Keine Frage: Es gibt zu viele Fotografen, Designer, Architekten und Marketingleute, nicht nur in Berlin. Auch neue Textildesigner, Politologen oder Kommunikationswissenschaftler braucht vielleicht die Welt, nicht aber die Wirtschaft.
BWL dagegen? Dieses Fach hat in den letzten Jahren vor allem derjenige studiert, der nicht so blöd und prekär da stehen wollte wie ein Geisteswissenschaftler, aber zu viel Bammel hatte vor Technik und Naturwissenschaften. Interessenfach war es selten, Leidenschaftsthema nur bei den Karrieristen, die immer noch an die Schornsteinkarriere glauben – siehe mein Karrieremacherbuch.
Doch die Zahl derer nahm gefühlt immer mehr ab. In den letzten Jahren traf ich Diplom-Kaufleute, die nicht den geringsten Bezug zum Fach hatten. Sogar unter Journalisten mischten sich welche. Für das Studium hatten sie sich entschieden, weil sie sich damit auf der sicheren Seite wähnten. Sicher?
Vor zwei Wochen bestätigte ein Bildungsexperte im „Stern“, was ich in der Praxis beobachte: Der Bedarf an Betriebswirten geht zurück, die Job-Ampel des Sterns steht inzwischen auch offiziell auf „gelbrot“, warnt also. In der Beratung, die meine Mitarbeiterin Maja unter anderem für den Staufenbiel Career Club durchführt, hatten wir immer wieder mit den Schwierigkeiten beim Berufseinstieg von BWLern zu tun, vor allem bei den Schwerpunkten Marketing und Personal. Nicht wenige haben ein Jahr nach dem Abschluss immer noch keine feste Stelle. Viele, gerade Frauen, arbeiten auch als „Sekretärin plus“, also Assistentin. Dann wiederum gibt es viel Zeitarbeit und Beschäftigungen auf Sachbearbeiterniveau. Accounting und Controlling laufen seit 2009 wieder vergleichsweise gut, jedoch ist mit Blick auf die Zahlen (siehe Punkt 2) zu vermuten, dass sich auch das „schweinezyklisch“ drehen könnte. Etwa, wenn sich das Konjunkturblatt wieder wendet.
Mindestens sieben Gründe dafür:
1.) Es gibt kaum ältere Betriebswirte, d.h. es werden nicht wie in vielen anderen Berufen – etwa bei den Juristen – in den nächsten Jahren Stellen frei. Im Marketing sind nur 20,3% aller Angestellten 50+, im Controlling gar nur 14,7% (alle Zahlen IAB).
2.) Der so genannte Bestandsentwicklungsindex lässt erwarten, dass sich die Situation verschlechtert: Seit 1999 hat sich die Anzahl der Arbeitnehmer sowohl im Marketing als auch im Controlling annähernd verdoppelt (z.B. von 100 auf 187 im Controlling, wobei 100 stets den Ausgangswert im Jahr 1999 darstellt).
3.) Der Zulauf auf das Studium hält unverändert an: Weiterhin nehmen von Jahr zu Jahr mehr Studierende ein wirtschaftswissenschaftliches Studium auf. Leider unterscheidet das Statistische Bundesamt nicht Jura, VWL und BWL, so dass ich nur vermuten kann: ein Gros des Zuwachses geht auf das BWL-Konto. Laut Stern hat sich die Zahl der Studienanfänger seit 2001 verdoppelt!
4.) Die BWL-relevanten Bereiche, z.B. Marketing haben sich radikal verändert, das Studium kaum. Im Wachstumsbereich Social Media werden Bewerber oft aus anderen Fächern rekrutiert. Im techniknahen Bereich, etwa Logistik, macht Wirtschaftsinformatik oder Wirtschaftsingenieurwesen deutlich mehr Sinn.
5.) Letztendlich ist ein Physiker oder Ingenieur mit MBA für Arbeitgeber interessanter als ein Betriebswirt mit Master.
6.) Die Niveaus der Absolventen dualer und betrieblicher Ausbildungen sowie von Studienabschlüssen gleichen sich an, auch gehaltstechnisch und wiederum vor allem im Marketing. Das wertet einen kaufmännischen Studienabschluss tendenziell ab.
7.) Die Studenten richten ihr Studium immer noch aus wie vor 10 Jahren, streben z.B. nach den beliebten Produktmanagerstellen in Konzernen, in denen es immer weniger gibt – anstatt sich ein interessantes Profil aus sinnvoll kombinierten Branchen-, Methoden- und Fachkompetenzen aufzubauen. Soft Skills sind eh selbstverständlich.
