Interview mit Kerstin Hoffmann: „Wissen verschenken, um Können zu verkaufen“

Wie viel und was darf ich verschenken? Mit PR-Doktor Kerstin Hoffmann, die gerade ihr neues Buch „Prinzip Kostenlos“ veröffentlicht hat, sprach ich über die Grenzen des Kostenlos-Marketings – und seinen Nutzen.

Bekomme ich von Ihnen meinen Segen, weiter zu verschenken?

Hoffmann: Aber natürlich. Deshalb waren Sie ja auch eine Wunschkandidatin für mein Buch. Weil Sie bereits eine sinnvolle Verschenk-Strategie haben.

Ich verschenke seit Jahren z.B. Wissen im Blog, Tools bei Facebook und Bewerbungsmuster. Manchmal denke ich: Macht man sich damit nicht auch selbst den Markt kaputt?

Hoffmann: Ich finde es gut, dass Sie verschenken. Denn damit kann sich jeder schnell ein Bild davon machen, wo Ihre Spezialisierung liegt und ob er Ihren Stil mag. Das selektiert auch und spart damit beiden Seiten Zeit. Wer nicht zu Ihnen passt, ruft gar nicht erst an. Man kann fast alles, was man weiß, verschenken – inhaltlich findet sich das meiste sowieso im Internet. Aber selbst jemand, der alle Informationen hat, die Sie haben, kann damit noch lange nicht das Gleiche anfangen. Hier kommen eben das Können und die Erfahrung ins Spiel, und übrigens auch die kritische Distanz, die Außensicht. Gerade in Ihrem Bereich brauchen Menschen oft eine neutrale Außensicht, jemanden, der ihnen in Ihrer eigenen, sehr persönlichen Situation den Spiegel vorhält und neue Perspektiven eröffnet. Und genau da eben verläuft die Grenze zu Ihrer kostenpflichtigen Leistung.

Niemand kommt zu mir, weil er Rat zu einer Online-Bewerbung braucht, die Tipps lassen sich nachlesen. Man kommt wegen einer Weiterbildungsentscheidung oder weil man Feedback zu eigenen Ideen braucht.

Hoffmann: So ähnlich ist das auch bei mir – und bei vielen meiner Kunden. Das Fachwissen ist frei. Zugeschnittene und individuelle Konzepte kosten. Entscheidend ist aber, dass auch der freie Rat etwas wert ist, dass die Empfänger damit weiterkommen. Die Menschen, denen das ausreicht, wären ohnehin nicht zu Ihnen gekommen, weil sie sich Ihre Beratung nicht leisten können oder leisten wollen. Die anderen überzeugen Sie gerade damit.

Tatsache ist aber, dass das Herrschaftswissen mit der Kostenlos-Kultur schwindet.

Hoffmann: Was ist schon Herrschaftswissen? Provokant gesagt: Wahrscheinlich etwas, das jemand ängstlich zurückhält, weil er denkt, ohne dieses Wissen sei er nichts. Es gibt dieses Zitat in Dürrenmatts Physikern: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“  Das gilt auch für Wissen: Was einmal gewusst wurde, ist in Zeiten des Internets frei verfügbar. Wenn nicht ich die Dinge frei anbiete, tut es jemand anderes. Da bin ich doch lieber gleich die erste. Oder besser: Diejenige, die es für die Empfänger, die ich erreichen will, in idealer Weise aufbereitet.

Wo genau ziehen Sie die Grenze?

Hoffmann: Beim Übergang von Wissen in Können. Wissen ist frei, Können nicht. Das kann man gar nicht immer ganz trennscharf beschreiben. Da hat auch jeder eine andere Schmerzgrenze. Ich habe Kollegen, die auf ihrer Facebook-Seite sehr großzügig Fragen beantworten und gerade deswegen Kunden anziehen. Niemand von uns würde ja einen Leser vor den Kopf stoßen, der eine Nachfrage hat. Aber jeder von uns hat ein genaues Empfinden dafür, wo die eigene Grenze verläuft. Wenn Sie im Blog einen Text über moderne Lebensläufe schreiben, dann ist das Wissen, und das ist sehr wertvoll für Ihre Leser. Wenn Sie aber einen Lebenslauf einschätzen und beurteilen, ist das Ihr Können. Ersteres darf kostenlos sein, das zweite nicht.

