|
Gepfählt - Ein Vampirroman
LITERRA EMPFIEHLT Nur damit wir uns klar verstehen: So etwas wie Vampire gibt es nicht!
Malcolm Harker ist der Urenkel von Mina und Jonathan Harker, die vor knapp 100 Jahren, gemeinsam mit Abraham van Helsing, Dr. John Seward, Arthur Holmwood und Quincey Morris den Grafen Dracula jagten und schlussendlich töteten.
Doch etwas hat überlebt, denn als der Blutsauger Mina von seinem Blut zu trinken gab und sie damit infizierte, ging etwas von seiner Kraft und Energie in die Frau über, die es wiederum an ihre Nachkommen weitervererbte. Nur durch regelmäßige Kirchengänge und das Empfangen des heiligen Sakramentes gelang es der Familie Harker all die Jahre über den Drang des Blutes zu unterdrücken.
Malcolm Harker, der als Barmixer häufig Nachts arbeitet und bis in den Tag hinein schläft, hat darüber hinaus auch wenig Lust an den Kirchgängen seines Großvaters und seiner Schwester teilzunehmen. Voller Sorge beobachten diese die Entwicklung von Malcolm, der immer lichtscheuer wird und unter Appetitlosigkeit leidet. Kurz darauf verbrennt er sich beim Abendmahl an Messwein und Oblate. Als Großvater Quincy und seine Schwester Rachel ihm die Geschichte seiner Familie erzählen und dabei offenbaren, dass der Roman Dracula keineswegs die Erfindung eines irischen Schriftstellers ist, will Malcolm zunächst nicht die Wahrheit akzeptieren. Doch dann plagen ihn auch Visionen, in denen er miterlebt, wie aus dem sadistischen Schlächter Vlad Dracula der untote Blutsauger wird und beschließt gemeinsam mit seinem Freund Jerry und seiner Geliebten Holly nach England zu reisen, um Nachforschungen anzustellen und den Wahrheitsgehalt der Aussagen von Großvater und Schwester zu prüfen. In London angelangt finden die drei Freunde immer mehr Bestätigungen dafür, dass die Geschichte um Dracula tatsächlich so stattgefunden hat, wie Bram Stoker sie in seinem gleichnamigen Roman schilderte. Doch um letzte Gewissheit zu bekommen suchen Malcolm und Holly das Grab von Lucy Westenra auf, Mina Harkers einstige Busenfreundin, die von Dracula zu einer Vampirin gemacht wurde. Tatsächlich entdecken die Beiden die Gruft der Westenras und Malcolm begeht einen folgenschweren Fehler: Er erweckt die nach Blut dürstende Kreatur zu neuem untoten Leben und das Unheil nimmt seinen Lauf ...
Unzählige Bücher wurden bereits über den König der Vampire, Dracula, geschrieben. Unzählige Plagiate und Dutzende von Neuinterpretationen haben die Leser bereits über sich ergehen lassen müssen. Doch nur wenige haben die Klasse und den Einfallsreichtum besessen, das Werk von Bram Stoker in angemessener Art und Weise fortzuführen.
Das 1989 im Knaur-Verlag erschienene Buch Gepfählt von Jeffrey Sackett ist eine dieser Ausnahmen und eine echte Perle der Vampir-Literatur.
Bereits im Prolog wird der Leser mit einer sehr stimmigen Szene aus der Vergangenheit Draculas konfrontiert, in welcher der einstige Vampir noch menschlich war. Dabei hat der Autor Fakten und Fiktion auf kongeniale Weise verknüpft und beschreibt eine Szene in welcher Dracula die Turbane türkischer Botschafter auf dessen Köpfe nageln lässt, weil diese die Frechheit besitzen vor ihm, dem Woiwoden, nicht die Kopfbedeckung abzunehmen.
