Isabel, Roman von Feridun Zaimoglu

Zeit und FAS Foto: nw2013

Zeit und FAS
Foto: nw2013

Letzte Ausfahrt Uckermark“ – so hatte Maxim Biller eine Philippika betitelt, die am 20 Februar 2014 in der Zeit erschien. Er nannte darin die deutsche Gegenwartsliteratur langweilig, vor allem, weil sich die deutsche Kulturwelt nie vom Aderlaß jüdischer Künstler und Intellektueller erholt habe und sich die vom Literaturbetrieb gepäppelte Enkelgeneration der Nazis vorwiegend mit sich selbst beschäftige. Unmengen Bücher würden geschrieben, rezensiert und ausgezeichnet – aber nicht gelesen. Und das jahrein, jahraus. Biller forderte zur Abhilfe eine spröde, störende, unbequeme Migrantenliteratur und konstatierte verstört und empört, daß die Einwandererkinder stattdessen „Onkel-Tom-Literatur“ produziere, die der Betrieb generös und skandalös mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis honoriere, weil da ein Fremder erstaunlich gut Deutsch könne.

Ich fragte auf Twitter, wie meine Follower dies einschätzen.

Es gab natürlich Reaktionen, #Followerpower sei Dank! Jo Hanna nannte einen Beitrag von Dietmar Dath, der am 21. Februar 2014 in der FAZ erschienen war: „Wenn Weißbrote wie wir erzählen“ – auch er hält nichts von deutscher Gegenwartsliteratur.

„Die Nichterwähnung deutscher Gegenwartsliteratur in diesen Kreisen [=Autorinnen und Autoren] ist kein taktisches Ausweichmanöver, sie ist in den meisten dieser Fälle echte, erarbeitete Ignoranz.“ Denn Literatur, so Dath, passiere und wirke jenseits von Literaturdebatten in gesellschaftlichen Zusammenhängen.

Tilman verwies auf einen Artikel von Volker Weidermann in der FAS vom 23. Februar 2013. Weidermann entgegnete, daß zwar der erste Teil der Analyse zutreffe, die geforderte Abhilfe von den Migranten jedoch längst geliefert werde. Unter den Beispielen, die Weidermann nannte, war auch „Isabel“ von Feridun Zaimoglu. Ein Buch, das „einem echt den Hut vom Kopf“ fege, mit stakkatohafter, schneller und genauer Sprache. Weidermann nennt ihn den „repräsentativste[n] deutsche[n] Autor unserer Zeit. Unser[en] Thomas Mann.“

Umschlag (Ausschnitt) Foto: nw2013

Umschlag (Ausschnitt)
Foto: nw2013

Oha! Da wurde ich neugierig. Auf dem Nachhauseweg vom Büro machte ich einen Schlenker zur Autorenbuchhandlung und erwarb (25. Februar 2014) den Roman, erschienen bei Kiepenheuer&Witsch für 18,99 Euro. 237 Seiten, schlicht designt und einfach ausgestattet.

Der Text beginnt fulminant mit dem Vollzug einer Trennung und wir begleiten die Titelheldin Isabel in der anschließenden Phase der Neuorientierung. Zunächst in ihrer neuen Wohnung, dann in einem Club – wo sie einen jüngeren Mann abweist, der dann freilich mit Erfolg eine andere „klarmacht“. Zaimoglu schildert in wenigen Worten, wie trostlos das Nachtleben aus der Perspektive eines nüchternen Beobachters wirkt. Man versteht, warum der Einsatz von Rauschmitteln aller Art notwendig ist, um in diesem Szenario Spaß zu haben.

Isabel verläßt das Lokal und trifft ein alte Flaschensammlerin; gemeinsam gehen sie zu einer Armenspeisung, wo Isabel eine Freundin von früher trifft und mit ihr einen Wohnungstausch verabredet. Wir sind erst auf S. 24 und der Roman hat schon Fahrt aufgenommen.

Ich will hier gar nicht die ganzen Geschehnisse wiedergeben und einzelne Handlungsstränge nachzeichnen. Nachtleben, diverse sexuelle Spielarten, Einsamkeit, Verlassensein, Aneinandervorbeireden, Verletzungen, Armut, Gefahr, Gerüche – insgesamt eine hohlwangige Lieblosigkeit.

Die Sprache hat mir nicht gefallen. Eine Kunstsprache, die nach künstlicher Straße klingt. Elaboriert und dann amputiert. Kühl und hart, aber ausgedacht. Ich habe so noch niemanden reden hören, nicht im Bus oder auf dem Markt, keine Studenten oder Soldaten, nicht in der Kneipe. Am echtesten für meine Ohren klingen die Eltern von Isabel, wie insgesamt die Abschnitte in der Türkei, obschon sie mit dem Fremdgewordensein spielen, die traditionellsten sind.

