Antiquare, Privatköpfe, Klempner.
Bronze wird eingeschmolzen zu fallendem Preis,
der behauene Stein verschwindet im Tiefbau.

Das in Zukunft Geschaffne verfällt
im Vakuum – ein geisterhafter Raum
voll von Bildern ohne Handelswert
ohne Aussicht auf Präsenz, Kritik, Kontroverse,
Namen ohne Anschein, Glorie, Schall
beglaubigt durch sich selbst, private Tresore
gefüllt mit Bildern, die keiner sah,
Stiftung nicht erwünscht, vielleicht verwendbar
als Geschenk oder Tauschwert – unbekannt
wie die Säule im Meer seit 900 Jahren.

Kein Grund zur Klage. In diesem Raum
entsteht, ohne Sponsor
das unerhörte Motiv
aus Folie, Dreck, Papier – kann sein
ein zerfetztes Gesicht
mit dem Titel Seele des Messers.“

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