Im weiteren Verlauf des Buches wird Draculas Dasein als Geisel beim türkischen Sultan ebenso thematisiert wie sein Pakt mit dem König von Ungarn, um der Vasallenschaft des osmanischen Reiches zu entkommen. Diese Episoden aus dem Leben von Vlad Tepes (Vlad, dem Pfähler) werden immer wieder erwähnt, wenn das Leben des echten Dracula dokumentiert wird. Die Authentizität solcher Berichte ist nicht hundertprozentig belegt, da gerade die historischen Quellen des 15. Jahrhunderts bezüglich der rumänischen Fürstentümer sehr lückenhaft sind.
Besonders faszinierend an diesem Buch ist, wie Dracula letztendlich zum Untoten wird und dabei vergisst der Autor auch nicht dessen drei Bräute, denen Van Helsing am Ende von Bram Stokers Roman den ewigen Frieden schenkt.
Der eigentliche Anfang des Romans von Jeffrey Sackett, wo Malcolm und seine Familie vorgestellt werden ist zunächst noch etwas zäh und langatmig. Doch als der junge Harker seine Herkunft erkennt und sich auf Spurensuche nach London begibt bleibt der Spannungsbogen auf einem hohen Niveau. Die Hauptantagonistin ist hierbei Lucy Westenra, die von Malcolm wiedererweckt wird und seinem Zugriff entkommen kann, um sich Opfer zu holen. Zu spät merkt Malcolm, dass er von Lucy benutzt wird, die durch ihn an die Asche ihres einstigen Herrn und Meisters gelangen will, damit dieser zu neuem Leben erwachen kann. Die Ungläubigkeit der Protagonisten in Hinsicht auf die Blutsauger und ihr langsamer Sinneswandel wurden überaus realistisch gezeichnet.
Lucy wird von Sackett wunderbar dämonisch und hämisch dargestellt. Hier schafft er es die vulgäre, sexuelle Anziehungskraft der Untoten hervorragend wiederzugeben.
Nicht minder fesselnd sind die Verbindungen, die Sackett zwischen den sadistischen Vorlieben Draculas und der Vernichtung eines Vampirs zieht. So ist der Vampir nur durch das Pfählen zu töten, weil Dracula einst auch seine Opfer auf Holzpfähle setzen ließ. Die Beschreibung dieser grausamen Tortur ist dabei nichts für zarte Gemüter.
Die Handlung schlägt zum Teil wahre Kapriolen und der Leser wird ein ums andere Mal mit überraschenden Wendungen konfrontiert. Nicht nur einmal ist mir beim Lesen ein Schauder über den Rücken gelaufen, wenn Malcolm eine neue schreckliche Erkenntnis erlangt hat. Das Ende gipfelt in einem beklemmenden Duell der Vampirjäger mit den Untoten und im Epilog lässt sich der Autor genug Hintertüren offen, um eine Fortsetzung glaubhaft anschließen zu lassen. Leider ist bis dato kein weiterer Dracula-Roman von Sackett erschienen und auch dieses Buch hat bislang keine Neuauflage erlebt.
Ich selbst bin auf dieses Buch durch Erwin Jänsch Vampir-Lexikon aufmerksam geworden und habe mein Exemplar über ein großes Internetauktionshaus ergattern können. Wer es in einem Antiquariat oder auf einem Flohmarkt sieht, sollte zugreifen.
Als einziger negativer Kritikpunkt sei an dieser Stelle die deutsche Übersetzung angemerkt, die bei der Rezitierung des 23. Psalms gnadenlos versagt und den Text irgendwie verstümmelt. Zum Glück gilt dies nur für eine kleine Passage, denn ansonsten liest sich der Roman wirklich grandios.
Wer weiß, vielleicht nimmt sich demnächst ein engagierter Verlag dieser Perle der unheimlichen Literatur an, die längst zu einem Geheimtip unter Vampirliebhabern geworden sein sollte.
LITERRA EMPFIEHLT Beitrag vom 26. Jun. 2007
Weitere Beiträge
Alle weiteren Beiträge finden Sie auf der Übersichts-Seite.
|
|