Geht es in einem Ausschnitt am Rand unserer Gesellschaft so zu, wie Zaimoglu schreibt? Jenseits des Hartz-IV-Kosmos, fern vom „Unterschichtenfernsehen“. Klischee oder Antiklischee?

Überhaupt kein Lesegenuß also; Dinge, die ich weder wissen will noch lesen muß. Nichts, was mich berührt; eher weckt das Buch in mir das Bedürfnis, zu duschen und Abstand zu gewinnen. Unangenehm, unbequem, aber mehr auch nicht.

Ist das nun ein Buch, das der kraftlosen, selbstbezüglichen deutschen Gegenwartsliteratur Leben einhaucht? Das man später in der Schule liest, um zu sehen, wie das so war in Berlin am Anfang des 21. Jahrhunderts? Erste Kritiken in der Süddeutschen und in der FAZ, die man über Perlentaucher findet, lobten das Experiment der ausgehungerten, harten Sprache und fanden den Roman wichtig. Ähnlich positiv ein Gespräch im NRD: [D]ie kurzen atemlos aneinandergereihten Hauptsätze und Satzfragmente sind gleichzeitig von beglückend nüchterner Intensität.“ Naja, das klingt ein wenig nach dem, was Maxim Biller anprangerte.

Und, pace Volker Weidermann, aber der Vergleich mit Thomas Mann hinkt gewaltig.

Hier findet man Tilmans Einschätzung.

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10 Antworten zu Isabel, Roman von Feridun Zaimoglu

  1. Jo Hanna schreibt:

    Ich hole kurz aus: Zu Recherchezwecken sollte ich einige aktuelle Liebesromane lesen. Ich entschied mich für Maxim Billers »Liebe heute«, Zaimoglus »Liebesbrand« und ein Haruki Murakami war ebenfalls darunter. Auf dem Buchrücken von »Liebesbrand« die Lobeshymnen der üblichen Verdächtigen:
    »Traumsicher und poetisch … herrlich zu lesen!« Volker Weidermann, FAS
    »Wessen Herz noch schlägt, der wird sich in dieses Buch verlieben« Alexander Cammann, taz
    »Feridun Zaimoglus >Liebesbrand< ist pure Leidenschaft. Er hat sich damit endgültig in die Spitze der deutschen Autoren geschrieben.« Hajo Steinert, Die Welt

    So, das liegt nun schon einige Jahre zurück. Mein Herz schlägt noch immer. Dennoch: »Liebesbrand« zählt für mich bis zum heutigen Tag zu den schlechtesten Romanen aller Zeiten. Keine Ahnung, ob die genannten Literaturkritiker Zaimoglus Roman tatsächlich Seite für Seite gelesen hatten. Ich war nach dem Lesen dieses Buches jedenfalls fix und fertig. Damals habe ich mir das so erklärt: Wenn Leute von Sex schreiben wollen, von dem sie lediglich eine vage Impression haben, sie sich für diese aber bereits im Voraus schuldig fühlen, kann es zu merkwürdig langweiligen Kopfgeburten kommen. Mittlerweile habe ich verdrängt, ob es in diesem Buch überhaupt zum Sex kam. Unwichtig.

    Könnte es sein, dass Feridun Zaimoglu zwar ein von den Feuilletons hochgelobter, in Wahrheit aber ein grottenschlechter Autor ist?

  2. 54books schreibt:

    Ob Du es glaubst oder nicht, ich habe genau dieses Buch aus denselben Gründen gekauft, bin aber noch nicht durch.

  3. Pingback: Die Sonntagsleserin #KW9 | Literaturen

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  5. saetzebirgit schreibt:

    Ich habe das Buch ja dank deiner Verlosungsaktion „geerbt“ – das ist jetzt zwar unfein (einem geschenkten Gaul usw.)….aber: ich bin froh, dass ich diese Leseprobe hatte und daher so entscheiden kann, dass diese Autor keine weitere Aufmerksamkeit von mir verdient hat. (Und im Paket waren ja zudem ansonsten sehr feine bzw. unterhaltsame Ding).

    • nweiss2013 schreibt:

      Hallo Birgit,
      ich hatte zugegebenermaßen zunächst gezögert, ein negativ besprochenes Buch mit in die Aktion zu geben. Aber es hätte ja am neuen Leseplatz mehr Erfolg haben können…
      Viele Grüße Norman

      • saetzebirgit schreibt:

        Lieber Norman,
        nicht, dass das falsch rüberkommt – ich habe mich über das ganze Paket gefreut! Von dem Autoren hatte ich ja schon einiges gehört und deswegen fand ich es gut, auf dem Weg ein Buch von ihm in die Finger zu bekommen. Und es hätte ja sein können, ich wäre hin und weg…war ich aber nicht, sowie ich mir mit dieser Ecke der „neudeutschen“ coolen Literatur generell schwer tue.

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