„Letztes Jahr haben alle noch gesagt, wie schlimm alles ist. Und jetzt soll alles besser sein?“ Dies sagte mir Schulterzuckend ein Zuhörer am Rande meines Vortrags an der Universität Oldenburg. Wird alles besser? Ich glaube schon, das hat mit der momentanen Gutkonjunktur aber nur wenig zu tun. Hier einige meiner Thesen im Überblick:
- Die Flexibilisierung von allem
Neulich wollten uns Wirtschaftsforscher weis machen, dass die Wochenarbeitszeit unweigerlich auf 45 Stunden steigen müsse. Nun, ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Weil der demographische Wandel unweigerlich zu einer stärkeren Stellung der Arbeitgeber führen wird, setzen sich deren Bedürfnisse durch. Und die liegen am Anfang des Berufslebens teilweise im Durchpowern (Constantin Gillies etwa hypte diese Woche in der Karrierewelt die 12 Stunden-Malocher), aber überwiegend eben nicht.
Und selbst der Teil, der bis zur ersten Bluthochdruckmessung alles für die Arbeit gibt, wird unweigerlich mit 40, 45 weniger powern wollen, wenn nicht gegen den Stress, dann für die Familie. Ein Blick in die Tabelle der Demographie-Entwicklung zeigt: Damit sind die Vollpower-Karrieristen in der absoluten Minderzahl. Einem kleinen Irrtum aber unterliegen die HRler, die derzeit Work-Life-Balance ins Programm hieven: Darum geht es vielen gar nicht. Manchen meiner Kunden würde es reichen, wenn sie arbeiten könnten, wann und wo sie wollten. Dann auch gern viel.
2. Der Sieg der ungeliebten Fächer
Geisteswissenschaftler hatten es immer schon schwer, ebenso wie manche Naturwissenschaftler, Geologen und Biologen etwa. Im Zuge des Demographiewandels, heissa, dürften diese endlich die Chance bekommen, die ihnen gebührt – und das Studieren nach Neigung ist mittelfristig wieder erlaubt. Wie traurig, wenn manche BWLer, die ich in der Beratung oder auf Seminaren traf, sich nur aufgrund angeblicher Chancen für das Studium entschieden haben (und am Ende keinen Deut besser dastanden). Wer leidenschaftslos studiert hat die Inhalte so schnell vergessen wie ich die Integralrechnung aus der Oberstufe.
Ach ja, bei der Gelegenheit sei auch gesagt: Alle suchen zwar nach Eliten – aber wo bitte sollen die arbeiten? Es gibt nicht so viele Jobs, wie gerade Unis Elite werden und Elitestudenten produzieren wollen. Mein Tipp: Mittelmaß siegt! Wo wir beim Thema sind: Entsprechend der demografischen Kurve müssten logischerweise auch die Numeri Clausi für Fächer wie Medizin sinken. Eine Chance für Menschen, die dieses Fach aus einem gewissen Altruismus heraus studieren möchten – aber keine guten Noten hatten. Ehrlich gesagt, würde ich lieber von solchen Ärzten behandelt werden und nicht von den Einserkandidaten.
3. Die Traumjobisierung
„Sie sind keine, die Traumjobs herbeiredet. Unter anderem deshalb haben wir sie eingeladen“, sagte mir die stellvertretende Rektorin der Uni Oldenburg. Trotzdem stelle ich fest, dass nach etwa ein, zwei, manchmal auch fünf Jahren im Beruf nach etwas gesucht wird, das Sinn und Erfüllung bietet. Da werden es die Firmen noch ganz schön schwer haben… Und die Menschen auf der Suche nach dem X-Faktor im Beruf auch. Denn Traumjobs, mit Verlaub, die gibt es ganz selten. Die Wolfstrainerin, von der mir neulich ein Outdoortrainer erzählte, hat so einen, vermutlich. Aber sonst? Die Industrie, zumal in der globalisierten Welt, ist so ganz und gar nicht auf Traumjobs ausgerichtet. Deshalb mein Trend-Tipp: Ein flexibler Job fürs Geldverdienen und den Rest ins Privatleben verlegen. Damit hätte man auch gleich etwas für die so wichtigen 5 Säulen der Identität getan. Denn wenn nur die Säule „Beruf“ existiert (nach Petzold: Beruf und Leistung, Körper, soziales Netzwerk, materielle Sicherheit und Werte), ist der Mensch doch nichts als eine Arbeitshülle.
4. Tschüss Headhunter
Ist ja klar, dass Headhunter nicht besonders angetan sind von den neuen Trends: Soziale Netzwerke wie Xing und Linkedin sind Selbstbedienungsläden. Gerade für kleine Firmen sehr praktisch, aber auch – siehe Otto, die ein Fünftel in Netzwerken rekrutieren – ziemlich attraktiv. Spannend auch, wenn man in Zukunft das ganze Leben eines Bewerbers nachvollziehen können wird, einschließlich seiner sozialen Vernetzungen. Ich frage mich gerade, was mit jenen passiert, die wie neulich eine Studentin jammern und sagen „ich kenne doch niemand“. Brutale Aussortiere? Nein, denn da gibt es noch… siehe Punkt 2.
5. Bewerbung – nur noch per Klick
„Das stimmt doch alles nicht, in Wahrheit wollen die Firmen doch lieber Postbewerbungen“, entrüstete sich neulich eine Vortragsteilnehmerin. Mein sanfter Hinweis auf das AGG und die Errungenschaften der digitalen Archivierung, die E-Mail-Bewerbungen auch für Arbeitgeber definitiv attraktiver machen, erstaunte allerdings.
Ich bin mit meiner Trendschau schon einen Schritt weiter: Was sich schon jetzt bei Linkedin zeigt, wird es bald auch in Kombination mit deutschen Jobbörsen geben. Wer sich bewerben will, postet einfach sein Profil – und kann sich damit das ewige Hochladen und Ausfüllen von Formularen sparen.
6. Die Angloamerikanisierung der Bewerbung
Rund 30% aller Bewerbungen, die meine Mitarbeiterin Maja und ich sehen, sind mittlerweile auf Englisch. Es gibt keine Zahlen dazu, doch wir merken von Monat zu Monat, dass die Zahl der englischen Bewerbungen steigt. Dies hat nicht nur sprachliche Konsequenzen, sondern wirkt sich auch auf das Layout und die inhaltliche Herangehensweise aus. Statt „deutscher“ Tätigkeitsbeschreibungen finden Leistungsbeschreibungen und Erfolge Eingang (oder sollten es besser, denn das kommt an). Auch die tabellarische Form wird aufgegeben – Hauptsache der Inhalt stimmt. Meine These: in 5 Jahren sind 70% der Akademiker-Bewerbungen Englisch, auch in Deutschland. Es setzt sich das angloamerikanische Format ohne „Tabelle“ durch. Das Foto fällt weg. Bewerbungsfotografen (die aus unerfindlichem Grund einfach nicht kapieren, dass das Postbewerbungszeitalter passé ist), müssen dann leider umschulen.