Eine gute Marketing-Strategie also …

Mehr als das. Das Bild ist größer. Wenn Sie Wissen verschenken, tun Sie das wahrscheinlich nicht nur aus egoistischen Motiven, sondern auch, weil Ihnen an der Sache und am Thema etwas liegt. Sie wollen Dinge voranbringen, zum gemeinsamen Wissen beitragen, sich mit anderen austauschen, vielleicht Feedback einholen. Gerade das führt dazu, dass sich Ihr Können letztendlich wie von selbst verkauft. Da müssen Sie dann gar nicht mehr viel dazutun.

Können Sie einige Beispiele für die Grenze zwischen Verschenken und Bezahlen-Lassen nennen?

Hoffmann: Wenn Sie mit Beratung Geld verdienen, dann sollten Sie nicht ausführlich per Mail beraten. Damit würden Sie sich selbst etwas wegnehmen. Andererseits wird man aber auch nicht jede kleine Anfrage sofort mit einer Rechnung kontern. Es geht ja immer auch um Austausch. Letztendlich müssen Sie das immer im Einzelfall betrachten: Der eine könnte zum Beispiel Vorträge verschenken, um darüber Kunden für die Beratung zu gewinnen. Das geht aber nicht, wenn Sie hauptsächlich mit Vorträgen Ihr Geld verdienen. Dann können Sie einen Newsletter schreiben oder im Blog Tipps verschenken. Aber wenn Sie mit Autorentätigkeiten Geld verdienen, wenn Content also Ihre Ware ist, müssen Sie viel vorsichtiger damit sein, Inhalte zu verschenken. Die Regel ist doch einfach: In dem Moment, in dem Sie mit etwas direkt Geld verdienen, können Sie es nicht in größerem Umfang verschenken. Der Bäcker, der jeden Tag so viele Brotproben austeilt, dass die Leute satt sind, wird auch nichts mehr verkaufen.

 „Gibst du den kleinen Finger, nimmt man deine ganze Hand“: In – übrigens mit steigender Sichtbarkeit – seltener werdenden Fällen kommt es vor, dass Leser denken, ich sei am Telefon und sonst so freizügig mit Tipps wie im Blog. Da gibt es dann z.B. „nur eine kurze Frage“. Diese Personen merken dann, dass Sie kein noch so guter Trick an meiner Assistentin vorbeiführt. Muss man sich abschotten, wenn man verschenkt?

Hoffmann: Abschotten klingt so negativ. Besser ist es, bereits im Vorfeld ganz klar zu kommunizieren, wann etwas nicht mehr kostenlos ist. Eigene Klarheit führt in der Regel dazu, dass auch die anderen klar erkennen, was angemessen ist. Dass es „Ausreißer“ gibt, ist menschlich. Die sind aber die Ausnahme. Ich erlebe das sehr selten. Aber wer sich selbst sichtbar macht, bietet eben für manche auch eine gute Projektionsfläche. Manche Menschen überschreiten Grenzen, diese Klientel muss man ganz klar und eindeutig darauf hinweisen, was den meisten von selbst klar ist: dass zum Beispiel ab der ersten Beratung ein Honorar fällig wird.

Manche Wissens-Teiler wollen aber auch erst kein Geld und dann doch, z.B. in dem Sie fürs Weiterlesen plötzlich Gebühren erheben.

Hoffmann: Selbst schuld. Ein echtes Eigentor. Leser und User haben ein Gefühl dafür, was ihre Zeit und Aufmerksamkeit wert ist. Wenn man ihnen mit falschen Versprechungen von Inhalten die Zeit stiehlt, werden sie schnell sauer. So geht der Schuss nach hinten los. Ein kostenpflichtiges Angebot ist ja kein Problem, aber es sollte von Anfang an als solches erkennbar sein.

Wie war es denn bei Ihnen? Hat sich das verschenkte Wissen im Blog ausgezahlt?

Hoffmann: Auf jeden Fall. Neukunden finden über das Blog zu mir, und die meisten, die ein Angebot anfragen, beziehen sich tatsächlich darauf. Seit ich mit dem Bloggen begonnen habe, steigen meine Umsätze nahezu parallel zu den Zugriffszahlen. Bestehende Kunden nutzen meine Präsenz im Web gerne, um ihre Empfehlung an andere zu unterstützen. Zudem tragen meine Inhalte in einem Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen zum Austausch und zur gemeinsamen Wissenssammlung bei. Dass mir beim Schreiben selbst manche Dinge erst richtig klar werden, ist ein weiterer Effekt – und war ursprünglich überhaupt einer der Gründe, warum ich damit angefangen habe. Insofern: Ja, eindeutig.