Nachtrag am 28.6.: Mein Beitrag wurde u.a. von Peter Wagner im Blog von Jetzt.de (Süddeutsche aufgegriffen). Er fügte hinzu, dass die Enwicklung auch mit der Bolognareform zusammen hängt, die es einfach ermöglicht, neben zahlreichen Mix-Fächern (mit Wirtschaft) auch Kombinationen wie z.B Physik-Bachelor und MBA zu wählen. Das ist völlig richtig. Im Zweifel empfiehlt sich eine Kombi oder ein Mix-Fach (allerdings nicht alle, z.B. habe ich eher schlechte Erfahrungen mit regional bezogenen Wirtschaftsstudien, gute mit Technik/BWL-Mixen).
Kann ich aus meiner Praxis nur bestätigen. Der Zustrom zum BWL Studium hält an, weil das Fach so schön generisch ist und als “nicht schwierig” kolportiert wird. Meine Kinder bekommen zu Hause keine BWL-Empfehlung.
Da ist sinnvolle Studienfachwahl gefragt: es gibt mittlerweile sinnvolle Angebote für Doppelqualifikationen, die das klassische reine BWL-Studium ablösen können, z.B. Wirtschaft mit Pädagogik, Psychologie oder gar Naturwissenschaften kombiniert. Wenn es denn unbedingt Wirtschaft sein muss – wie Sie ja so treffend schreiben, sind die Beweggründe für die Fachwahl nicht unbedingt inhaltliche …
Ich empfehle Unschlüssigen das Studienfach Wirtschaftsingenieurwesen. Zum einen, da gute Grundlagen in den wichtigsten BWL-Fächern vermittelt werden, zum anderen weil hier auch der technische Part sowie die Ingenieursgrundlagen nicht zur Kurz kommt. Je nach Interesse kann man sich bei einigen Unis weiter spezialisieren.
Hallo Frau Hofert,
Mensch… Sie können einem ja ganz schön Panik machen
Was verstehen Sie denn unter dem Aufbau eines “interessanten Fachprofiles” im Bereich BWL. Wie sähe Ihrer Meinung nach ein zeitgemäßes, interessantes aus?
Danke für Ihre Inspirationen,
Paul
Hallo Paul, nö, Panik wollte ich nicht verbreiten, nur ein wenig Realismus. Finde schade, wenn jemand aus Vernunftgründen etwas studiert, was sich dann als nicht vernünftig rausstellt. Verschwendung von Ressourcen – oder? Ich meine damit, dass das Profil einen roten Faden hat: Wie der aussieht, ist individuell. Es kann sinnvoll sein, breite Erfahrungen zu sammeln und dann die Blöcke Werbung, Produktmanagement und Online-Marketing zusammenzustecken. Es kann auch sinnvoll sein, sich auf eine Branche, wie Medizintechnik, zu spezialisieren…. Oder… Entscheidend für mich: was macht für die individuelle Persönlichkeit, deren Kompetenzen, Interessen und Kenntnissen sowie Erfahrungen wirklich Sinn. Und einmal im Jahr überlegen: Wie und womit kann ich mein Profil sinnvoll erweitern? LG Svenja Hofert
Am meisten schockiert mich an Ihrem Artikel die Schilderung der Datenerhebung durch das Statistische Bundesamt.
Auf http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/BildungForschungKultur/Hochschulen/StudierendeHochschulenVorb2110410118004,property=file.pdf
Seite 21 heißt es
“Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften”
Das erscheint nicht hifreich bei der Analyse. Vor allem nicht, wenn man bedenkt wie feingliedrig die Studienlandschaft geworden ist und dass Hochschulen mehr denn je Marketing betreiben. Das bedeutet, dass der Inhalt der Lehrveranstaltungen, die Grade und Namen der Abschlüsse und die Darstellung der Studiengänge in der Öffentlichkeit stark voneinander abweichen können.
Natürlich wäre es nun nicht ratsam, dass das Statistische Bundsamt plötzlich die Kategorien ändert. Das würde die Datenbestände fortan unvergleichbar machen.
Eventuell ist diese Art der Statistik dennoch ein Auslaufmodell und wir brauchen in Zukunft viel dynamischere Daten als Grundlage, um Vorgänge in der Bildung und Wirtschaft überhaupt beschreiben zu können und entsprechend zu reagieren.
Hallo Michael, ja, das Problem wäre wohl die Unvergleichbarkeit. Und vollkommen richtig: Das System ist eigentlich unvergleichbar geworden und dies wird sich noch mehr verstärken, je weniger klassifizierbare Berufsfelder und Studien wir haben. Wie man eine so dynamische Entwicklung abbilden kann…? Vielleicht ist das nicht möglich. Eine Möglichkeit der Trennung der Daten im Bereich VWL/BWL und Jura vermute ich aber schon
Danke für den Kommentar und Grüße Svenja Hofert
Ich muss leider sagen, dass ich selten einen unqualifizierteren Artikel gelesen habe.
Wenn ich lese, dass ein Physiker mit MBA einem Master-BWL-Absolventen vorzuziehen ist, dann kann ich mir nur die Hände vor Augen werfen.