Lesen Sie hierzu auch meinen Artikel vom Pfingstsamstag.


6 Kommentare zu “Interview mit Kerstin Hoffmann: „Wissen verschenken, um Können zu verkaufen“

  1. Drei Gedanken dazu:
    1.) “Verschenken” ist eine schöne Zuspitzung. In der Praxis ist es häufig so, dass man eine Teilschenkung macht. Z.B. sind Veranstaltungen für VHSen so etwas.
    2.) Entscheidend sind wohl die Hintergedanken, mit denen jemand etwas verschenkt. In der Buchbeschreibung wird suggeriert, dass nur geschenkt wird, um letztlich besser zu verkaufen (“Verschenken A”). Das kollidiert mit dem “Verschenken B”, wie es, glaube ich, hier häufig gemeint ist. Das nicht eigentlich verkaufen will, sondern z.B. mehr Wissen in die Welt bringenl.
    Beispiel: Ich verbreite Wissen z.B. an Follower oder per Blog häufig, weil ich überzeugt bin, dass dadurch “die Welt besser wird”. Beides muss sich nicht ausschließen – dennoch macht die Absicht einen Unterschied. Ich persönlich suche Austausch mit Menschen, die ebenfalls “Wissen B” verbreiten, d.h. die Welt besser machen wollen. Und nicht letztlich ihr Produkt verkaufen.
    3.) Wie schön – und nützlich für sie selbst – wäre es, wenn Politiker Wissen verschenken würden. Die wenigen, die das tun, werden dafür von den Wählern geliebt. Sie reden dann z.B. Klartext oder über Gefühle oder Nichtwissen.
    Das auch zum häufiger angeklungenen Begriff “Herrschaftswissen”.

    Schöne Grüße,
    Christoph Burger

  2. Gute Differenzierung mit einem interessanten Neu-Aspekt. Ich sehe mich auch eher als B-Schenkerin und finde diesen Aspekt an mir und anderen auch sympathischer. In der Politik könnte geschenktes Wissen, die Welt besser machen. Ich ärgere mich immer über die oberflächlichen Informationen. Ich würde gern in das gesprochene Wort klicken, um zu erfahren, auf welche Weise, welche Meinung entstanden ist. Das würde vieles fundierter machen. Interessiert die meisen nicht, ich weiß: Aber die es interessiert könnten für die anderen sortieren. Auch das ein Prinzip Kostenlos. Oder spinnert? Sonnengrüße aus HH an Sie!

  3. Schönes Interview und endlich jemand, der versteht, wie Pull-Marketing wirklich funktioniert. Ich finde diese Vertriebs- und Marketing-Philosophie a) viel ehrlicher und angenehmer und b) auch “sicherer” für den Kunden. Denn der weiß schon vorher, ob ich meine Hausaufgaben gemacht habe oder nicht – die Katze im Sack zu kaufen wird so zum Ausnahmefall.

    Vor allem die Antwort auf die vorletzte Frage sollten sich ganz ganz viele Anbieter im Internet mal durchlesen. Erst so tun, als ob etwas gratis ist und auf halber Strecke Geld verlangen ist wirklich eine Unart. Danke für diesen Artikel!

    • Lieber Herr Schoofs, Sie verschenken ja auch ein sehr schönes E-Book, das muss ja mal gesagt werden ;-) Und ja: tricky Vertrieb finde ich auch ganz übel. Funktioniert bei mir gar nicht. Aber es gibt auch Leute, die lassen sich beim Unterschreiben den Stift führen und die kriegt man so wohl. herzliche Grüße Svenja Hofert

  4. Wenn Sie einen Namen haben, dann müssen Sie auch nicht die Hälfte verschenken, damit gekauft wird. Sondern Sie sind so gefragt und bekannt, dass die Leute von vornherein immer nach dem Preis fragen und Sie diesen nennen. Wenn ich interessierter Blogleser bin, hole ich mir also bei Ihnen das Basiswissen und bei den kostenpflichtigen Anbietern die richtige Beratung.

    • ? Verstehe die Logik und den Sinn der Aussage nicht wirklich. Kostenflichtig ist Frau Hoffmann auch – und ich vermute mal teurer als weniger bekannte Berater. LG Svenja Hofert

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