Wer sich jemals mit dem Inhalt eines BWL-Studiums im Master beschäftigt hat und dem die Inhalte eines MBA gegenüber gestellt hat, der wirkt ganz schnell merken, dass MBA nur Geldmacherei ist.
Ein Professor der BWL hat einmal gesagt, dass er sowohl Kurse im BWL-Bachelor und Master gibt und andererseits MBA-Kurse hält. Für jemanden, der ein Bachelor-BWL-Studium absolviert hat, ist der MBA pure Langeweile.
Man muss darüber hinaus ganz klar differenzieren, dass lediglich (nüchtern betrachtet: “minderwertige”) Studenten von FHs und schlechten Uni’s (im Fachbereich) wie Wuppertal oder Leipzig keine Chancen am Arbeitsmarkt haben. Auf jetzt.de wurde z.B. Bayreuth erwähnt. Wer in Bayreuth, Münster, Köln, Mannheim oder aber München seinen Master in BWL absolviert, der wird von den Unternehmen immernoch mit Kusshand genommen. Ggf. sollte man nicht auf vermeintliche “Bildungsexperten” hören, sondern die übwerwältigende Resonanz einer Vielzahl von Unternehmen in Betracht ziehen. Diese sind nämlich in ansteignder Anzahl direkt an den Unis und buhlen um die Studenten – siehe Kontaktmessen, Gastvorträge, Kongresse, etc pp.
Das BWL per se weniger schwierig ist als Technik orientierte Studiengänge ist überdies auch ein hoffnungslos unqualifiziertes Argument, da es – mal wieder – nicht genug differenziert wird. Studiere ich an o.g. Universitäten BWL werden die Studenten teilweise bis zum Exzess mit Stoff überworfen. Dabei geht es nicht – wie bei Kulturwissenschaftlern z.B. – um einfaches Auswendiglernen von banalen Zusammenhängen, sondern z.B. um hochkomplexe Steuertheorien (Rechtsformumwandlung z.B.), Massen an zusammenhängenden Bilanzierungsregeln (HGB, IFRS, US-GAAP, uam.) oder aber um vielschichtige kapitalmarktnahe Theorien.
Das allseits beliebte “BWLer-Bashing” kommt dem informierten Betrachter immer wie ein wenig Trotz und Neid (aus eigener Erfahrung vor allem aufgrund der Einkommentrends) vor.
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Zur Stern-Ampel: Traue keiner (populär-wissenschaftlichen) Studie, die du nicht selbst gefälscht hast
In diesem Sinne!
Hallo Alex, habe mich schon gewundert, dass bisher gar nichts Kritisches kam, sondern nur Zustimmung
Danke, nicht nur insofern, für die andere Perspektive und Meinung. Es gibt immer mehrere Wahrheiten – und eine Entscheidung funktionioniert am besten, wenn man alle kennt und selbst abwägen kann, wem und was man glaubt; oder eine eigene These davon ableitet. Vollkommen richtig, mit einer guten Note aus Münster oder Köln gibt es für BWLer keine Probleme – im Moment. Aber es trennt sich eben die Spreu vom Weizen; und betroffen ist beileibe nicht nur Leipzig
Es geht auch nicht nur um Jetzt, sondern um später. Unqualifiziert sind die Zahlen sicher nicht – die kann jeder beim IAB einsehen und sie sind ganz sicher nicht gefälscht. Der Stern lag übrigens fast immer richtig, weil er sich auch dieser Zahlen bedient. Aber ohne Praxis ist Theorie nichts – und die Praxiserfahrung bestätigt das. Was wir hier erleben, ist eindeutig: es gibt ein Problem mit BWL und nicht nur für FH-Absolventen und die schlechte Unis. Wie gesagt: Derzeit ist mit einer 2,1 aus Münster alles grün. Es geht aber nicht um “derzeit”. Was ist in 10 Jahren? Es geht darum zu begreifen, wie sich unsere Arbeitswelt wandelt. Klar haben Sie recht, dass ein MBA die Feinheiten des Rechnungswesen und von US-Gaap nicht kennt und auch nicht prädestiniert ist, sich in diesen Bereichen zu vertiefen. Allein: Die Zahl der Stellen, die einen (teils) technischen oder naturwissenschaftlichen Hintergrund erfordern wachsen. Beu US-Gaap wird sich nichts mehr verändern, im Finanzbereich wächst höchstens die IT-Verfleichtung. Und exakt um das geht es: siehe meine beispielhafte Kombi.
LG Svenja Hofert
Viele kaufmännische Berufe, wie Assistent, Einkäufer, Disponent, Verkäufer, Buchhalter, Projektmanager oder Verwalter werden derzeit mit BWL-Absolventen 2. Klasse, wie Bachelor, Berufsakademie oder Fachhochschule besetzt. Es ist selbstverständlich, dass das Gehalt an die Position gebunden ist.
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